Bündel an Regelungen muss zur Zustimmung in den Landtag

'Id-Gebet der Schura Niedersachsen.
Schura Niedersachsen

Hannover (Stk. Niedersachsen). Die Niedersächsische Landesregierung hat am 14. Dezember die Entwürfe zu den beab­sichtigten Verträgen des Landes mit den islamischen Religionsgemeinschaften Ditib und Schura sowie mit der Religionsgemeinschaft der Alevitischen Gemeinde Deutschland zu­stimmend zur Kenntnis genommen. Die Vertragsentwürfe werden jetzt den Landtagsfraktionen zur wei­teren Erörterung zugeleitet.
Die Verträge sollen einerseits die Rechte und Bedürfnisse der Menschen islamischen und alevitischen Glaubens in Niedersachsen benennen und bestäti­gen. Andererseits sollen auch deren Beiträge und Verpflichtungen im Hinblick auf eine aktive Gestaltung des vielfältigen gesellschaftlichen und religiösen Lebens im Land festgehalten und eingefordert werden. Eine rechtliche Gleichstellung mit den Kirchen erfolgt nicht. Bei den Vertragsverhandlungen wurde großer Wert auf die Verankerung der dem Vertrag zugrunde lie­genden Grundwerte der Verfassung gelegt, wie beispielsweise die Gleichberechtigung von Mann und Frau.
Die in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger muslimischen und alevitischen Glau­bens hätten das berechtigte Anliegen, ihre Religion offen zu leben, als Mitglieder der niedersäch­sischen Gesellschaft anerkannt zu werden und gleichberechtigt an ihr teilzuhaben, sagte Kultus­ministerin Frauke Heiligenstadt. In diesem Sinne solle mit den Verträgen ein Zeichen des Res­pekts und der Akzeptanz (…) gesetzt werden.
Die mit den Vertragspartnern vereinbarten Regelungen beziehen sich auf eine Vielzahl von Regelungsgegenständen. Dabei geht es beispielsweise um religiöse Feiertage oder den Bau und Betrieb von Moscheen oder von Cemhäusern (alevitische Versammlungs- und Gottes­häuser). Auch das Bildungswesen, die Frage des Religionsunterrichts sowie Regeln hinsicht­lich der Zulässigkeit des Tragens des islamischen Kopftuchs durch Lehrerinnen an öffentli­chen Schulen in Niedersachsen werden in den Vertragsentwürfen aufgegriffen.
Weitere Punkte umfassen die Seelsorge im Justizvollzug, die Mitgliedschaft in verschiedenen Gre­mien, die Frage der Gewährleistung von Vermögensrechten sowie eine finanzielle Unterstüt­zung der Religionsgemeinschaften. Die vorgesehenen Regelungen haben teilweise rein de­klaratorischen Charakter (sie geben also nur die bereits geltende Rechtslage wieder) oder set­zen mit einer Absichtserklärung ein Willkommenssignal im Sinne der oben genannten Zielset­zung der Verträge.
Zum Teil sind in den Vertragsentwürfen auch konkrete Handlungspflichten oder Verpflichtun­gen des Landes geregelt. Dazu gehören:
Feiertagsregelung
Die Landesregierung verpflichtet sich, ein Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Nie­dersächsischen Gesetzes über die Feiertage einzubringen. Dadurch wird der Gesetzgeber jedoch nicht gebunden. In den Verträgen werden lediglich die angestrebten Änderungen des Feiertagsrechts beschrieben. Danach soll Beschäftigten eine Teilnahme an religiösen Veran­staltungen ermöglicht werden, wobei sie keinen Anspruch auf eine bezahlte Freistellung erhal­ten sollen. Auch eine entsprechende Unterrichtsbefreiung für Schülerinnen und Schüler soll gewährt werden können.
Religiöse Betreuung in besonderen Einrichtungen
Seelsorgerinnen und Seelsorger sollen laut Vertragsentwurf Zugang zu landeseigenen Kran­kenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Hospizen erhalten. Religiöse Betreuung umfasst die Vor­nahme seelsorgerischer, ritueller und religiöser Handlungen. Sollte ein andauerndes Bedürfnis nach Räumlichkeiten zur Vornahme dieser Handlungen bestehen, so sieht der Vertragsentwurf vor, dass das Land geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung stellen wird.
Seelsorge im Justizvollzug
Die seit 2012 bestehenden Regelungen des Justizministeriums mit DITIB und Schura werden auch für die Alevitische Gemeinde übernommen. Danach sollen künftig auch Seelsorgerinnen und Seelsorger alevititschen Glaubens vom Niedersächsischen Justizministerium berufen und seelsorgerisch im Justizvollzug tätig werden dürfen.
Finanzielle Unterstützung
DITIB, Schura und die Alevitische Gemeinde erhalten über einen Zeitraum von fünf Jahren je bis zu 100.000 Euro jährlich als Anschubfinanzierung zum Aufbau von Geschäftsstellen. Die Regelungen der Landeshaushaltsordnung sind Grundlage dieser Zuwendungen. Die Ge­schäftsstellen sollen die Umsetzung der vorliegenden Verträge ermöglichen. Die Religions­gemeinschaften sollen jeweils in die Lage versetzt werden, Strukturen zu schaffen, um dem Land auch auf Dauer als verlässliche Ansprechpartner in Angelegenheiten der gemeinsamen Beziehungen zur Verfügung zu stehen.
Zu den Regelungen mit rein deklaratorischem Charakter gehören zwei Artikel der Vertragsent­würfe zur Bekleidungsfreiheit (Kopftuch) und zu Gebetsmöglichkeiten in Schulen. Der jüngsten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zu Bekleidungsvorschriften an Schule folgend (Beschluss vom 27. Januar 2015 zu Az. 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10) gibt die Regelung im Vertragsentwurf den Kerninhalt der Entscheidung des Bundesverwal­tungsgerichtes wieder. Es wird klargestellt, dass Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in Nie­dersachsen danach das Recht haben, sich dort frei für oder gegen das Tragen eines Kopf­tuchs aus religiösen Gründen zu entscheiden. Die Regelung nimmt dabei Bezug auf die Feststellung des Gerichts, wonach „ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Artikel 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes nicht vereinbar ist“. Ein Verbot kann nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dann zulässig sein, wenn das äußere Erscheinungsbild der Lehrkraft zu einer hinreichend konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität führt.
Nach fünf Jahren soll – so sieht es eine der Verpflichtungserklärungen vor – die Anpassung der Verträge geprüft werden. Die Verträge sind als öffentlich-rechtliche Verträge unter den in § 60 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Nie­dersächsischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (NVwVfG) genannten Voraussetzungen kündbar.
Schließlich ist in den Verträgen geregelt, dass diese zu ihrem Inkrafttreten der Zustimmung des Niedersächsischen Landtags bedürfen. Hintergrund ist zum einen die vom Land einge­gangene Verpflichtung zur Zahlung einer finanziellen Unterstützung der Religionsgemein­schaften. Zum anderen ist es das Ziel der Vertragsverhandlungen, Regelungen zu finden, die – von einer hohen gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz getragen – geeignet sind, die ge­schaffene Vertrauensbasis weiterzuentwickeln. Dazu ist sollen die Verträge von einem brei­ten gesellschaftlichen Konsens getragen werden. Diesem Ziel dient die angestrebte Legiti­mation der Verträge durch den Gesetzgeber.