Krise im Sahel verschärft sich weiter

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In Mali, Burkina Faso und Niger gab es in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 1.000 Anschläge auf Zivilisten. Mehr als zwei Millionen Menschen sind auf der Flucht; und die Gewaltspirale dreht sich weiter.

Cotonou (KNA). Die Zahlen sind alarmierend. Nach Informationen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wurden zwischen Januar und Juli allein im Westen des Niger mehr als 420 Zivilisten ermordet. „Die bewaffneten Islamisten führen einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung“, sagt Corinne Dufka, Sahel-Leiterin der Organisation; „sie töten, plündern und zerstören Leben“. Besonders betroffen ist die Region Tillaberi, die an Burkina Faso und Mali grenzt. Erst am vergangenen Wochenende starben dort 19 Personen; eine Woche zuvor waren es 37. Für Hilfsorganisationen wird die Arbeit immer schwerer.

Der schwerste Anschlag der vergangenen Wochen in Burkina Faso fand Mitte August zwischen Arbinda und Gorgadji statt, als mutmaßliche Dschihadisten einen Konvoi angriffen und 80 Menschen ermordeten. Unter den Opfern waren Soldaten, Zivilisten und Mitglieder von Selbstverteidigungsmilizen. Die katholische Bischofskonferenz sprach von einem „Akt der Barbarei“.

In Mali war zuletzt die Region Gao, die an den Niger grenzt, besonders betroffen. Angriffe auf die Gemeinde Ouatagouna mit mehr als 50 Toten bezeichnete die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen für Mali (Minusma) als eine „Verletzung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts“ und forderte eine Untersuchungskommission. Die Minusma ist derzeit mit knapp 13.000 Soldaten im Land; dazu kommen eine Reihe weiterer Militäroperationen wie Barkhane mit 5.100 Soldaten. Die französische Mission zur Terrorbekämpfung soll bis 2023 halbiert werden, da der überwiegend militärische Ansatz als gescheitert gilt. In Mali, aber auch in Frankreich hatten das Experten lange vor der Entscheidung von Präsident Emmanuel Macron betont.

Die Region mit rund 65 Millionen Bewohnern ist schließlich trotz der starken Militärpräsenz seit 2013 immer instabiler geworden. Nach Einschätzung des Welternährungsprogramms WFP sind heute 13,4 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen; knapp 2,1 Millionen sind in ihren Heimatländern auf der Flucht. Aktuell werden häufig Bauern beim Bewirtschaften ihrer Felder angegriffen. Das führt dazu, dass vielerorts Flächen brachliegen, was die schlechte Versorgungslage zusätzlich verschärft.

Betroffen ist auch das Bildungssystem. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung im Zentralsahel liegt bei 16,2 Jahren. Schon vor der Krise war Schulbesuch besonders auf dem Land keine Selbstverständlichkeit, vor allem nicht für Mädchen. Die wenigen Schulen waren schlecht ausgestattet, die Klassenräume mit 70 bis 80 Schülern völlig überfüllt. Seit 2017 haben sich im Sahel Anschläge auf Schulen versechsfacht, wie der im Februar gewählte nigrische Präsident Mohamed Bazoum kürzlich vor dem Weltsicherheitsrat betonte. Im Sahel sind daher knapp 5.000 Bildungseinrichtungen geschlossen; mehr als 700.000 Kinder haben keinen Unterricht; 20.000 Lehrer können nicht arbeiten. „Jede Schule, die geschlossen wird, ist ein Fenster, das sich schließt“, so Bazoum.

Das kann die Gewalt zusätzlich anheizen. Mitglieder der verschiedenen Terrorbewegungen wie der Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime (JNIM) und dem Islamischen Staat in der größeren Sahara (EIGS) verbreiten zwar eine salafistische Ideologie. Sie verbieten Feiern, den Gebrauch von Französisch, zwingen Frauen, sich zu verschleiern und planen Experten zufolge, ein Kalifat zu errichten. Doch auch Perspektivlosigkeit treibt junge Menschen in die Arme von Terroristen. Die US-Hilfsorganisation Catholic Relief Service sieht zudem Arbeitslosigkeit und entrechtete Jugendliche als ursächlich für die Gewalt an.

Neben einer Verbesserung der wirtschaftlichen Perspektiven mahnt die Denkfabrik International Crisis Group (ICG) mit Sitz in Brüssel außerdem bessere Regierungsführung an. Auch das Fehlen von Regierungshandeln hat letztlich dazu geführt, dass sich Terrorgruppen ausbreiten und große Teile der Bevölkerung ihr Vertrauen in den Staat verloren haben.