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Ökonomie: Auch Muslime meiden das Thema

Ausgabe 365

Rana Plaza Textilindustrie ökonomie
Foto: Janar Siniväli, Adobe Stock

Unter muslimischen Mediennutzern ist das Interesse an Fragen der Ökonomie und Wirtschaft zu gering. Ein Kommentar zum innermuslimischen Diskurs.

(iz). Ein großer Teil des Alltags ist direkt oder indirekt von Ökonomie geprägt – durch Arbeit, Verbrauch und Dienstleistungen. Befragungen zeigen, dass rund ein Drittel bis die Hälfte der wachen Tageszeit mit ökonomisch relevanten Tätigkeiten verbunden ist.

Nimmt man Konsum hinzu (Einkäufe, Preisvergleiche, Mediennutzung mit Werbung oder Finanzentscheidungen), kann man ausgehen, dass ca. 35-45  % des Alltags im weiteren Sinne so dominiert sind.​ Angesichts dieser Hegemonie überrascht es, in welch geringem Maße er unter MuslimInnen reflektiert wird.

Iftar Nachhaltigkeit

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Zu den Unterteilungen im Verständnis von Allahs Din gehört die von „‘Ibadat“ und „Mu’amalat“. Der erste Begriff beschreibt Aspekte der Anbetung in ihrer individuellen wie gemeinschaftlichen Form – von der Gebetswaschung bis zur Abfolge der Hajj-Rituale.

Mit Mu’amalat bezeichnet man Regelungen für zwischenmenschliche und ökonomische Beziehungen: das Gebiet der sozialen, zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Geschäfte unter Menschen.​

Darunter fallen u.a. Verträge und Handel, Schulden, Darlehen sowie Kredite, anvertraute Güter und Schenkungen. Dabei stützen sich die Juristen für sie auf dieselben Rechtsquellen wie bei den ‘Ibadat: Qur’an, Sunna, Konsens der Gelehrten, das Vorbild der Leute von Medina, Qiyas u.v.a.m. Ein Blick in die wesentlichen Rechtsbücher der formativen Frühphase des Rechts zeigt, dass sie ca. ein Drittel aller Kapitel ausmachen.

Bei kernökonomischen Fragen sind es – je nach Text – 15-25 Prozent der Inhalte. Ein Blick auf die Biographie des Propheten und seiner engsten Gefährten zeigt, wie wichtig Handel war.

Der Gesandte Allah handelte vor der Offenbarung mit Waren und war bekannt für seine Vertrauenswürdigkeit (Al-Amin), was seine spätere ethische Autorität im Wirtschaftsleben untermauerte. Kaufen bzw. Verkaufen – und Unternehmertum insgesamt – galten seitdem als Hauptquelle der Versorgung.

Gehen wir in die Jetztzeit, zeigt sich eine krasse Veränderung im Verständnis und der Prioritätensetzung. Dafür gibt es mindestens zwei Indikatoren: Im Rahmen der umfangreichen FAU-Erhebung „Wechselwirkungen“ (siehe S. 10) wurden die zentralen Freitagspredigten der beiden größten türkischgeprägten Moscheeverbände (DITIB und IGMG) thematisch kategorisiert.

Bei den 1065 Khutbas der IGMG von 2006-2024 behandelten 19 Predigten das Thema „Wirtschaftsethik“. Bei der DITIB (672 erfasst, 2011-2023) waren es 13 Stück. Hier ist anzumerken, dass sich einige davon im wiederholten oder auf das Individuum fokussierten.

Freitagsgebet

Foto: W. Dechau

Es sieht in der akademischen Wissensproduktion, namentlich der „Islamischen Theologie“ kaum anders aus. Ein erster Blick auf im Netz verfügbare Dissertationslisten einiger Lehrstühle ergibt Folgendes: Von den 137 angegebenen offenen oder abgeschlossenen Dissertationen behandelten 3-4 ökonomische Fragen.

Hierbei gilt es anzumerken, dass mindestens zwei von ihnen „Islamic Banking“ bzw. „Islamic Finance“ behandeln; ein Geschäftszweig, dem eine Wissenschaft, die sich der Kritik als Methode verschrieben hat, erstaunlich unkritisch begegnet wird.

Dieses offenkundige Desinteresse hat verschiedene Ursache. Für Muslime als „Konsumenten“ von Medien und Diskursen gilt das Gleiche wie in der Gesamtbevölkerung: Alles um Wirtschaft und Finanzen ist „unsexy“. Hinzukommt wie im Rest der Republik eine niedrige Grundbildung bei ökonomischen Fragen. Dafür sind sie zu komplex und machen zu viele „Kopfschmerzen“.

Für Muslime spezifisch ist einerseits ein gewisses „Schubladendenken“, das sich rein auf die ‘Ibadat fokussiert und versucht, den Rest in das Weltbild zu integrieren. Andererseits eine Vorstellung, man sei machtlos und damit kein Akteur mit einer eigenen Verantwortung gegenüber unserem Herrn und Seiner Schöpfung. Nur: Wie können wir von uns behaupten, in der Nachfolge des Gesandten Allahs zu stehen, und dabei die prophetische Wirtschaftsethik ignorieren?

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