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Muslime und ihre (angeblichen) Eigenschaften – ein Dilemma

(iz). Ein Mob marschiert vor einer Synagoge in Gelsenkirchen auf und attackiert eine Synagoge. Die jungen Muslime schwenken Fahnen und skandieren abscheuliche Losungen. Die Aktion ist vollkommen sinnfrei und abstoßend. Später ergeben tausende Meldungen darüber ein trübes Bild. Auch wenn praktische alle muslimische Organisationen sich von der Demonstration distanzieren, bleibt ein Eindruck, der durch pauschale Zuschreibungen verstärkt wird: „die“ jungen Muslime, Araber, Flüchtlinge.

Nun, die Bilder von Gelsenkirchen liefern auch Fakten: Ja, es gibt sie, die radikalen Muslim*innen. Das gesellschaftliche Interesse besteht nun darin, diese Gruppen klein und mit strafrechtlichen Mitteln im Zaum zu halten. Das ist auch im Interesse der muslimischen Community.

Gleichzeitig werden muslimische Organisationen aufgefordert, sich stärker am Kampf gegen Antisemitismus und Ideologie zu engagieren. Dabei bleibt allerdings offen, wie genau dies zu geschehen hat. Das Problem ist evident: Radikale Muslime sind schwer zu erreichen, Muslime, die dafür ansprechbar sind, missfällt der Kontext der pauschalen Verdächtigung. Statt Objekte von Maßnahmen der Deradikalisierung zu sein, möchten sie lieber endlich als gleichberechtigte Bürger*innen wahrgenommen werden.

Aber: Es nicht so, dass man nichts tun kann. Der aktuelle Konflikt im Nahen Osten zeigt, dass viele Muslim*innen sich anfällig zeigen für pauschale Verurteilungen und eine undifferenzierte, teilweise antisemitisch aufgeladene Israelkritik. Deutschland wird bezichtigt, einseitig Position zu nehmen. Der Streit der Parteien – zum Beispiel um die israelische Siedlungspolitik – wird überhört. Meinungen in Medien werden mit offizieller Regierungspolitik verwechselt.

Dennoch sollte man diese Muslime nicht einfach aufgeben. Hier gibt es einen großen Bedarf an Kommunikation. Parteien bieten wenig Foren an, in denen sachliche Kritik an der deutschen Nahostpolitik besprochen, ihre Version erklärt und realpolitische Zwänge dargestellt werden. Junge Muslim*innen mit Wurzeln im Nahen Osten, die Leid und Zerstörung hautnah erlebt haben, fehlt es an Verständnis für die historischen Belastungen der deutschen Vergangenheit.

Es gilt aber auch harte Kante zu zeigen – gerade von muslimischer Seite –, gegenüber ideologischen Gruppierungen, die Selbstmordattentate, selbstmörderische Taktiken oder Terrorismus als legitime Formen des „Widerstands“ ansehen. Hier ist zusätzlich die islamische Lehre gefragt, die in der Lage sein sollte, diese Formen der Aggression nicht nur klar zu benennen, sondern auch als unislamisch zu dekodieren. Viele junge Muslim*innen, die einfach nur aktiv sein wollen und die emotional aufgeladen sind, werden heute von ideologischen Scharfmachern beworben. Jede Moscheegemeinde sollte den Nahostkonflikt nicht etwa totschweigen, sondern hier entsprechend lehren, wirken und klare Positionen beziehen.

Es gibt andere kleine – ja, kaum relevante Aktionen –, die aber doch helfen können. Seit Jahren führe ich muslimische Jugendliche durch Weimar, der Stadt der deutschen Klassik. Hier kann auf einer einmaligen Bühne vieles vermittelt werden: die Ideale der deutschen Klassik und das Konzentrationslager Buchenwald in Sichtweite, das Gau-Forum der Nazis und das Schillerhaus, die Widersprüche und Hoffnungen der deutschen Geschichte sowie Goethes verstehende Annäherung an den Islam und seine Kritik an dogmatischer oder ideologischer Religionsausübung. Ich habe noch keinen Jugendlichen erlebt, der nicht versteht, dass diese Stadt ein wichtiger Anknüpfungspunkt für ein konstruktives deutsch-muslimisches Selbstbewusstsein darstellt. Gerade junge Flüchtlinge könnten hier von der Zivilgesellschaft künftig angesprochen werden.

Die Lage, so problematisch sie erscheinen mag, wandelt sich nur mit einer positiven Einstellung. Die absolute Mehrheit der jungen Muslime hat mit Gewalt nichts am Hut, hat genug von Ideologien welcher Couleur auch immer und ist für ein offenes Gespräch zu haben.

In meiner Kleinstadt leben hunderte junge Muslime aus Syrien. Ein Gespräch mit diesen Jugendlichen bleibt mir in Erinnerung. Ich habe sie gefragt, was ihnen an Deutschland gut gefällt. Antwort: „Das uns die Polizei nicht schlägt und man niemanden bestechen muss!“ Sie kannten das Wort „Rechtsstaatlichkeit“ noch nicht, aber wussten dennoch, was es bedeutet. Sie, und nicht der Mob in Gelsenkirchen, sind die Mehrheit.