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Immer mehr Paare sind interkulturell

Ausgabe 333

interkulturell Ehe
Foto: Bailey-Oscar

Wenn es um das Thema geht, werden zwei Begriffe häufig gleichbedeutend verwendet: bi-national und interkulturell.

(iz). Inmitten aller möglichen identitären Debatten, den scheinbar nicht enden wollenden Fragen von Zugehörigkeit sowie dem anhaltenden Fremdeln der bundesdeutschen Gesellschaft mit dem Anderen geht unter, dass es seit Jahrzehnten eine ganz andere Wirklichkeit gibt: Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern oder Kulturen stammen, und sich trotzdem finden.

Zugegeben, ich schreibe nicht von einem vermeintlich unbeteiligten Standpunkt aus. Sondern lebe seit mehr als 18 Jahren in eben einer solchen Beziehung und bin daher auf verschiedenen Leveln kein Unbeteiligter. Jenseits des abstrakten Wissens, dass wir eine solche Familie haben, wurde mir das Thema überhaupt erst von den beiden großen Mädchen ins Bewusstsein gerufen.

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BLM

Foto: Denisha DeLane, Shutterstock

Dank Instagram und TikTok sowie der Black Lives Matter-Bewegung in Deutschland und dem Thema Rassismus wurde mir erst klar, dass sie sich durchaus als interkulturell und mit „Migrationshintergrund“ begreifen. Was für sie Alltäglichkeit ist, musste ich mir erarbeiten, denn in „meiner“ Welt hatte sich ja öffentlich nichts geändert. Es ist meinen Töchtern zu verdanken, dass ich direkten Zugang zu diesen Fragen erhielt – jenseits von Abstraktionen.

Interkulturell: Es braucht Entwicklung

Wer als Muslime in der gleichen Situation einer interkulturellen oder bi-nationalen Ehe lebt, wird möglicherweise meine Entwicklung nachvollziehen können. Gerade, wenn er oder sie aus Deutschland kommt und daher nicht gewohnt ist, die eigene Alltäglichkeit zu hinterfragen. Vor unserer Hochzeit und in den frühen Jahren bin ich idealistisch an das Thema herangehen. „Wir sind ja beide Muslime, haben daher eine verbindende Klammer, sprechen Deutsch und leben hier. Das müsste reichen“, dachte ich mir.

Es hat mehrere Jahre gebraucht, bis dieser Idealismus Einschübe von Realismus und Anerkennung erfahren hat, dass meine, im wörtlichen Sinne bessere Hälfte ihre eigene Kultur, Tradition und Alltagsgewohnheiten mitgebracht hat. Obwohl sie seit über 25 Jahren hier lebt, erfolgreich studiert hat und jetzt Karriere macht, bleiben Erbe und Prägung ihrer Geburtsheimat vorhanden. Und ich musste – um den Preis von vermeidbaren Konflikten – diese kennenlernen, anerkennen und als festen Bestandteil unserer Beziehung begreifen lernen.

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Foto: Ahmed Eckhard Krausen

Um was geht es?

Wenn es um das Thema geht, werden zwei Begriffe häufig gleichbedeutend verwendet: bi-national und interkulturell. Der erste Begriff ist leichter zu fassen, weil es hier um Ehepartner geht, die aus unterschiedlichen Ländern kommen beziehungsweise verschiedene Nationalitäten haben. Bei Interkulturalität kann der Ehepartner durchaus hier geboren sein und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen.

Seit Ende der 1980er Jahre steigt die Zahl der bei den Standesämtern registrierten deutsch-nichtdeutschen Ehen kontinuierlich an. Laut Mikrozensus von 2017 lebten in Deutschland 1,7 Millionen solcher Paare, rund 1,2 Millionen davon standesamtlich verheiratet. Die Menge der interkulturellen Paare ist wegen der Schwammigkeit des Begriffes schwerer zu fassen.

