
Beim diesjährigen Monheimer Fachtag wurde engagiert über das Phänomen und Gegenmaßnahmen diskutiert.
(iz). An einem brütend heißen Tag begann am 1. Juli in der Aula am Berliner Ring der rheinischen Kleinstadt Monheim der diesjährige Fachtag zum Thema antimuslimischer Rassismus. Die Veranstaltung, organisiert vom Forum muslimischer Zivilgesellschaft (FmZ NRW), wurde durch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration gefördert. Ministerin Josefine Paul eröffnete gemeinsam mit Oberbürgermeister Frank Meyer, dem Gastgeber vor Ort, den Fachtag mit einer engagierten und fachkundigen Begrüßungsrede.
In der nur teilweise gefüllten Halle war die Tagung in ein vielfältiges Rahmenprogramm eingebettet. Dieses umfasste Impulsreferate und Einführungsvorträge von Dr. Sabine Schiffer sowie dem Soziologen Aladin El-Mafaalani, ergänzt durch ein kulturelles Begleitprogramm.
Den Abschluss bildete die Verleihung des Marwa El-Sherbini-Preises NRW 2025. Aus den Nominierten in drei Kategorien wählte die Jury in diesem Jahr Dr. Erika Amina Theißen (BfmF Köln), Frank Meyer (Oberbürgermeister Monheim) und die CLAIM Allianz als Preisträger:innen aus.
Gelungener Event
Zusammenfassend war dieser Fachtag erfolgreich. Die geladenen Impulsredner, das erste Podium sowie die Gesprächsrunde zum Thema Medien (leider mit Abstrichen) lieferten wichtige Impulse und leisteten im besten Sinne Bildungsarbeit.
Die Atmosphäre in den Gesprächskreisen war so harmonisch, dass eine breit angelegte Auseinandersetzung unterschiedlicher Standpunkte ausblieb. Unabhängig von variierenden Sichtweisen gebührt dem Bemühen, Betroffene von Muslimfeindlichkeit – darunter 70 % Frauen – nicht allein zu lassen, Respekt.
Foto: FmZ NRW, 2025
Bei dem Treffen der muslimischen Zivilgesellschaft fiel auf, dass das Thema mit einem begrenzten Maß an Meinungsvielfalt oder inhaltlichen Widersprüchen behandelt wurde. Allenfalls die pointierte Tonlage von Dr. Özcan Karadeniz (DeZIM) im ersten Plenum bildete eine Ausnahme. Inwieweit die in Monheim geführten Diskurse umfänglich vom breiten Kern der Community und praktizierenden MuslimInnen getragen werden, ist offen.
Die ReferentInnen räumten ein, dass das Monitoring von Diskriminierung stärker an die Bedarfe der betroffenen Communitys angebunden und ihre Angebote entsprechend angepasst werden müsste. Dieses Eingeständnis verdeutlicht die Lücke zwischen jener Zivilgesellschaft und realen Gemeinschaften.
Nicht diskutiert wurde die Frage nach der langfristigen Finanzierung solcher Einrichtungen: Beispiele aus dem Ausland und ostdeutschen Kommunen zeigen, wie politische Umbrüche oft zu einem abrupten Förderstopp führen.
Was tun mit der steigenden Muslimfeindlichkeit?
Im Juni veröffentlichte die CLAIM Allianz ihr Lagebild zur Muslimfeindlichkeit 2024. Dabei dokumentierten sie u.a. einen Anstieg von 60 % sowie, dass auch in diesem Zeitraum Musliminnen mit 70 % die größte Zahl der Betroffenen stellte (siehe unsere Berichterstattung in print, online und auf YouTube).
Insofern passte es, dass das entscheidende Podium zum Thema als Gespräch über die „institutionelle Reaktion auf anti-muslimischen Rassismus – Was kann eine Meldestelle leisten?“ konzipiert war. In der Runde befragte Halide Öztürk, Diplompädagogin, stellvertretende Bundesvorsitzende des SmF e.V. sowie Integrationsbeauftragte der NRW-Stadt Kaarst, ihre Gäste. Der erste Sprecher war Prof. Dr. Kemal Bozay von der Melde- und Dokumentationsstelle für antimuslimischen Rassismus (MEDAR). Es gehe darum, „die Diversität der verschiedenen Rassismusdimensionen sichtbar zu machen“.
