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Sprache schützen, um Wissen zu bewahren

Ausgabe 332

Sprache
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Bedauerlicherweise befindet sich Sprache in diesem Stadium der Geschichte im Niedergang. Das ist keine nostalgische oder sentimentale Aussage.

„Und als dein Herr zu den Engeln sagte: ‘Ich bin dabei, auf der Erde einen Statthalter einzusetzen’, da sagten sie: ‘Willst Du auf ihr etwa jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt, wo wir Dich doch lobpreisen und Deiner Heiligkeit lobsingen?’ Er sagte: ‘Ich weiß, was ihr nicht wisst.’ Und Er lehrte Adam die Namen alle. Hierauf legte Er sie den Engeln vor und sagte: ‘Teilt Mir deren Namen mit, wenn ihr wahrhaftig seid!’ Sie sagten: ‘Preis sei Dir! Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast. Du bist ja der Allwissende und Allweise.’“ (Al-Baqara, Sure 2, 30-32)

Foto: Osman Hamdi Bey, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY 2.0

Sprache unterscheidet uns von den Engeln

Diese bekannten und prächtigen Verse sowie die folgenden verweisen auf zwei wichtige Dinge. Sie demonstrieren, dass Sprache der Faktor ist, der den Menschen von den Engeln unterscheidet. Adam wurden die Namen aller Dinge offenbart. Das Vokabular, um die Eigenschaften der Existenzen zu erkennen, zeichnet ihn aus. Aber die Zunge kann auch den Niedergang des Menschen bedeuten. Von Abdussabur Kirke

Mu’adh ibn Dschabal berichtete vom Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, dass dieser sagte: „Die Wurzel dieser Angelegenheit des Islam ist eine Säule des Gebets.“ Dann fragte er: „Soll ich euch sagen, was diese beiden Dinge aufrechterhält?“ Mu’adh entgegnete: „Ja, Gesandter Allahs.“ Dieser hielt seine Zunge mit den Worten fest: „Halte das hier in Zaum.“

Qadi ‘Ijad sagte: „Der Vorrang des Propheten in Beredsamkeit und Flüssigkeit der Sprache ist sehr bekannt. Er war gewandt, geschickt in der Debatte, sehr genau, klar im Ausdruck, luzide, gebrauchte korrekte Begriffe und war frei von jedem Getue.“

Sprache ist unsere vorrangige körperliche Eigenschaft als menschliche Wesen. Wir müssen sie als solche behandeln. Genauso so, wie sie ein Mittel der Offenbarung ist, stellt das Sprechen ein Tor zum Glauben dar. Die erste Säule des Islam ist das Glaubensbekenntnis (arab. schahada). Wer sie niemals im Leben ausgesprochen hat, ist in rechtlicher Hinsicht kein Muslim.

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Worte spielen eine Rolle

Worte zählen. Es ist eines der Zeichen eines Gläubigen, dass er das versteht. Was wir sagen, spielt eine große Rolle. Jeder Muslim muss es zu ihrer oder seiner Aufgabe machen, die passenden Worte zu verwenden. Das soll nicht heißen, wir brauchen eine komplizierte Sprache oder einen umfassenden Wortschatz. Was wir benötigen, ist ein Bewusstsein davon, was wir sagen und wie wir es tun.

Dazu gehört, wie wir einander ansprechen. Der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, lehnte den Gebrauch von erniedrigen Spitznamen ab und benutzte stattdessen die edlen Namen, die seinen GefährtInnen gegeben wurden. Auch benutzte er keine verkürzten Formen ihrer muslimischen Namen wie „Abdul“ oder „Mo“. Solch ein Sprechen macht die Menschen niedrig. Menschen ehrende Beinamen zu geben, sind schöne Handlungen der Höflichkeit, die den Sprechenden und den Angesprochenen erhöhen.

Im Stadium des Niedergangs

Bedauerlicherweise befindet sich Sprache in diesem Stadium der Geschichte im Niedergang. Das ist keine nostalgische oder sentimentale Aussage. Allah erwähnt verschiedene Male im Qur’an den Aufstieg mächtiger Zivilisationen und ihren folgenden Niedergang und Zerstörung. Gesellschaften durchlaufen Zyklen: Sie erreichen einen Höhepunkt, verfielen und verschwanden schließlich. Sprache reflektiert diesen Prozess. Der Beweis dafür ist, dass es einen Niedergang in der Literatur gibt.

