Kratzer in Afrikas „Weißer Perle“ Mogadischu

Foto: doganmesut, Adobe Stock

Am 31. Oktober ist Welttag der Städte. In Somalia gibt der UN-Gedenktag Anlass zum Feiern: Die kriegsgeschundene Hauptstadt des Landes erlebte ausgerechnet im Corona-Jahr neuen Aufwind.

Pretoria/Mogadischu (KNA). Bröckelnde Türme und mediterrane Villen in Trümmern – das ist die Skyline von Mogadischu. Symbolisch für die zerstörte Hauptstadt Somalias ragt die Fassade der alten Kathedrale heraus. Das Gotteshaus wurde 1928 für die italienischen Kolonialherren erbaut und 2008 von den Gotteskriegern der al-Shabaab in Stücke gebombt. Heute ist die Ruine ein häufiges Fotomotiv. Doch das soll sich ändern – wenn es nach einer neuen Generation von Politikern und Rückkehrern geht. Der Wiederaufbau im ehemaligen Bürgerkriegsland hat begonnen.

Mogadischu war einst als „Weiße Perle des Indischen Ozeans“ bekannt. Die Italiener hatten ihrer früheren Kolonie eines der schönsten Stadtbilder auf dem Kontinent hinterlassen: Kalkweiße Villen und Art-Deco-Bauten prägen das Bild bis heute. In besseren Tagen standen sie symbolisch für einen Lebensstil, der in Afrika einzigartig war: mit Uni-Vorlesungen auf Italienisch, Theatervorführungen und Cafes und Discos an jeder Ecke.

„Gegen fünf Uhr tauchten die Leute von ihrer Siesta auf, spazierten entlang der Seepromenade, aßen Eintopf mit Mais-Fladenbrot im Restaurant und standen dann an der Bar, um einen Macchiato zu trinken. Anschließend war es Zeit, sich einen Film anzusehen“, schreibt der Afrika-Korrespondent Andrew Harding in seinem Buch „The Mayor of Mogadishu“. Allein im Zentrum der postkolonialen Metropole habe es ein Dutzend Kinos gegeben.

1991 beendete der Bürgerkrieg Mogadischus Glanzzeit. Der zunehmend diktatorisch regierende Präsident Siad Barre wurde gestürzt; das Machtvakuum füllten konkurrierende Clans, Warlords, Piraten und Islamisten. Millionen Somalier flohen ins Ausland. Es sollte 20 Jahre dauern, ehe Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU) die letzten al-Shabaab-Kämpfer aus Mogadischu vertreiben und die von der UNO anerkannte Regierung ihren Platz einnehmen konnte.

Zuletzt fand die kriegsgebeutelte Hauptstadt wieder brüchige Stabilität. Ärzte, Architekten, Anwälte und Ingenieure kehren nach und nach zurück, um beim Wiederaufbau zu helfen. Das verändert das Stadtbild: „Während das Land seine Verwaltung und seine zivile Infrastruktur nach Jahrzehnten des Konflikts und der Gewalt wiederaufbaut, machte jüngst auch das Kulturleben mit der Wiedereröffnung des Nationaltheaters einen Sprung nach vorn“, hieß es im August von UN-Vertretern am Horn von Afrika. Eineinhalb Jahre hätten die Somalier laut dem neuen Theaterdirektor Abdulqadir Abdi Shube an der Wiedereröffnung gearbeitet, „Schmutz und Trümmer weggeschafft“.

War 2020 im Großteil der Welt das Jahr der Abriegelung, stand in Mogadischu Öffnung auf dem Programm. Diesen Monat wurden Straßensperren abgetragen, die Schutz vor Anschlägen bieten sollten. Neben dem Theater können die Somalier seit kurzem auch wieder ihr Nationalmuseum und das Fußballstadion von Mogadischu besuchen. Bei der Besetzung der Hauptstadt durch die Milizen der al-Shabaab war auch das Stadion an die Islamisten gefallen; später diente es den Friedenstruppen als Stützpunkt. Beim Spiel zweier Regionalclubs im Juni trat Somalias Präsident Mohamed Abdullahi Farmajo symbolisch den Ball in der renovierten Arena – erstmals seit mehr als 16 Jahren. Nicolas Berlanga, EU-Botschafter in dem einstigen Kriegsland, sprach von einem „Sieg für die Normalität“.

Doch es bleibt vorerst ein Etappensieg. Denn die Terroristen werden nicht müde, die fragile Regierung an ihre Schwächen zu erinnern. Regelmäßig verübt al-Shabaab Anschläge. Vor einem Jahr tötete eine Selbstmordattentäterin Mogadischus Bürgermeister Abdirahman Omar Osman. Im August zündeten die Fundamentalisten eine Bombe in einem Hotel an Mogadischus Promenade; einen Monat später töteten sie mehrere Restaurantbesucher. Im Oktober starben mehr als ein Dutzend Soldaten im Kampf gegen die Rebellen im Norden der Stadt.

Dennoch konnten sie die neugeweckte Hoffnung der Somalier nicht zerstören. In seinem Buch hält Harding fest: „Es ist, als wollten die geflüchteten Generationen ihr altes Land durch Erinnerungen wiederbeleben – als ob das kollektive Gedächtnis die Uhr zurückstellen könnte.“