Seiner Meinung nach ist „letztlich ein sehr gutes Produkt entstanden“. Unter diskriminierung-melden.nrw erhalten Betroffene Zugang. Sowohl Staat wie Öffentlichkeit seien an dem Projekt interessiert. Aber nicht nur. Es habe im „rechtspopulistischen und extrem rechten Lager“ Gegenbewegungen und vereinzelt Bedrohungen gegeben.
In anderen Kontexten habe man „durchaus Solidarität“ erfahren. In seinen Augen würden solche Meldestellen ein wichtiges Signal senden. Denn man wolle, dass antimuslimischer Rassismus in der Gesellschaft sichtbar gemacht wird. Der deutsch-kurdische Soziologe verwies darauf, dass diese Form der Diskriminierung längst institutionelle Ausmaße angenommen habe.
Batoul Abu-Yahya, Sozialwissenschaftlerin und Aktive aus Berlin, stellte im Namen von CLAIM dar, wie das aktuelle „Lagebild“ ihrer Einrichtung entsteht und welche Rolle das Netzwerk der Meldestellen dabei spielt. Meldungen nimmt der Verein per E-Mail entgegen; hinzu kämen Fälle, die bei den 26 Mitgliedsorganisationen eingingen. „Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen arbeiten wir mit einem einheitlichen Kategoriesystem, das überall identisch angewendet wird. Je nachdem, wie ein Fall eingestuft wird, wird er in unser System aufgenommen.“ Dabei sei „ganz klar“, dass die Dunkelziffer „immens“ sei.
Innerhalb spiele Vernetzung eine zentrale Rolle. Es sei offensichtlich, „dass ohne Zivilgesellschaft nichts funktioniert“ – und ebenso wenig, ohne die Betroffenen „direkt abzuholen“. Neben Monitoring (der Erfassung und Dokumentation von Vorfällen) sei die Netzwerkpflege von wichtig. Batoul Abu-Yahya betonte, dass man seit Kurzem verstärkt auf Themen wie Fortbildung, Sensibilisierung für antimuslimischen Rassismus und „Empowerment“ setze.
Sie sprach außerdem ein Problem an, das weit über die Tagungs- und FmZ-Mitglieder hinausreicht: Viele Vereine und Initiativen müssten sich „von Projekt zu Projekt hangeln“, oft ohne nachhaltige Finanzierung. Das wirke sich nicht nur nachteilig auf zivilgesellschaftliche Strukturen aus, sondern führe bei den Organisationen zu Unsicherheiten. Einerseits müsse geplant werden, andererseits würde man gerne Mitarbeitende längerfristig halten können.
Foto: Shutterstock.com
Meryem Mesfin ist engagierte Bildungsreferentin, Politologin und Poetry-Slammerin. Im Rahmen des Monheimer Fachtags vertrat sie die IHG Düsseldorf und brachte ihre Expertise aus Studium und Praxis in die Diskussion ein.
Im Gespräch mit Betroffenen antimuslimischer Diskriminierung stellte sie eine deutliche Diskrepanz zu gesellschaftlichen Umfeldern fest, in denen dieser nicht einmal als reales Problem anerkannt wird. Sowohl in politischen Auseinandersetzungen wie im Alltag werde Muslimfeindlichkeit weiter normalisiert. Sie bemängelte, dass sich die Debatte um Meldestellen vor allem auf deren Einrichtung verharre, während notwendige Konsequenzen aus dokumentierten Vorfällen ausblieben.
Prof. Dr. Michael Kiefer ist Professor für Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft mit dem Schwerpunkt muslimische Wohlfahrtspflege am Institut für Islamische Theologie (IIT) Osnabrück. Zu seinen Lehr- und Forschungsschwerpunkten zählen Soziale Arbeit und Migration, Wohlfahrtspflege, Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung sowie die Forschung zu Antisemitismus und Islamismus.
