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Kommentar: Die Lähmung des Krieges – wenig Worte um eine Jahrhundertkrise

Ordnung
Foto: evan_huang, Shutterstock

Berlin (iz). Für die Nachkriegsgeneration ist der Krieg im Osten eine völlig neue Situation. Wer gehofft hatte, dass es sich nur um ein kurzes Zwischenspiel handelt, wurde bitter enttäuscht. Hoffnungen auf eine schnelle Lösung sind inzwischen im Bombenhagel zerstoben. Das Szenario einer eskalierenden Auseinandersetzung, geführt mit taktisch eingesetzten Atomwaffen, ist durchaus real. Ein Schock, aber schlichte Lähmung als Verhaltensmuster ist nicht gut genug.

Man nimmt mit Verwunderung zur Kenntnis, dass die Debatten um die Verwicklung der Bundesrepublik in einer der gefährlichsten Konflikte dieses Jahrhunderts mit wenig Leidenschaft geführt werden. Woran liegt das? Vermutlich an der Tendenz, diese entscheidende Krise mit einer gewaltigen und simplen Dialektik zu begegnen. Man ist nach der herrschenden Logik entweder für oder gegen Putin, für Kampf oder Aufgabe. Es gibt aber ebenso eine mögliche Position, die mit der Ukraine solidarisch ist und dennoch nicht jedem Ziel bedingungslos folgt.

Nötig wäre eine besonnene, öffentliche Auslotung des Mittelweges. Das hieße praktisch: Ja, man unterstützt den legitimen Kampf der Ukrainer, allerdings nur bis zu einem Punkt, der vor dem ultimativen Risiko des atomaren Wahnsinns liegt. Jetzt wäre es an der Zeit, diese Linie zu debattieren; zum Beispiel in der Form, unsere Waffenlieferungen dann in Frage zu stellen, wenn es der ukrainischen Führung tatsächlich um die Rückeroberung aller verlorenen Regionen einschließlich der Krim geht. 

Selbst wenn diese selbstmörderische Strategie nach jahrelangen Krieg am Ende doch aufginge, wäre völlig unklar, wie diese Gebiete künftig befriedet werden. Wie sollen die russischen Bevölkerungsteile nach diesem Konflikt erfolgreich integriert werden? Wie wird eine ukrainische Innenpolitik am Ende der langen Phase des Ausnahmezustandes aussehen, welche Kräfte sich durchsetzen? Fragen, auf die unsere Diplomatie keine Antwort hat. Davon abgesehen wäre eine vollständige Niederlage aus Sicht des russischen Regimes nahezu undenkbar; mit der paradoxen Folge, dass eine atomare Reaktion auf diesen militärischen Erfolg der Ukraine nicht unwahrscheinlich wäre. 

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Eine endgültige Lösung braucht in jedem Fall Geduld, sie kann nicht militärisch erzwungen werden. Die Zurückhaltung des Bundeskanzlers gegenüber der Lieferung von Offensivwaffen ist daher vernünftig. 

Die Hoffnung auf ein Frieden in der Ukraine ergibt sich einerseits aus einer diplomatischen Lösung, die echte Verhandlungen über den Status der umkämpften Region ergeben. Andererseits darf man darauf setzen, dass das aktuelle Russland auf Dauer an seinen eigenen Widersprüchen scheitert. Dazu gehört, dass die imperiale Rolle Moskaus ein Auslaufmodell ist: eine Phantasie, die auf Kosten des Wohlstands und der Gesundheit der Zivilbevölkerung durchgefochten wird. 

Aus unserer Sicht ist die Lage prekär, denn diese Krise und ihre Nebenfolgen hat das Potential, eine Renaissance des europäischen Nationalismus einzuleiten. Nicht nur deswegen ist kein schlafwandlerisches Zuschauen, sondern mehr Leidenschaft in der Argumentation und Streitkultur das Gebot der Stunde. Man kann unterschiedliche Meinungen zu diesem Konflikt haben, aber äußern (können) sollte man sie auf jedem Fall. 

Ein Kommentar zu “Kommentar: Die Lähmung des Krieges – wenig Worte um eine Jahrhundertkrise

  1. „Dazu gehört, dass die imperiale Rolle Moskaus ein Auslaufmodell ist: eine Phantasie, die auf Kosten des Wohlstands und der Gesundheit der Zivilbevölkerung durchgefochten wird.“
    Wohlstand und Gesundheit wäre nach Ende dieses „Auslaufmodells“ nur dann zu erwarten, wenn es in einee liberaleren Staatsform die Möglichkeit gäbe, die eigene Welt vor dem Überrolltwerden durch den „freien Markt“ zu schützen. Russland hat mit dem ersten Versuch hierzu unter Jelzin schlechte Erfahrungen gemacht und Putin war beliebt bei den Leuten, weil er es geschafft hat, den dadurch in Gang gesetzten Zug noch aufzuhalten. Jetzt ist er nicht mehr so beliebt, das mag sein – aber wie könnten bessere Ideen als damals aussehen? Denn ohne bessere Ideen kann auch der Weg kein besserer sein.

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