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Kommentar: Der schädliche Mythos der „idealen Muslima“

Ausgabe 317

Saba-Nur Cheema Muslimfeindlichkeit CLAIM
Foto: Prostock-studio, Shutterstock

Es hat den Anschein, dass jeder Muslim heute etwas darüber zu sagen hat, wie eine muslimische Frau zu handeln und welche Person sie zu sein habe. Von wiederkehrenden Onlinevorträgen, über Ansprachen globaler Schaikhs und selbst einem Buch namens „Die ideale Muslima“ (von einem Mann) ist ein verbindendes Thema, dass sie unterwürfig zu sein habe. Von Nafisa Bakkar

(Hikaayat.com). Entweder solle sie das gegenüber einer Ideologie sein oder einer Person – manchmal auch beides. Was in diesem Diskurs fehlt, ist ein Verständnis der verschobenen Machtdynamik und wie Musliminnen die Regeln eines Spiels neu schreiben, das seit langer Zeit zu ihren Ungunsten manipuliert wurde.

Die „ideale Muslima“ ist eine mythische Messlatte, mit der sie verglichen wird. Sie muss gläubig, unterwürfig und aufopfernd sein. Aber häufig soll sie das nicht gegenüber Gott sein, sondern Männern. Und das liegt daran, dass die Parameter, die bestimmen, wer als „ideale Muslima“ gilt, davon abhängen, was Männer von ihr wollen und brauchen.

Wir haben dieses Leitbild falsch verstanden, sodass es einen Dienst an Männern bedeutet und nicht an Allah. Das soll nicht heißen, dass eine Frau sich nicht aus freien Stücken entscheiden kann, etwas aufzugeben. Hier geht es um jene, die – oft durch männliche Hand – dazu gezwungen werden. Die „ideale Muslima“ wird im Zusammenhang dieses Textes häufig gefragt, die Bedürfnisse und das Verlangen anderer zu befriedigen – unter dem Deckmantel von Gottesfurcht. Entscheidet sie sich dagegen, wird sie bombardiert mit Qur’anversen und Hadithen, die aus dem Kontext gerissen werden, um ihr mit den feurigen Abgründen der Hölle zu drohen.

Bis zum Punkt der körperlichen, spirituellen oder emotionalen Schädigung wird sie zum Dienst am Ehemann aufgerufen. Je größer Opfer und Schaden sind, desto mehr wird sie gelobt. Einerseits darf sie nicht zu ausgeruht aussehen, andererseits muss sie gut genug aussehen, um sein Verlangen zu erfüllen. Denn einer ihrer Jobs bestünde demnach darin, ihn vor der Versuchung (arab. fitna) zu bewahren. All die Beschwernisse soll eine Frau darüber hinaus ohne Klagen bewältigen.

Dieser Typus ist ein fiktives Wesen, der die Schwierigkeit einer Frau rechtfertigen soll, die sie in einem patriarchalen System zu tragen hat. Essenziell gilt sie als kostenlose oder billige Arbeitskraft in einigen Familien und Kulturen. Sie soll für die Erledigung jener Arbeiten da sein, die andere nicht tun oder bezahlen wollen.

Das heißt nicht, dass ihre wirkliche Arbeit nicht wichtig ist. Häufig ist eine solche Frau das Rückgrat von Haushalten und Familien. Sie ist der Grund dafür, dass die Kinder daheim in jeglicher Hinsicht ernährt werden. Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht um ihren Ehemann oder ihre Schwiegereltern zu kümmern hätte.

Wie es in dieser Dynamik oft der Fall ist, werden die Schwiegereltern bei Betreuung bevorzugt. Das liegt daran, dass wir eine Kultur haben, die ein Anrecht auf die körperliche und emotionale Arbeit der Frau erhebt. Eine Arbeit, die, wenn sie nicht freiwillig von ihr angeboten wird, ihre Weiblichkeit in Frage stellt. Entscheidet sie sich, dass sie dazu nicht in der Lage ist, gilt sie als schlechte Person. Allerdings wird der Sohn niemals über seinen Beitrag befragt. Sein Job war ja, eine Person zu finden, die es für ihn tut. Wenn überhaupt fragt man ihn, warum es ihm nicht gelang, eine „gute Frau“ zu finden.