Die Bundesrepublik ist kein Ausnahmefall. Auch in den Vereinigten Staaten sind solche Beziehungen trotz der rassistischen Vergangenheit und Gegenwart im Aufstieg. Dort sind diese Ehen – ein Erbe von Sklaverei und gesetzlicher „Rassentrennung“ – überhaupt erst seit 1967 in allen Bundesstaaten legal. Von 1967 bis 2019 stieg ihre Zahl von drei auf 19 Prozent an. Eine Studie des Pew Research Centers ergab 2010, dass bei 15,1 Prozent aller neuen Eheschließungen beide PartnerInnen unterschiedliche ethnische/kulturelle Hintergründe haben.

Fragen

Für diesen Text haben wir LeserInnen der „Islamischen Zeitung“ befragt. Es ist kein Zufall, dass wir dafür fünf Frauen fanden. Es könnte daran liegen, dass die weibliche Perspektive mehr und häufiger mit der Partnerschaft selbst beschäftigt ist. Auf jeden Fall bedanken wir uns bei A.P., A.G., B.B., M.K. und N.P. (Namen der Gesprächspartnerinnen wurden aus Gründen der Anonymität abgekürzt).

Sprung ins kalte Wasser?

Eine der Fragen, die interkulturellen Paaren häufig gestellt werden, ist die nach der Beschäftigung mit dem Thema vor der Heirat. „Ich habe online Erfahrungsberichte gelesen. Außerdem habe ich auf Facebook eine Gruppe gefunden, in der Frauen mit Männern aus dem gleichen Kulturkreis zusammen sind. Dort kann man alles fragen und sich austauschen“, sagt N.P. Selbstverständlich habe sie sich damit beschäftigt, so A.P. Sie habe speziell nach einer Kombination Deutsch-Arabisch gesucht. Beide wollten, dass sich die Kinder in beiden Kulturen zurechtfinden können. Bei A.G. war es anders: „Nein, ich war frisch konvertiert. Es gab deswegen viel Stress daheim.“ M.K. kannte vorab schon Paare mit unterschiedlichen Bezügen. „Aber wirklich beschäftigt hatte ich mich damit nie.“

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Foto: Shutterstock

Was hat sich verändert?

Lebt man erst einmal zusammen, wird schnell klar, dass beide durchaus unterschiedliche Dinge in die Ehe bringen. Das reicht von den großen Fragen bis zu Alltagsgewohnheiten. „Gerade die erste Zeit war geprägt davon“, berichtet B.B. Zuerst einmal wollte sie einerseits „die noch fremde Kultur“ kennenlernen. Andererseits ließ sie ihrem Partner die Gelegenheit, „kulturelle Brüche zu verarbeiten und für ihn Fremdes zu integrieren“.

„Natürlich“ habe sich viel verändert, beschreibt M.K. ihre Erfahrungen. „In meiner Wohnung wurde gebetet und gefastet – fand Islam statt. Andere Dinge kamen dann Schritt für Schritt.“ Für sie war es wichtig, die Beziehung und Religion voneinander zu trennen, sodass sie nach einem Jahr konvertiert ist. Für N.K. hatte sich „nichts“ geändert. Beide Seiten akzeptierten die Unterschiede, ohne zu wollen, dass sich der Andere anpassen müsste. A.P. erlebte durchaus Reibungen. „Ja, der Alltag erfordert sehr viel Toleranz und ist nicht immer einfach.“ Für sie waren es Themen wie Kleidung, Essgewohnheiten oder das öffentliche Auftreten, bei denen „Verkrustungen“ zwischen Kultur und Religion zu Tage traten.

Familie – von dysfunktional bis akzeptierend

Ein häufiger Reibungspunkt und eine Herausforderung stellt weniger das Paar oder seine kulturellen Hintergründe dar, sondern das familiäre Umfeld und das des Partners. B.B. macht „versteckt negative“ Erfahrungen. Gerade die Anfangszeit sei von ihnen geprägt gewesen. Allerdings hatte sie angesichts der eigenen „dysfunktionalen“ Familie kaum Anderes erwartet. A.G. hat Ähnliches erlebt. Ihr Anhang habe ablehnend reagiert, sodass sie „von einem Tag zum anderem“ auszog. Mittlerweile bestehe wieder Kontakt. N.P. erlebte unterschiedliche Reaktionen in ihrem persönlichen Umfeld. Ihre Freunde haben von Anfang an positiv reagiert und ihre neuen Umstände akzeptiert. Ihre Familie hingegen weigerte sich zwei Jahre lang, ihren Mann kennenzulernen.

