9/11-Jahrestag: Die Anschläge hatten massive Auswirkungen auf die muslimische Community

Ausgabe 196

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(iz). Terrorismus, dies dürfte wohl das meist zitierte politische Wort des 21. Jahrhunderts sein. In dem Moment, als die Türme World Trade Centers in New York krachend in sich zusammenfielen und die furchtbaren ­Bilder live um die Welt gesendet wurden, hatte das spannungsreiche 21. Jahrhundert sein Symbol. Das Jahrhundertverbrechen wurde nicht nur zum Impulsgeber für geopolitische Machenschaften, sondern auch der Auftakt für die weltwei­te Auseinandersetzung mit dem ­Islam.

Es gehört zum Dilemma der öffentliche Debatte, dass der Islam seit diesem Tage in erster Linie als eine politische Bewegung erscheint, die zudem häufig in den abgetragenen Kleider der Ideolo­gie präsentiert wird. Die Konzentration auf den Islamismus und die Reduzierung des Islam auf Politik verstellen die Sicht auf die wirklich aktuellen Bezüge des islamischen Wirtschaftsrechts oder musli­mischer Sozialkompetenz. Eine islamistische Organisation erkennt man daran, ob sie zivilgesellschaftliche, freie ­Projek­te (zum Beispiel Stiftungen) zu Gunsten der Muslime fördert, oder aber die abso­lute Kontrolle anstrebt.

Für den Islam in Deutschland gehörten die Zeiten des Schattenlebens in den Großstädten schlagartig der Vergangenheit an. Kritische Fragen an die Mitglie­der der muslimischen Community wurden noch in den 1980er und 1990er Jahren eher als Ausländerfeindlichkeit abgetan. Der Bosnienkrieg, der Europa in den 1990er Jahren prägte, rückte die Muslime in Europa als Opfer, nicht etwa als Täter in das öffentliche Bewusstsein.

Nach dem 11.9. gab es den alten Begriff der „Ausländerfeindlichkeit“ praktisch nicht mehr. Die muslimische ­Szene wurde von echten, aber auch selbsternannten Experten ausgeleuchtet. Die Ver­fassungsschutzämter überarbeiteten hektisch ihre Seiten, denn kein Amt hatte aus Rücksicht auf die engen wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands das Wort „Saudi-Arabien“ auch nur erwähnt. In Baden-Württemberg gehörte ein ehemaliger V-Mann sogar zur Gründungs­clique der militanten, salafitischen Bewe­gung in Deutschland.

Die in Deutschland lebenden ­Muslime schwankten nach dem spektakulären Ver­brechen zwischen Schockstarre und Verschwörungstheorie. Hatte eine in Hamburg ansässige Zelle muslimischer Studenten wirklich unbemerkt einen Stoß gegen die Supermacht richten können? Auch wenn der Kriminalist in uns zu Recht auf vernünftige Aufklärung pocht, die nötige Abgrenzung zwischen Muslimen und Ideologen kann keine simple Verschwörungstheorie ersparen.

Es ist leider Gottes wahr, dass sich der arabische Modernismus – gewissermaßen per Technologietransfer – mit den Techniken der Ideologie vertraut ­machte.

Signifikanter als die Sprachlosigkeit des muslimischen Establishments angesichts die schockierenden Umtriebe des globalen Terrors war das Schweigen der Lehre. Es vergingen quälende Monate, bis sich das absolute Verbot von Selbstmordattentaten als Lehrmeinung wieder durchgesetzt hatte. Viele Muslime können bis heute – von den eigenen islamischen Wissenschaften entfremdet – den Unterschied zwischen Politik und Recht nicht mehr denken. Der Terrorismus und der maßlose Kampf dagegen symbo­lisieren heute gleichermaßen die Krise des Rechts.

In den Moscheen blickte man sich an den Freitagsgebeten schweigend an. Vielleicht fiel uns jetzt erst auf, dass die Muslime in den Moscheen jahrzehntelang unter sich blieben, dass in einer ­anderen Sprache als die im Lande übliche kommuniziert wurde und dass sich viele Gemeinden so am Rande der Gesellschaft wieder fanden. Das Schild „Kulturzentrum“, dass sich viele triste ­Gebetshäuser in den Gewerbegebieten an die Tür nagelten, ließ Fragen offen. Eingezwängt zwischen Reifenhandel, ALDI und Bundesstraße lassen allein schon die meisten Räumlichkeiten wenig „Kultur“ zu.

