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Kommentar: Schon wieder Krieg!

Ausgabe 321

Foto: kremlin.ru | Lizenz: CC BY 4.0

(iz). Der Krisenmodus ist in den letzten Jahrzehnten der zuverlässige Begleiter unserer Stressgemeinschaft und ein Symptom unserer Zeit. Kurz gesagt: Eine Krise geht, eine andere kommt. Der Krieg in der Ukraine, mitten in Europa, hat allerdings eine ganz andere Qualität der Bedrohung. „Schon wieder Krieg! Der Kluge hört’s nicht gern”, heißt es im zweiten Teil vom „Faust“.

Dank der Gnade der späten Geburt finden für uns Deutsche Kriege üblicherweise jenseits des eigenen Erfahrungshorizontes statt. Wir sind diesbezüglich seit Jahrzehnten Beobachter, manchmal auch Profiteure, aber keine direkt Betroffenen. Zwar fand in den 1990er Jahren eine militärische Auseinandersetzung vor unserer Haustür statt, auf dem Balkan; aber Gott sei Dank nicht hier.

Unlängst empfingen wir Flüchtlinge aus Syrien, die uns an die verheerenden Folgen dieser abgründigen Art der menschlichen Auseinandersetzung erinnerten. Jetzt bedroht uns die Eskalation in der Ukraine. Es gehörte bisher zum gewohnten Luxus unserer Lage, dass wir militärische Konflikte ökonomisch bewerten. Was kosten sie uns? Arbeitsplätze, Gaspreise oder Börsenkurse, sind bei uns wichtige Parameter der allgemeinen Betroffenheit. Geht es in der aktuellen Auseinandersetzung mit dem russischen Führung um mehr?

Die Verteidigung der Freiheit ist eine Operation, die in den letzten Jahrzehnten meist andere für uns übernommen haben. Der Fachbegriff ist „Stellvertreterkrieg“. Deswegen verbreitet sich die Logik, dass die Ukrainer ihre Unabhängigkeit auch für uns verteidigen. Sie sollen mehr Geld, mehr Waffen und mehr moralische Unterstützung erhalten. Wir betreiben zu Hause Aufrüstung, militärisch mit neuen, teuer erkauften Waffensystemen und rhetorisch auf allen Portalen.

Die russischen Medien füttern den Informationskrieg mit Fakten, die vor allem die ukrainische Seite belasten. Jede Mobilisierung geht mit Vereinfachung einher. All dies ist letztlich Teil eines größeren Dilemmas. Denn wir wissen: Eine direkte Konfrontation der Nato-Staaten mit Russland bis hin zum möglichen Atomkrieg würde nicht nur Geld kosten, sondern unsere gesamte Existenz. Gibt es Ideale, für die sich ein Weltkrieg lohnen kann?

Es gehört zum Paradox dieser Lage, dass die Idee der Abschreckung und die Möglichkeit der totalen Vernichtung uns bisher vor einem Krieg geschützt hat. Der Preis ist bitter: Hier finden die alten Freiheitsideale ihre Grenzen und jede Atommacht weiß davon. Es bleibt nur den Krieg auf die ökonomische Ebene zu verlagern; auf dem Weg der Sanktionen, potentielle Gegner in die Knie zu zwingen.

Der Faktor Zeit spielt zudem gegen das Russland von heute. Wie lange noch kann das Regime mit seiner aggressiven Geopolitik von seinen inneren Widersprüchen ablenken?

Ansonsten müssen wir schon aus Vernunftgründen auf diplomatische Lösungen, auf Verhandlungswege und Krisenmanagement setzen. Hier schließt sich allerdings ein Kreis. Weder auf dem Balkan noch in Syrien und jetzt in der Ukraine gibt es eine Strategie, die auf dem Weg einer diplomatischen Lösung echten Frieden versprechen würde.

Im Fall Syriens, das mag sich nun rächen, hat sich der Westen zahnlos gegenüber den russischen Schachzügen zur Rettung einer Diktatur gezeigt. Wird die Krise in Osteuropa nun genauso den Gesetzen der Verdrängung folgen?