Zeit für Alarmismus? Bundespräsident Steinmeier rückt von einer persönlichen Einstellung ab und warnt vor Feinden der Demokratie. In seinem Appell zum 9. November wird er deutlich.
Berlin (KNA) Kein Alarmismus! Das hat sich Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident laut eigenem Bekunden auf die Fahne geschrieben. Doch anlässlich des 9. November-Gedenkens (hier der offizielle Redetext) rückt er am letzten Sonntag davon ab und warnt vor aktuellen Bedrohungen der Demokratie. Zugleich nennt das Staatsoberhaupt ein Rezept gegen verfassungsfeindliche Strömungen: Zusammenhalt und Mut.
„Mein Wunsch an diesem 9. November ist aus tiefstem Herzen: Stehen wir zusammen – für die Selbstbehauptung von Demokratie und Menschlichkeit! Geben wir nicht preis, was uns ausmacht“, sagte Steinmeier bei einer Matinee im Schloss Bellevue in Berlin.
„Der 9. November steht für Licht und Schatten, für die tiefsten Abgründe und die glücklichsten Stunden unserer Geschichte“, so der Bundespräsident.

Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1970-083-44 / Friedrich, H. / CC-BY-SA 3.0
Er erinnerte an drei besondere Ereignisse, die an diesem Datum stattfanden: die Ausrufung der ersten deutschen Republik 1918, die Novemberpogrome im Dritten Reich 1938 und der Mauerfall 1989. Deshalb berühre der 9. November das Selbstverständnis als Deutsche. Es gehe um den „Kern unserer Identität“.
Obwohl Deutschland ein starkes Land sei – mit gefestigter Demokratie, stabilem Rechtsstaat und leistungsfähiger Wirtschaft -, habe zugleich eine große Unruhe die Gesellschaft erfasst.
„Immer häufiger höre ich besorgte Gespräche: ‘Wie wird es hier für uns weitergehen’ – wenn extreme Parteien stärker werden, wenn Menschen mit Einwanderungsgeschichte, wenn Jüdinnen und Juden nicht mehr sicher sind? Ist es denn möglich, dass wir nicht aus der Geschichte gelernt haben?“, fragte Steinmeier.
Die Gesellschaft könne solchen Befürchtungen viel entgegensetzen. „Wir haben das Recht. Die Freiheit. Die Menschlichkeit. Das Wissen, wohin der Hass führt“, sagte Steinmeier und fügte hinzu:
„Wir sind verschieden, leben auf dem Dorf oder in der Stadt, in Ost oder West, sind eingewandert oder hier geboren, aber gehören zusammen in dieses, in unser Land. Unser Patriotismus ist, ja, ein Patriotismus der leisen Töne. Er muss es sein, denn die Verantwortung für unsere Geschichte vergeht nicht.“
Steinmeier zeigte sich davon überzeugt, dass eine übergroße Mehrheit der Menschen in Deutschland in Demokratie und Freiheit leben wolle.
„Aber wahr ist auch: Nie in der Geschichte unseres wiedervereinten Landes waren Demokratie und Freiheit so angegriffen.“ Aktuell attackierten rechtsextreme Kräfte die Demokratie und stießen dabei auf Zustimmung in Teilen der Bevölkerung. „Einfach abzuwarten, dass der Sturm vorbeizieht und solange in sichere Deckung zu gehen, das reicht nicht“, so Steinmeier. Die Demokratie könne sich wehren.
Das Staatsoberhaupt verwies auf den Rechtsstaat, der entscheidend für die Verteidigung der Demokratie sei. „Volksverhetzung, die Verbreitung von Inhalten, die zum Hass gegen Minderheiten aufstacheln, die Verbreitung von NS-Parolen oder die öffentliche Verharmlosung der Schoah; Aufrufe zur Gewalt und Anwendung von Gewalt, gewaltsame Versuche, die verfassungsmäßige Ordnung zu zerstören – ob rechts, ob links, ob islamistisch:
Wer immer solche Angriffe verübt, macht sich strafbar, und wo immer sie begangen werden, darf der Rechtsstaat nicht zurückweichen“, führte Steinmeier aus, dessen Rede immer wieder von Applaus unterbrochen wurde.
Konkret betonte er zudem, dass jeder, der sich gegen den freiheitlichen Kern der Verfassung stelle, keine Richterin, kein Lehrer und kein Soldat sein könne.
„Verfassungsfeinde können auch von der Wahl zur Landrätin oder zum Bürgermeister ausgeschlossen werden. So ein Ausschluss ist nicht per se undemokratisch. Im Gegenteil: Er ist Ausdruck der wehrhaften Demokratie.“

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Mit Extremisten dürfe es zudem keine politische Zusammenarbeit geben. „Nicht in der Regierung, nicht in den Parlamenten.“ Jeder habe zugleich die Möglichkeit, „auf das demokratische Spielfeld zurückzukehren“, wenn er die Regeln akzeptiere.
Unvereinbarkeitsbeschlüsse und Brandmauern seien ein Signal, jedoch keine Absicherung. „Auch Brandmauern sind porös, wenn nicht auch Distanz zur Sprache, zu den Ressentiments, zu den Feindbildern der Rechtsextremen gewahrt wird“, so Steinmeier. Auf Selbstverharmlosung und Behauptungen, man stamme aus derselben bürgerlichen Wurzel, solle niemand hereinfallen.
Auch wenn er nichts von Alarmismus und schrillen Untergangsszenarien halte, sei es an der Zeit, „dass wir den Gefahren illusionslos ins Auge sehen“, sagte Steinmeier. „Wir dürfen nicht gleichsam hineinrutschen erst in eine neue Faszination des Autoritären und dann in neue Unfreiheit, und hinterher sagen alle: ‘Das haben wir nicht gewollt. Das haben wir nicht gewusst.’“
Der Bundespräsident forderte die Bürgerinnen und Bürger auf, sich einzumischen. „Was wir jetzt brauchen, sind aktive Demokratinnen und Demokraten, die den Mund aufmachen, im Parlament, beim Fußball, am Stammtisch, in der Schule, an der Bushaltestelle und am Arbeitsplatz.“