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Kommentar: Sind wir Krisenmanager oder Wellenreiter?

Ausgabe 319

Foto: Kireyonuk_Yulia, Freepik.com

„Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.“ Das sagte Rainer Maria Rilke

(iz). Während ich hier schreibe, überwinden sich unsere Kinder mit Mühe, die letzten beiden Schultage – dieses Mal erneut daheim – abzureißen. Die Endphase des Jahres verbringen sie nicht in der Schule – dieses Mal kein Basteln, Kekse oder Filmegucken. Der Unterschied: Lockdown wird es nicht genannt. Fühlt sich aber verwandt an.

Seit letzten März erleben wir alle diverse „Täglich grüßt das Murmeltier“-Momente: Die Politik müsse ihren „Instrumentenkasten“ nutzen, wir sollten vor die Welle kommen oder ergriffe man jetzt die richtigen Maßnahmen, könnten wir einen befürchteten Lockdown abwenden. Es ist die tägliche Wiederkehr des Ewiggleichen.

Wie die große Politik sind wir zu Krisenmanager und Reitern der „Welle“ (momentan der vierten) im Alltag geworden. Da kommen für viele Fragen auf, die sie sich früher nie gestellt hätten: Hat sich das Kind am Abend getestet? Habe ich den Test schon unterschrieben? Okay, Kurz- und Städteurlaub fallen flach, weil das mittlere Kind nicht vollständig geimpft ist, was nun? Und manchmal auch der besorgte Blick, ob es noch ausreichend Toilettenpapier und Pasta im Haus hat.

Seien wir ehrlich: Natürlich funktionieren wir. Wir müssen unseren Job machen, der Haushalt will versorgt und Kinder betreut werden. Man wurschtelt sich durch. Selbstverständlich gilt das nicht für alle: Viele leben in prekären Verhältnissen, sodass ihnen kaum Energie bleibt, sich Gedanken über Umstände machen. Andere sind in der glücklichen Lage, unbeschadet durch die Abfolge von Freiraum und Beschränkung zu kommen. Wenige erhalten sich ihr inneres Gleichgewicht.

Ich kann nur für mich sprechen, aber mir geht die Fähigkeit, zeitgleich eine Krise zu managen und auf der Welle zu reiten, derzeit ab. Damit ähneln wir der verantwortlichen Politik. Im ersten Pandemiejahr war viel von „Resilienz“ die Rede. Wir können uns die jetzige Krise nicht wegwünschen, aber vielleicht können wir an unserer Widerstandsfähigkeit arbeiten und sie ausbauen.