Offener ​Brief an Björn Thümler

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Stellungnahme des DITIB-Landesverbandes Niedersachsen zu den aktuellen Staatsvertragsverhandlungen in Niedersachsen und dem damit verbundenen abgegebenen Statement der CDU Niedersachsen:

Sehr geehrter Herr Thümler,

leider mussten wir erneut feststellen, dass Sie lieber mit der Presse sprechen, als den Kontakt zu den eigentlichen Akteuren suchen, so wie Sie es in den letzten Monaten schon öfter getan haben. Und da dieser Umstand so kurz vor den Kommunalwahlen stattfindet, sehen wir in Ihrem, aus unserer Sicht, politisch unprofessionellem Verhalten, leider nichts mehr, als dass sie endgültig gewissen politischen Rändern gerecht werden und diese anscheinend befriedigen möchten.
Sie sind es doch, der immer wieder eine besseren „Integration“ der hiesigen Muslime fordert. Wir fragen Sie als Interessenvertreter aller Bürger in Niedersachsen, wie Ihnen das gelingen soll, wenn Sie ständig versuchen, gerade diesen Teil der Gesellschaft zu diffamieren, bewusst zu ignorieren, zu demotivieren und sie somit in die Entfremdung führen. Stellen Sie sich gelegentlich die Frage, was Sie für die bessere „Integration“ tun können, außer populistische Verschwörungstheorien im Stil von Boulevardblättern zu verbreiten? Die Muslime nicht auf Augenhöhe zu begegnen, die Ängste und Wünsche nicht zu respektieren, Ihre Religion, Kultur und Traditionen nicht Ernst zu nehmen, und somit sie nicht als Vollmitglied der Gesellschaft zu akzeptieren, halten wir für den falschen Weg. Gerade ihr Weg enttäuscht diese Menschen immer wieder.
Mit Ihren derzeitigen Statements diskreditieren Sie derzeit die Verdienste der Religions-, Dialog- und Integrationsarbeit zehntausender ehrenamtlich Engagierter. Steht das C in Ihrer Partei nicht für christliche Werte? Oder möchten Sie in Niedersachsen mit dem C nur Christen repräsentieren?
Mit Ihren immer wieder gleichen Vorurteilen und sachfremden Ressentiments, haben sie leider das gesamtgesellschaftliche Ziel aus den Augen verloren. Nämlich ein friedvolles und gedeihliches Miteinander. Schulter an Schulter, egal welcher Religion, Rasse, Geschlecht, etc. man angehört.
Wir finden es gefährlich, wenn Ihrerseits derartig ausgrenzende Vorwürfe gemacht werden und die Muslime weiter stigmatisiert werden. Leider werden dadurch nur antidemokratische und rassistische Gruppierungen weiter beflügelt. Die Statistiken bzgl. islamophober Straftaten sprechen leider Bände. Dass nun diese Sprache, und gerade Ihre Argumentation, demokratische Parteien und damit die Mitte der Gesellschaft erreicht, muss uns alle alarmieren. Sämtliche Unterstellungen der Fremdsteuerung, der politischen Einflussnahme aus der Türkei, der politischen Agitation und der damit verbundenen angeblichen Nicht-Zuständigkeit unserer Religionsgemeinschaft als Ansprechpartner zu fungieren, weisen wir aufs Schärfste zurück.
Wir verwehren uns entschieden gegen eine Instrumentalisierung unserer Gemeinden und Mitglieder für zwischenstaatlichen Konflikte oder parteipolitische Auseinandersetzungen.
Die DITIB Islamische Religionsgemeinschaft Niedersachsen und Bremen hat eine Kooperation mit der Religionsbehörde Diyanet in der Türkei. Die Religionsgelehrten der lokalen Moscheegemeinden sind Angestellte dieser Behörde und beziehen aufgrund dessen Ihr Gehalt von dieser. Dieser Umstand ist sowohl in Niedersachsen als auch auf der ganzen Welt nichts Neues. Diese Kooperation bestand schon unter vielen türkischen Vorgängerregierungen und ist kein Novum der AKP-Regierung. Nicht zu vergessen, dass diese Kooperation auch schon unter vielen niedersächsischen Vorgängerregierungen bestand. So auch unter einer CDU Landesregierung. Abgesehen davon, dass hier geltendes Recht beachtet wird, fragen wir uns, was sich seitdem an dem Umstand geändert hat, als die CDU mit der DITIB den Gefägnisseelsorgevertrag unterzeichnet hat? Was hat sich geändert, seitdem die DITIB gemeinsam mit der CDU in vorbildlicher Manier für alle anderen Bundesländer den Islamischen Religionsunterricht nach Art. 7 III Grundgesetz eingeführt hat? Nichts! Außer, dass die CDU nun in Opposition ist. Was hat sich seit dem Zeitpunkt geändert, als die CDU kurz vor der letzten Landtagswahl einen Vertrag den Islamischen Religionsgemeinschaften vorgelegt hat, der bei weitem inhaltlich mehr bot, als die jetzigen CDU-Vorschläge? Berechtigt ist somit unsere Frage, ob die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere das Verfassungsrecht, durch die CDU nur in regierenden Zeiten auf Muslime angewendet wird.
Zusammenfassend möchten wir Ihnen nochmals gerne etwas mit auf den Weg geben, in der Hoffnung, dass auch Ihr gesamtgesellschaftlicher Horizont sich erweitert: Die DITIB ist schon immer bevorzugter Partner von Stadt, Kreis und Land gewesen. Schon immer hat die DITIB sich als berechtigter und kompetenter Ansprechpartner in viele zivilgesellschaftlichen Prozesse eingebunden und Verantwortung für Themen der Mehrheitsgesellschaft übernommen.
Immer wieder gab es Tiefschläge gegen die muslimische Bevölkerung in Niedersachsen, sprich Islamisten-Checklisten, Moscheeübergriffe, verdachtsunabhängige Moscheekontrollen, Kopftuchverbote und und und (übrigens immer aus der CDU-Feder). Niemals hat die muslimische Bevölkerung in Niedersachsen die Problemlösung im Ausland gesucht, sondern immer bei den zuständigen Ansprechpartnern vor Ort.
Behauptungen die Moscheegemeinden wären ein Sprachrohr einer türkischen Regierung, entmündigen uns als aktiver und gleichberechtigter Mitbürger dieses Landes. Bei Meinungsverschiedenheiten sind wir stets den Weg des Kompromisses und der Vernunft gegangen. Unser Ziel war und ist es bis jetzt, die Interessen der Muslime in Niedersachsen zu vertreten, deren Rechte und Pflichten einzuholen und für eine friedfertige Gesellschaft einzustehen. Wenn man uns als Religionsgemeinschaft auf Augenhöhe begegnet, wird dies auch weiter unser Weg sein.
Und um Ihren DITIB-Horizont zu erweitern: Es wäre von Vorteil zu wissen, dass die Mitglieder der DITIB Gemeinden heterogen sind. In ihren Reihen gibt es natürlich politisch Interessierte. Und zwar wiederum breit gefächert von AKP, CHP, MHP, aber auch SPD, Grüne, CDU, FDP und Linke. Aber es gibt auch politisch Desinteressierte. Es gibt Mitglieder, die kaum Interesse an der Religionsausübung haben, aber auch Menschen, die von sich aus, sich selber als sehr religiös einstufen würden. Diese Heterogenität der Mitglieder spiegelt sich auch in den Vorständen wieder. Man mag es kaum glauben, aber es gibt auch Vorstandsmitglieder, die nicht türkischstämmig sind.
Wir hoffen, dass dieser traurige Höhepunkt Ihrer politischen Arbeit, nicht die Spitze des Eisbergs ist.
Weiterhin hoffen wir auf eine vernünftige und sachliche Debatte. Kritik ja, aber nur wenn sie angebracht, konstruktiv und insbesondere nicht pauschale AFD-Parolen beinhaltet.
Wir würden uns wünschen, dass endlich Themen wie NSU, Rechtsextremismus, Islamfeindlichkeit, Neo-Salafismus, Chancengleichheit, Flüchtlingsarbeit und andere wichtige Themen, die wir gemeinsam bewältigen müssen, auf Ihrer Agenda stehen würden.
Zum Schluss möchten wir gerne noch die Frage aufwerfen: warum tragen immer nur Sie außenpolitische Angelegenheiten nach Niedersachsen, projizieren diese in diese Gesellschaft und vergiften somit das Klima? Wir können uns jedenfalls nicht daran erinnern, dass wir z.B. Türkei-spezifische Angelegenheiten, egal ob Ihrerseits kritisch oder unkritisch, versucht haben, in niedersächsischen Behörden zu klären. Wer das tut, sollte schnellstens an seiner Rechtsstaatlichkeit geprüft werden.
i.A.
Emine Oguz
Geschäftsführung