„Meine Familie war auf alles gefasst“, berichtet A.P., „jedoch hat seine Sprachgewandtheit alles vereinfacht. Mein Vater hat dann noch gesagt das die Einwilligung zu dieser Ehe sein Beitrag zum Weltfrieden sein soll!  Alles gut“. Schwierigkeiten hatte sie vielmehr im Herkunftsland seiner Familie, wo sie angesichts geringer Sprachkenntnisse weniger Bindungen aufbauen konnte.

Wie man jetzt die Welt sieht

Eine interessante Frage ist, ob die Teile einer interkulturellen Beziehung jetzt ihre Welt und Themen wie Identität und Herkunft anders sehen. A.P. bejaht das und meint: „Ja klar, es sind halt ganz andere Erfahrungen. Und das hat Vor- und Nachteile, die alle Third Culture-Kids haben“. N.P. arbeitet nach eigenen Angaben „in einer Brennpunktschule“. Für sie bedeutet die Erfahrung ihrer Partnerschaft, dass sie beispielsweise Migrationsfragen „manchmal kritischer, manchmal lockerer“ sehe als KollegInnen, denen diese Perspektive fehle.

„Letztendlich war meine Ehe ja nur der Beginn einer großen Veränderung in meinem Leben“ meinte M.K., „die meine Identität in Frage gestellt hat“. Witzigerweise habe sie vorher keinen Bock auf eine Zuordnung gehabt. Den Bezug zu ihrer eigenen Herkunft habe sie wieder neu herstellen müssen. B.B. berichtete, dass das Thema Identität problematisch sei und sie sich selbst weniger mit ihrer Herkunft verbunden fühle.

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Screenshot: YouTube

Kein Lippenbekenntnis

Zu den häufig zitierten Stellen aus dem Qur’an zählt, dass Allah die Menschen als verschiedene Völker erschaffen hat, damit sie einander kennenlernen. Dieser Vers gehört in der Lehre – neben vielen anderen Quellen – zum Grundstein einer Zurückweisung von Rassismus. Wie alle Weisheiten muss diese sich im Alltag bei den Angesprochenen beweisen. Andernfalls bleiben sie Lippenbekenntnis. Ein Beispiel dafür ist, ob sich Muslime in ihrer religiösen Praxis ausschließlich in einem monokulturellen Bereich bewegen, oder mit solchen anderer Herkunft zu tun haben.

Ein weiterer Aspekt, an dem sich die Wirklichkeit dieses Verses messen lassen kann, sind interkulturelle Ehen. Familien beziehungsweise Gemeinschaften müssen sich die Frage stellen, ob sie diesen Satz nur im Mund führen oder seinen Geist praktizieren, wenn die Tochter oder der Sohn jemanden ehelichen will, der aus einer unterschiedlichen Kultur stammt. In früheren muslimischen Hochzivilisationen war die Heirat in einen anderen Stamm, ein anderes Volk keine Seltenheit und galt als probates Mittel, um den Zusammenhalt komplexerer Gesellschaften zu steigern.

Nicht nur sind es äußere materielle Gewohnheiten, die zu Reibungen zwischen den Verheirateten führen können. Ebenso häufig spielen subtilere, unausgesprochene Normen eine Rolle. Eheleute, die aus westlichen Ländern stammen, machen beispielsweise die schmerzhafte Erfahrung, dass ihre „direkte Art“ bei Familienbesuchen als unhöflich beziehungsweise grob wahrgenommen wird. Im Gegenzug stellen Frauen oder Männer, die aus traditionell muslimischen Kulturen kommen, fest, dass ihr Partner/ihre Partnerin ihren gesamten Urlaub nicht damit verbringen möchte, eine Tante nach der anderen zu besuchen.