Pakistan: Terror bedroht historische Abstimmung

Pakistans Regierung droht die Abrechnung für eine miserable Sicherheitslage, für dramatischen Energiemangel und für die Wirtschaftskrise. Die Pakistaner hoffen, dass die Taliban aus der historischen Wahl am Samstag kein Blutbad machen.

Peshawar/Islamabad (dpa). Ghulam Ahmad Bilour führt seinen Wahlkampf für die pakistanische Parlamentswahl am Samstag hinter hohen Mauern. Der Polit-Veteran ist Vizepräsident der paschtunischen Regionalpartei ANP. Anhänger haben sich im Garten seines Anwesens in Peshawar versammelt. Männer mit Schnellfeuergewehren sichern das Tor. Vor kurzem wurde Bilour zum Ziel eines Selbstmordanschlags in der Provinzhauptstadt, er überlebte nur knapp. 19 Menschen riss der Taliban-Attentäter mit in den Tod. Gäste begrüßt Bilour mit den Worten: «Willkommen in unserem Terroristengebiet.»

Die pakistanischen Taliban (TTP) haben den Wahlkampf in ein Blutbad verwandelt. Besonders die drei Koalitionsparteien – die Volkspartei PPP sowie die Regionalparteien ANP und MQM – wurden zum Ziel von Anschlägen. Mehr als 110 Menschen starben seit April. Mit Bangen wartet Pakistan nun auf die Abstimmung am Samstag. «Es wird am Wahltag sicherlich Gewalt geben», sagt der Landesdirektor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Ali Hasan Dayan. «Es ist nur nicht klar, in welchem Ausmaß.»

//2//Terrorismus ist nicht das einzige Problem der südasiatischen Atommacht, die nach fünf Jahren PPP-Herrschaft heruntergewirtschaftet ist. Ein Landeskenner sagt, die Partei von Präsident Asif Ali Zardari habe die Staatskassen gnadenlos geplündert. Der Witwer von Ex-Premierministerin Benazir Bhutto wird wegen Korruptionsvorwürfen als «Mister Zehn Prozent» verspottet. Die Wirtschaft liegt am Boden. Seit Jahren leidet die Bevölkerung unter einer Energiekrise mit stundenlangen Stromausfällen.

Das größte Verdienst der Regierung ist es, die gesamte Wahlperiode überstanden zu haben – ein Novum in Pakistan, wo etwa die Hälfte der Zeit seit der Unabhängigkeit 1947 das Militär herrschte. Erstmals wird eine zivile Regierung die Macht nun an demokratisch gewählte Nachfolger abgeben. Dass die PPP bei der historischen Wahl abgestraft wird, ist sehr wahrscheinlich.

Selbst PPP-Funktionäre sind verblüfft über die vollkommene Abwesenheit der Parteiführung im Wahlkampf. Das ist auch, aber nicht nur, der Gewalt geschuldet. «Wir haben eine Führungskrise», sagt der PPP-Koordinator der Provinz Khyper-Pakhtunkhwa in Peshawar, Ayoub Shah. Der hauptberufliche PPP-Aktivist räumt sogar ein, dass die Konkurrenz das überzeugendere Spitzenpersonal vorzuweisen hat. «Imran Khan ist ein besserer Anführer», sagt Shah.

Nach der jüngsten Umfrage hat die Zardari-Partei im Vergleich zu 2008 fast die Hälfte ihrer Wähler verloren. Demnach will nur noch etwa jeder Sechste für die PPP stimmen. Die Muslim-Liga (Nawaz/PML-N) von Nawaz Sharif, der schon zweimal Premierministers war, liegt weit vorne. An zweiter Stelle folgt die Tehreek-e-Insaf (Bewegung für Gerechtigkeit/PTI) des einstigen Kricket-Stars Imran Khan.

//3//«Wähle den Wechsel» steht auf Imran Khans Plakaten, und Millionen Pakistaner wollen einen grundlegenden Wandel in ihrem maroden Staat. Imran Khan – der noch nie Regierungsverantwortung trug – verspricht, die Korruption gnadenlos zu bekämpfen. Der Politiker, den auf Wahlveranstaltungen vor allem junge Pakistaner bejubeln, punktet mit populistischen Parolen. Alle Probleme des Landes würden innerhalb von 90 Tagen angegangen, heißt es im PTI-Programm.

«Ich wünschte, jemand hätte ein Rezept dafür, all diese Probleme in 90 Tagen zu lösen», sagt PML-N-Sprecher Mushahid Ullah Khan. «Wenn man die richtigen Leute an den richtigen Plätzen hat, braucht man dafür zwei, drei Jahre.» Nawaz Sharif will die öffentlichen Ausgaben einschränken, defizitäre Staatsunternehmen umstrukturieren und den Energiesektor reformieren. Westliche Experten trauen ihm am ehesten zu, die wirtschaftlichen Probleme zumindest zu mildern.

Den Taliban stehen Nawaz Sharif und besonders Imran Khan weniger kritisch gegenüber als die bisherige Regierung. Nawaz Sharif spricht sich für Gespräche mit den Extremisten aus. Imran Khan geht noch weiter und will alle Militäroperationen gegen die TTP stoppen. Beide Strategien waren in der Vergangenheit vollkommen erfolglos.

In der seit Jahren unter Taliban-Terror leidenden Stadt Peshawar sind die Menschen die Gewalt leid. «Es gibt nur noch Blutvergießen», sagt Roohullah, der einen Gemischtwarenladen betreibt. «Dafür ist die Regierung verantwortlich, deren Aufgabe es gewesen wäre, Sicherheit zu gewährleisten.» Der 32-Jährige hofft darauf, dass Imran Khan oder Nawaz Sharif zumindest bessere Arbeit als die PPP leisten. Einer der umstehenden Männer glaubt nicht daran. Nach der Wahl würden doch wieder nur Verbrecher an die Macht kommen, ruft er dazwischen. «Unsere Anführer sind alle Diebe.»