Obama: Noch keine Syrien-Entscheidung

Noch immer sei in der Syrien-Frage nichts entschieden, sagt Obama. Tatsächlich zeichnet sich ab, dass alles auf einen kurzen und knappen Einsatz in dem Bürgerkriegsland hinausläuft. Obama fragt: Wer soll reagieren, wenn nicht die USA?

Washington (dpa). US-Präsident Barack Obama hat nach eigenen Angaben noch keine Entscheidung über eine Militärintervention gegen das syrische Regime getroffen. Er erwäge aber einen „begrenzten“ und „eingeschränkten“ Einsatz, sagte er am Freitag im Weißen Haus in Washington. Was auch immer die USA unternähmen, es sei kein großer Einsatz. „Ein unbefristetes Engagement ziehen wir nicht in Erwägung“, betonte Obama. Es würden auch keine Bodentruppen eingesetzt.

Eine US-Antwort auf die Angriffe in Damaskus solle sicherstellen, dass Syrien und die Welt verstünden, dass der Einsatz von Chemiewaffen nicht zugelassen werde. „Die Welt hat eine Verpflichtung, sicherzustellen, dass wir die Norm gegen den Einsatz chemischer Waffen aufrechterhalten“, sagte Obama. Zudem bestehe das Risiko, dass solche Waffen in die Hände von Terroristen fielen und später einmal „gegen uns“ verwendet würden, sagte Obama.

Kerry sieht Beweise
Außenminister John Kerry sprach zuvor von klaren und schlüssigen Beweisen gegen das Regime in Damaskus. Bei der Attacke am 21. August seien 1429 Menschen getötet worden, darunter mindestens 426 Kinder. Dies sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die USA würden darauf entsprechend reagieren, sagte Kerry in einer hochemotionalen Erklärung in Washington.

Die Welt stehe nach dem Geschehen in Syrien vor einer Herausforderung, sagte Obama. „Eine Menge Leute denken, dass etwas getan werden sollte, aber niemand will es tun.“ Der US-Präsident hatte nach einer Debatte im britischen Parlament den Rückhalt Großbritanniens für eine mögliche Syrien-Intervention verloren. Die Welt dürfe von dem Giftgas-Einsatz rund um Damaskus nicht „paralysiert“ werden – trotz aller „Kriegsmüdigkeit“ und „Verlockungen“, die Reaktion auf den Vorfall anderen zu überlassen, sagte Obama.

Mitglieder des US-Kongresses sollten am Freitagabend bei einem vertraulichen Treffen über die Lage in Syrien informiert werden. Dabei dürften auch Beweise auf den Tisch kommen, die in dem am Freitag veröffentlichten Bericht der US-Regierung über den Giftgaseinsatz nicht enthalten sind, um Informanten zu schützen, wie es darin hieß.

Was ist eine begrenzte Antwort?
Zuvor hatten hochrangige Regierungsvertreter am Freitag vor Journalisten gesagt, dass eine „begrenzte militärische Antwort“ zur Diskussion stehe, die auf das Problem chemischer Waffen in Syrien „zugeschnitten und fokussiert sei“. Obama habe sein Militär und seine Berater gebeten, eine große Auswahl an Optionen in Betracht zu ziehen.

Unterdessen beendeten die Chemiewaffenexperten der Vereinten Nationen am Freitag ihre Untersuchungen in Syrien; einige Mitglieder des Teams reisten noch am selben Tag ab. Wann der Bericht der Experten vorgelegt werden könne, sei noch unklar, sagte ein UN-Sprecher in New York.

Solange sich die UN-Experten in Syrien aufhielten, galt ein westlicher Militärschlag als unwahrscheinlich. Insgesamt befanden sich am Freitagabend nach Angaben der Vereinten Nationen noch mehr als 1000 UN-Mitarbeiter in Syrien.