Diese Mentalität kommt aus einem historischen Zusammenhang einiger Kulturen. Dort gelten Frauen als finanzielle Last, weil sie keine ökonomischen Akteure für ihre Familien sind. Sie werden versorgt, statt zu versorgen. Daher gilt sie als eine weitere Belastung. Jemand, der verheiratet werden muss, und zur Verantwortung eines anderen wird.

Es ist wichtig, dass wir dieses Problem nicht auf Muslime beschränken. Es geht weit über das hinaus. Es handelt sich um eine globale Kultur, die in und außerhalb von Wohnungen, Arbeitsplätzen, in Wohltätigkeitsorganisationen, Einrichtungen und so weiter zu finden ist. Einige sahen, wie sich diese Kultur während der Pandemie in ihrem Haushalt abspielte. Obwohl der Mann als auch die Frau im Homeoffice arbeiteten, wurde erwartet, dass die Frau die Hauptlast der Hausarbeit trug.

Diese Kultur schuf auch das Konzept einer „mentalen Belastung“ (manchmal auch als „Sorgearbeit“ oder „kognitive Arbeit) bezeichnet). Das ist ein Begriff für die unsichtbare Leistung im Management von Haushalt und Familie, die üblicherweise auf Schultern von Frauen lastet. Diese mentale Belastung handelt nicht von körperlichen Herausforderungen, sondern eher von Beaufsichtigung solcher Aufgaben.

Eine solche Dynamik und dieses Maß an Treue vorrangig gegenüber Schwiegereltern anstatt den eigenen Eltern bedeutet, dass unzählige muslimische Frauen sich nicht daran erinnern können, wann sie das letzte Mal die Feiertage mit ihren Eltern und Verwandten verbringen konnten. Denn ein ‘Id kann zur Zeit werden, in der man für die angeheiratete Familie arbeiten muss.

Es wäre bedauerlich, die Ehe einzugehen, die nur darauf beruht, welche Rechte und Pflichten eine Frau und ein Mann gegenüber dem anderen haben. Aber genau das ist es, was diese Dynamik in Gang setzt. Das ist keine Ehe. Die Rechte dienen dazu, Übertretungen zu vermeiden und zu verstehen, wenn sie doch geschehen. Sie sind kein Regelwerk, nach dem eine Ehe geführt werden sollte.

Eine Ehe sollte auf Gegenseitigkeit und dem Glauben an Allah bestehen. Die Betonung auf Barmherzigkeit und Mitgefühl als entscheidenden Baustein zur Nachhaltigkeit einer Ehe wird im Qur’an beleuchtet: „Und es gehört zu Seinen Zeichen, daß Er euch aus euch selbst Gattinnen erschaffen hat, damit ihr bei ihnen Ruhe findet; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Darin sind wahrlich Zeichen für Leute, die nachdenken.“ (Ar-Rum, Sure 30, 21)

Manche muslimische Männer, die in den Ehebund eintreten, neigen dazu, über diese Verse hinwegzugehen, und ziehen andere vor, deren Bedeutung sie manipulieren. In jenen wird der Mann angeblich als derjenige porträtiert, der in einer Beziehung die letzte Kontrolle haben soll. Und dass seine ihm und seinen Bedürfnissen zu dienen habe: „Die Männer stehen in Verantwortung für die Frauen wegen dessen, womit Allah die einen von ihnen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Besitz (für sie) ausgeben.“ (An-Nisa, Sure 4, 34)

Zu sagen, dieser Vers wäre wiederholt aus dem Kontext gerissen worden, wäre untertrieben. Ein Imam sagte hierzu: Diese im Vers beleuchtete „Autorität“ über die Frauen sei Last und Verantwortung, keine Ehre oder Bevorzugung. Die Verantwortung des Mannes beschränke sich nicht auf den finanziellen Unterhalt seiner Gattin wie Wohnung oder Lebensmittel. Er sei verantwortlich für ihre emotionalen, spirituellen und körperlichen Bedürfnisse. Allahs Gebot ist es, die Ehefrauen freundlich, fürsorglich und auf der Grundlage der Gerechtigkeit dessen, was akzeptabel ist, zu behandeln. Die Rolle des Mannes ist keineswegs dazu gedacht, ihn in eine Art Diktator zu verwandeln, der befiehlt oder verbietet und dem man uneingeschränkt gehorchen sollte.