Die Hausherren, die Verbände, die sich auch als ethnische Minderheiten defi­nierten hatten und an einer Öffnung gegenüber der Mehrheitsgesellschaft lange Zeit wenig Interesse hatten, fanden nur schleppend Antworten auf die neue Situation in Deutschland. Das ethnische oder nationale Merkmal wurde – gegen die Lehre des Islam – zu einem Unterscheidungsmerkmal. Bis heute ist es für einen Immigranten noch leichter, anerkannter Bundesbürger zu werden, als für einen Deutschen anerkanntes Mitglied bei einem der Verbände.

Für die einfachen Muslime – ob organi­siert oder nicht – wurde es allerdings Zeit, neue Antworten zu finden. Besucher, die forsch nach Ausrichtung und Inhalten hinter den Mauern der Moscheen fragten, häuften sich. Selbst gute Nachbarn blickten irgendwie skeptisch über den Gartenzaun. Jeder Muslim musste nun praktisch über Nacht als Universalexperte beinahe jeden Vorgang mit musli­mischer Beteiligung kommentieren. Nur langsam gelang es, intellektuelle Grobhei­ten im Zaum zu halten: Ja, es gibt ­einen muslimischen Bankräuber, nein, der ­Islam befürwortet Bankraub nicht!

Eigentlich wäre dies eine Zeit für deutsche Muslime gewesen. Aber auch hier wirkte die Assoziationskraft des Terrors wie eine Walze. Schnell waren deutsche Wirrköpfe gefunden, die als ­muslimische Fanatiker mögliche Brücken einrissen. Es waren so genannte „Konvertiten“, die schon intellektuell an der wichtigen Botschaft scheiterten, dass der Islam eben keine Kultur ist. Für deutsche Muslime wurde es ungemütlich: War man vor dem 11.9. eher ein geduldeter Spinner, musste man sich jetzt vor Kriminalisierung und herben Assoziationsketten ­hüten.

Die Deutschen sind unheimlich konsequent in ihren Feindbildern. Die kompromisslose Logik des Islamismusbegriffs erlaubt keine politische ­Unkorrektheiten, erschwert Differenzierungen und kann bedenklicherweise keine religiöse Ortho­doxie mit Existenzberechtigung mehr denken. Ihre Theoretiker suggerieren gerne eine Wesensgleichheit zwischen allen Ideologien. Der Kampf gegen Adolf ist dann angeblich der gleiche Kampf wie gegen „Ali“.

Praktisch führt eine Markierung als „Islamist“ heute zu Berufsverboten, Verbannungsritualen und zum Karriereende. Es ist ein vager, unbestimmter ­­Begriff, der Orthodoxe und Schwerkriminelle gleichermaßen umfasst. Schon deswegen muss immer wieder um die Definitions­hoheit gestritten werden. Es droht eine Wirklichkeit, in der schon der Besuch einer Moschee als Fanatismus gilt.

Positivität siegt. Es ist das Elend der Islamkritiker, dass ihre heile Welt auf einer simplen Negation beruht. Die deutsche Kulturnation – Provinz, Dichter, Denker – ist nicht viel mehr als ein Traum vergangener Tage. Heute ­müssen Kultur und Nation neu definiert ­werden, mit neuen Trägern, neuen Inhalten und neuen Beiträgen. Die Muslime sollten das Gebot der Stunde nutzen, und endgültig ihr inneres Ghetto verlassen. Der Islam gehört dann zu Deutschland, wenn wir Muslime unseren Entde­ckerdrang wieder finden, uns nicht nur in Rückzugsorten aufhalten, oder da wo die Sonderangebote sind, sondern auch in Baden-Baden, Sylt oder Weimar sichtbar werden. Es geht darum Inhalte aufzuspüren, neu zu deuten und unsere Moscheen zu echten Kulturzentren auszubauen, also mehr denn je unsere ­Beiträge und Angebote zu bestimmen.