Bericht lässt auf sich warten
Nach dem Abschluss der Syrien-Mission der UN-Chemiewaffenexperten ist nach Angaben der Vereinten Nationen noch unklar, wann ein Untersuchungsbericht veröffentlicht werden kann. „Es gibt da keinen Zeitplan“, sagte ein UN-Sprecher am Freitag in New York. „Es gibt technische Beschränkungen, wie schnell die Proben in den Laboren untersucht werden können.“

Alle gesammelten Informationen und Proben müssten zunächst vollständig analysiert werden, bevor ein Bericht an UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und die Öffentlichkeit übergeben werden könne. Es werde alles getan, um die Untersuchung der Proben zu beschleunigen.

Aus westlichen Diplomatenkreisen hieß es jedoch am Freitag, es werde mindestens 10 bis 14 Tage dauern, bis die Ergebnisse vorliegen könnten. Schneller sei ein solcher Bericht nicht zu erstellen, habe Teamleiter ¿ke Sellström Ban mitgeteilt. Ursprünglich habe Sellström sogar vier bis sechs Wochen Zeit veranschlagt.

Nach derzeitiger Planung sollen die Chemiewaffen-Inspekteure zu einem späteren Zeitpunkt nach Syrien zurückkehren, um ihre Mission fortzusetzen. Dann wollen sie sich der drei Vorfälle annehmen, die sie ursprünglich bei der jetzt beendeten Mission hatten untersuchen sollen. Wann genau die nächste Reise stattfinden könnte, sei jedoch noch unklar, sagte der UN-Sprecher.

Das Experten-Team habe am Freitag ein Militärkrankenhaus in Damaskus besucht und dort Patienten und Ärzte befragt. Danach habe das Team seine Sachen gepackt und werde am Samstag zurück nach Den Haag reisen. Einige der beteiligten Dolmetscher hätten Syrien bereits am Freitag wieder verlassen. Insgesamt befänden sich derzeit jedoch noch mehr als 1000 UN-Mitarbeiter in Syrien.

Nach der Rückkehr nach Den Haag würden die gesammelten Proben des Expertenteams in verschiedenen Laboren in Europa untersucht. UN-Generalsekretär Ban habe am Freitagmorgen mit dem Teamleiter Sellström telefoniert und werde sich am Samstag mit der dann aus Damaskus zurückgekehrten Leiterin der UN-Abteilung für Abrüstung, Angela Kane, in New York treffen. Bei einem Treffen habe Ban am Freitagmorgen (Ortszeit) die Veto-Mächte des Sicherheitsrats – Großbritannien, Russland, China, Frankreich und die USA – über die Arbeit von Sellströms Team informiert.

Politische Blamage für Obama?
Geradezu trotzig reagierte das Weiße Haus auf das Nein im britischen Parlament zu einem Militärschlag in Syrien. „Wir haben das Resultat der Abstimmung gesehen“, konstatierte kühl die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, Caitlin Hayden – um sofort nachzulegen, dass sich die USA davon nicht beeinflussen ließen. „Wie wir bereits sagten, wird Präsident Obamas Entscheidung von den besten Interessen der Vereinigten Staaten abhängen.“

Haydens Worte sollten entschlossen wirken – sie konnten aber nicht verhehlen, dass nicht nur Premierminister David Cameron gerade eine krachende Niederlage erlitten hatte. Auch ihr Chef steht plötzlich wie ein im Stich gelassener Verlierer da. Nun könnte Barack Obama sogar die größte Blamage seiner Präsidentschaft drohen.

Ein Jahr nachdem er die „rote Linie“ bei einem Chemiewaffeneinsatz des Regimes von Machthaber Baschar al-Assad gezogen hat, wollte er nun „internationale Konsequenzen“ folgen lassen. Seit einer Woche lässt er die Kriegstrommeln tönen, von Raketenschlägen ist die Rede. Doch immer mehr stellt sich heraus, dass er die Rechnung ohne seine Alliierten gemacht hat.