Ich bin von muslimischen Frauen umgeben, die bestürzt darüber sind, welche Möglichkeiten sie haben, wenn es darum geht, „einen guten muslimischen Mann“ zu finden. Das liegt teilweise daran, dass viele nicht mehr bereit sind, sich als kostenlose und billige Arbeitskräfte für Männer und deren Haushalte zur Verfügung zu stellen. Sie haben sich aus der verzerrten Machtdynamik zurückgezogen und finden, dass sie nur wenig Auswahl haben oder Gefahr laufen, als „zu wählerisch“ bezeichnet zu werden.

Zweifellos mündete das in einer Mentalität, die wir bei muslimischen Incels (Mincel) beobachten können. Männer verlieren die Machtdynamik, die sie einst hatten, die meine Elterngeneration hatte. In ihrem Buch „Hood Feminism“ spricht die Autorin Mikki Kendall über diesen Machtverlust und das Bedürfnis, Respekt innerhalb der Gemeinschaft von Frauen zu finden. „Aufgrund des mangelnden Respekts in anderen Bereichen legen die Männer in diesen Szenarien Wert auf ein gewisses Maß an Unterwürfigkeit und Unterordnung seitens der Frauen, um das auszugleichen, was sie in der übrigen Welt nicht erhalten können“, schreibt sie.

Anstatt die Veränderung der Umstände anzuerkennen und diese Machtdynamik neu auszuhandeln, versuchen sie den Status quo aufrechtzuerhalten, indem sie einen tyrannischen Ansatz zur Erhaltung von Macht und Kontrolle wählen. Das ist kein ausschließlich muslimisches Problem. Incels in aller Welt beteiligen sich an genau dem gleichen Verhalten. Der Hauptunterschied besteht darin, dass Mincels Frauen zur Unterwerfung treiben wollen, indem sie die Schrift benutzen, deren Bedeutung sie manipulieren.

Einige versuchen diese Dynamik dadurch zu bewahren, indem sie „daheim heiraten“. Sie gehen davon aus, dass eine solche importierte Frau weniger „verwestlicht und vom Feminismus der Neuzeit gehirngewaschen ist“. Sie sei weniger ketzerisch als die Frauen hier. Sie werde unterwürfig und dankbar sein. Kontrolle ist ultimatives Ziel, um dem Gefühl der Entmannung zu entgehen, das sie in ihren Köpfen erschaffen haben. 

Musliminnen im Westen haben sich für den Ausweg entschieden, eine eigenständige Existenz aufzubauen. Sie verdienen ihr eigenes Geld, zahlen ihre Rechnungen selbst und wohnen alleine oder mit anderen Frauen zusammen. Allerdings übertragen solche „Lösungen“ die Lasten erneut auf die Schulter von Frauen. Auch hier müssen sie ihre eigenen Umstände selbst verbessern, anstatt von Männern einen Wandel einzufordern. Ob daheim oder in der weiteren Welt – Ausbeutung liegt an der Wurzel dieser Frage. Das Überleben für muslimische Frauen in diesem System bedeutet oft der Realität zu entfliehen, die Mincels durch unerreichbare Fantasien wie die „ideale Muslima“ zu verstärken versuchen.

Ein Kommentar zu “Kommentar: Der schädliche Mythos der „idealen Muslima“

  1. Astaghfirullah

    Was für ein schockierender Artikel.

    Er zeugt von Unwissenheit und Hochmut.

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