Genau wie die bildende Kunst in den letzten 100 Jahren einem Verlauf von Vereinfachung und Abstraktion unterzogen wurde, ist das auch der Literatur widerfahren. Das soll nicht heißen, es gebe keine Brillanz mehr. Vielmehr sind uns viele Werkzeuge schrittweise abhandengekommen, und nur ein kleiner Rest ist verblieben. Die Sprache moderner Klassiker ist glatt, reduziert und minimalistisch, wo sie einst reich und komplex war. Das ist keine Wertung oder eine Vorliebe, es ist eine technische Aussage. Unser Wortschatz befindet sich im Niedergang.

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Von Sprache zum Denken

Nicht nur ermöglicht unsere Sprache, dass wir Gedanken artikulieren können. Aber die Fähigkeit zum Ausdruck ist untrennbar mit dem Denkvermögen verbunden. Geraldine McCaughrean, bekannte Autorin und Carnegie-Preis-Gewinnerin, sagte über die „Verdummung“ von Kinderbüchern: „Wann hat eine Generation die nächste so angezweifelt und bemitleidet, dass sie entschied, sie nicht mit dem vollen Paket der englischen Sprache zu belasten, sondern sie nur mit einer beschränkten Diät weniger Begriffe zu füttern?“ Selbst wenn wir nicht in der Lage sind, diese traurige Welle für jeden aufzuhalten, können wir sicherlich unserer eigenen Rede bewusst werden und unser Bestes tun, gute und erhebende Worte zu verwenden.

Die erste Frage der Engel lautete, nachdem sie entdecken, dass Allah den Menschen als Seinen Sachwalter auf die Erde brachte: „Willst Du auf ihr etwa jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und Blut vergießt, wo wir Dich doch lobpreisen und Deiner Heiligkeit lobsingen.“ Mit anderen Worten: „Warum ein auffälliges Wesen wie den Menschen auswählen, und keine Spezies, die frei von falschen Handlungen ist?“

Auf der Oberfläche erscheint das als vernünftig. Es beruht aber nicht auf Wissen. Allah antwortete den Engeln: „Ich weiß, was ihr nicht wisst.“ Und weil sie unfähig zum Ungehorsam sind, entgegneten sie unmittelbar: „Preis sei Dir! Wir haben kein Wissen außer dem, was Du uns gelehrt hast. Du bist ja der Allwissende und Allweise.“ Das ist die Position des Muslims.

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Computer

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Nichtwissen Teil unserer Existenz

Der grundlegende Fehler besteht in der Fehlannahme, alles wissen zu können, was es in der Existenz gibt. Dadurch eignen sie sich Allahs Eigenschaften an. Darin reflektiert ist ein Verständnis von Wissen, dass es als einzelne Informationen versteht. Darin enthalten ist die Fantasie, dass Computer schließlich einmal so viel Informationen sammeln, bis sie wie Menschen handeln und Bewusstsein entwickeln können. Dieser Gedanke ist nur möglich, wenn man den Kern dessen ignoriert, was uns zu Menschen macht.

Was tatsächlich geschieht, ist, dass Computer immer komplexer werden und wir immer mehr von ihnen fasziniert sind, doch nicht sie werden wie wir, sondern der Mensch ähnelt sich ihnen immer mehr an: unfähig, aus irgendeiner spirituellen Überzeugung zu handeln. Die menschliche Intelligenz wird künstlich.

Der Muslim wird davor bewahrt, denn er hat sich an Gebet, Hadsch und Fasten gebunden. Er fürchtet Allah und hofft auf Ihn. Wissen basiert nicht auf Informationen, es ist ein Zustand des Herzens. Und durch das Herz des Menschen entfaltet sich sein Schicksal. Der Muslim weiß, dass Iman ein Geschenk ist, das ständig von Allah ausgeschüttet wird.