Am Freitagnachmittag war er auf sich allein gestellt, als er ankündigte, „einen begrenzten Einsatz“ in Syrien zu erwägen. Von einer Koalition mit anderen Ländern sprach er da nicht mehr, sondern bemerkte frustriert: „Eine Menge Leute denken, dass etwas getan werden sollte, aber niemand will es tun.“

Die Franzosen brauchen Zeit, Deutschland will erstmal nicht, im UN-Sicherheitsrat gibt es kein Vorbeikommen an den Russen und Chinesen. Und ausgerechnet das britische Parlament lässt den „engsten Verbündeten“ im Regen stehen. Dabei war es Cameron, der Obama geradezu zu einer Reaktion in Syrien gedrängt hatte. Für die „spezielle Beziehung“ beider Staaten sieht es nun düster aus. Zur Not macht man es eben allein, verlautet genervt aus Washington.

„Es geht hier, und das wird immer deutlicher, um ein Glaubwürdigkeitsproblem, das Obama hat. Wenn er nicht handelt, steht er vor der ganzen Welt als Duckmäuser da“, sagte Carlo Masala, Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München, dem TV-Sender n-tv.

Was sich Obama ohne Not mit der „roten Linie“ eingebrockt hat, könnte als seine größte außenpolitische Dummheit in die Geschichtsbücher eingehen. Er würde nun aus Scham Raketen abfeuern müssen, beklagt der einflussreiche konservative Kolumnist Charles Krauthammer. „Ein Präsident schickt seine Soldaten nicht in einen Krieg, für den er keinen Enthusiasmus verspürt.“

Doch nicht nur aus dem Ausland erhält Obama steifen Gegenwind. Nach einer am Freitag vom TV-Sender NBC veröffentlichten Umfrage sind 50 Prozent der Amerikaner gegen einen größeren Militäreinsatz. Die Syrien-Krise hat bereits jetzt kräftig an den Zustimmungswerten des Präsidenten gekratzt. Nur noch 41 Prozent der Amerikaner stimmen seiner Außenpolitik zu. Vor einem Monat waren es noch 46 Prozent.

Gravierend ist, dass 79 Prozent der Befragten eine Zustimmung durch den Kongress zur Bedingung für einen Militäreinsatz machen. Die wäre aber alles andere als sicher: „Es hätte keine rote Linie gezogen werden sollen, ohne vorher einen strategischen Plan aufzustellen und unsere Ressourcen einzuschätzen“, sagte der ranghöchste Republikaner im Verteidigungsausschuss des Senates, Jim Inhofe.

Was ihm die Parlamentarier am meisten übelnehmen: Sie fühlen sich in die Irre geführt. Fast täglich kommen widersprüchliche Signale aus der Regierung, die meisten landen anonym in den Zeitungen. Offiziell heißt es, die Beweise gegen Assad seien glasklar. John Kerry sprach am Freitag emotional von den 1429 Opfern des Assad-Regimes, darunter 426 Kinder. Doch hinter vorgehaltener Hand hieß es bis dahin immer wieder, die Geheimdiensterkenntnisse seien „keine todsichere Sache“ und „nicht eindeutig“. Da hat so mancher ein Déjà-vu. Das sei kein zweites Irak, muss Kerry versichern.

Seine Sprecher und Minister ließ Obama ausrichten, es werde eine „harte Reaktion“ gegen Assad geben. Er selbst sprach in einem TV-Interview aber nur von einem „Schuss vor den Bug“. Nicht nur in der Presse erntet er deswegen Spott: „Wir können uns an keinen anderen Präsidenten erinnern, der als Ziel ausgab, sein militärisches Ziel zu verfehlen“, schreibt das „Wall Street Journal“.

In der eigenen Partei hat Obama aber auch Unterstützer: „Dies ist kein Moment, um wegzuschauen und die schrecklichen Bilder in Syrien auszublenden“, sagte der demokratische Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Senat, Robert Menendez. Das würde „ein gefährliches Signal an die Weltgemeinschaft senden, dass wir den Einsatz chemischer Waffen ungestraft lassen“.