Aus seiner Sicht können staatliche Akteure und Institutionen beim Thema antimuslimischer Rassismus sowohl Teil des Problems wie der Lösung sein. „Oftmals sind sie beides zugleich.“. Es sei zu begrüßen, wenn Länder wie NRW entsprechende Einrichtungen trügen. Allerdings mangele es an kompetenter und niedrigschwelliger Beratung. Parallel herrsche im Umgang mit Muslimfeindlichkeit eine „anhaltende Stagnation“.
Nach seiner Einschätzung hätten die Stellen zur Erfassung vier Aufgaben: Erstens die Unterstützung der Betroffenen. Zweitens die Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema Diskriminierung – hier bestehe „enorm großer Bedarf“. Drittens lieferten die Meldestellen der Politik wichtige Zahlen und Daten, die eine gezielte Intervention ermöglichen. Viertens leisten solche Einrichtungen einen Beitrag zur sozialen Teilhabe.
Dr. Özcan Karadeniz arbeitet am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM). Die 2017 gegründete Stelle hat es sich zur Aufgabe gemacht, belastbare Datengrundlagen zu Themen wie Migration, Integration und Rassismus bereitzustellen. „Das bedeutet auch, dem Politikbetrieb eine empirische Basis zur Seite zu stellen“, so Karadeniz – valide Daten, auf denen Debatten im Land geführt werden können.
Für ihn ist nachweisbar, dass Schwankungen und Anstiege von Muslimfeindlichkeit mit „sogenannten Diskursereignissen“ zusammenhängen. Darunter versteht er spezifische soziale Strukturen, „die nach einer Aufmerksamkeitsökonomie funktionieren und gezielt Affekte sowie Emotionen mobilisieren“. Solche Auslöser können bspw. einschneidende Extremereignisse wie 9/11 sein, oder alltägliche Debatten, etwa im Zuge neuer Gesetzgebungsverfahren.
Empirisch lasse sich belegen, dass „kurz nach solchen Diskursereignissen der Anstieg an Gewalt zunimmt“. Zudem, so Karadeniz unter Verweis auf den aktuellen Bericht der EU-Grundrechteagentur (FRA), liege die Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle um ein Vielfaches höher als die offiziell gemeldeten Übergriffe.
Foto: Verein der Muslime in Potsdam e.V.
Fehlende Fragen
Ohne in Grundfragen abzugleiten, blieben selbst immanente Punkte ausgespart. Die Beiträge boten als Quintessenz kaum mehr als die Hoffnung auf die abstrakten Größen „Staat“ und „Gesellschaft“. Bei diesem etatistischen Denken setzten die Repräsentanten auf beide Abstraktionen als Lösung, während sie in der Analyse als Ursache genannt werden.
Wenn SprecherInnen wie Dr. Schiffer als Abhilfe für „Projektitis“ auf verstärkte „Institutionalisierung“ setzen, stellt sich die Frage nach Machbarkeit und Alltagstauglichkeit in der Polykrise. Machtverschiebungen deuten an, dass der Erhalt geförderter Projekte – um gar nicht von Ausweitung und Verstetigung zu sprechen – vom Willen der Geldgeber abhängt. Gegenwärtige Kulturkämpfe zeigen, wie sensitiv solche Finanzstrukturen von Machtverhältnissen abhängen.
Auch die in Monheim anwesende „Zivilgesellschaft“ wird nicht umhinkommen, bestehende Dynamiken anzuerkennen. Um das Gesamtbild der praktizierenden Muslime abzubilden, kommt sie nicht ohne den Input der Gemeinschaften sowie der repräsentativen Selbstorganisation aus.
Schon Prof. Dr. Yahya Birt hat für Großbritannien aufgezeigt, dass es einen kategorialen Unterschied zwischen Aktivismus und Repräsentation gibt. Diese Differenz gilt, selbst wenn die eine oder andere NGO für sich beansprucht, „im Namen der Muslime…“ zu sprechen.