
Nach Solingen: Wir Muslime müssen genau hinschauen, wer aus unseren Kreisen Stimmung macht. Oder gar unter dem Eindruck schwerer Verbrechen eine „Ja, aber“-Logik benutzt.
(iz). Die Muslime in Solingen wissen, was es heißt, wenn der ideologisch motivierte Wahnsinn zuschlägt. In der Stadt herrscht allgemeine Erschütterung angesichts der brutalen Messermorde eines mutmaßlichen IS-Terroristen. Neben die Trauer über die Verstorbenen tritt die Sorge um die Genesung der Schwerverletzten. Die Kommune ist wieder zu einem Symbol für Trauma geworden, die Zivilgesellschaft zu einer Trauergemeinde.
Nach Solingen: Stimmungen setzen sich durch
Kurz vor den Landtagswahlen im Osten setzen sich Stimmungen durch: Angst vor zu großer Immigration, Empörung über Straftaten, die von Flüchtlingen begangen werden und die offensichtliche Veränderung des Landes führen zu einer undurchsichtigen Mixtur. Neben der rationalen Forderung nach konsequenter Verfolgung von Verbrechen treten auch irrationale Fantasien.
Jede Stimmung fordert eine politische Umsetzung und setzt sich in neuen Möglichkeiten für ideologisches Gedankengut fort. Wir sehen die Akteure, die jetzt den Plural im Kampf gegen den Extremismus nutzen: die Syrer, die Immigranten, die Ausländer oder die Bürgergeldempfänger.
Keine „Ja, aber“-Logik unter Muslimen
Wir Muslime müssen genau hinschauen, wer aus unseren Kreisen ebenso Stimmung macht. Oder gar unter dem Eindruck schwerer Verbrechen eine „Ja, aber“-Logik benutzt. Die Taten in Solingen sind keine Reaktion beziehungsweise Konsequenz aus einer geopolitischen Situation. Sie sind perfide ausgeführte Morde ohne die Spur einer Rechtfertigungsmöglichkeit.
Die absolute Mehrheit der Muslime weiß ebenso, dass der Terrorismus und das ideologische Feld, das ihn nährt, niemals aus dem Islam heraus zu begründen sind. Die Taten der Terroristen erklären sich aus einer Mutation von muslimischen Elementen und dem modernen Nihilismus.
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Jedes Verbrechen nährt antimuslimische Verschwörungstheorien
Wenig überraschend strickt die politische Rechte in Deutschland weiter an ihrer Verschwörungstheorie. Die Terroristen sind aus dieser Sicht demnach die Speerspitze des organisierten Islam und der Moscheegemeinden. Jede x-beliebige Tat eines Muslims wird aus dieser Logik heraus dem Islam zugerechnet.
Alle besonnenen Mitbürger werden – trotz der verständlichen Empörung über das Geschehen in Solingen – einsehen, dass das eine toxische Argumentation darstellt. Fakt ist, dass auch die Muslime keine ideologischen Gruppierungen oder vereinzelte Moscheen in diesem Land wollen, die Gewalt tolerieren.
Was jetzt nottut, ist keine Stimmungsrepublik, sondern eine sachliche und breite Debatte darüber, wie konkret künftige Verbrechen zu verhindern sind. Wer in Wahrheit nicht genau weiß, wie die Probleme zu lösen sind, wird dagegen weiter auf eine hitzige Stimmung, Polarisierung und auf das Ende jeder Differenzierung setzen.
Das ist ein Teufelskreis. Denn jegliche sprachliche Verrohung ist die Vorstufe neuer Exzesse. Wie eine solche Gesellschaft der politischen Extreme eines Tages aussehen wird, gehört zu den politischen Sorgen dieser Tage.