2 Kommentare zu “Offener ​Brief an Björn Thümler

  1. Ich habe das Gefühl, dass die deutsche Gesellschaft noch nicht wirklich realisiert hat, dass Muslime längst Teil unserer Gesellschaft sind und gleiche Rechte und Pflichten haben, wie alle anderen auch. Außerdem habe ich das Gefühl, dass diejenigen Akteure, die ständig eine bessere Integration von Muslimen und einen “Europäischen Islam” fordern, alles daran setzen, entsprechende Bemühungen zu torpedieren. Die Behauptung einer vermeintlichen Fremdsteuerung dient ganz offensichtlich einzig dem Ziel, einen Ansprechpartner zu diskreditieren. Was dann wiederum dazu führt, dass die Gespräche / Verhandlungen boykottiert werden. Alles in allem ein sehr unfaires Verfahren gegenüber den Muslimen in Deutschland. Dabei geht es meiner Ansicht nach bei den Türken oder Türkischstämmigen in Deutschland längst nicht mehr um Integration. Wer in der zweiten oder dritten Generation hier lebt, also hier geboren wurde, muss sich nicht mehr integrieren, weil er eigentlich längst dazu gehören sollte. Es kann nur noch darum gehen, dass diejenigen, deren Eltern oder Großeltern einst nach Deutschland gekommen sind, sich hier heimisch fühlen können. Hierzu müssen sie auch mit ihrer Religion akzeptiert werden. Das gilt, um dies abschließend klarzustellen, natürlich auch für alle anderen Muslime.

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