(iz). Auch wenn sich in islamischen Quellen und diversen, regionalen Traditionen nichts unter dem modernen Schlagwort „Tourismus“ finden lässt, hat das Reisen (As-Safar) im Islam sowie im Alltag der Muslime eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, denn das Leben ist eine Reise: vom Augenblick unserer Geburt bis zu unserem letzten Atemzug. In der Sura Al-Baqara finden wir die folgende Stelle: „Wir gehören Allah und zu Ihm kehren wir zurück.“
Das Reisen wird mehrfach im Qur’an erwähnt. Im Leben mehrerer Propheten, möge Allah ihnen allen Frieden geben, wie Musa, Jusuf oder Junus zählt sie zu wichtigen Elementen ihrer Geschichte. Die Reise des Propheten Musa (Moses), möge Allah ihm Frieden geben, beginnt mit ihm als hilfloses Baby in einem Weidenkorb, und führte ihn durch verschiedene Herausforderungen und Abenteuer. Sie war ein essenzieller Bestandteil seiner prophetischen Realität, die in der Begegnung mit Allah mündete.
Allah berichtet in der Sura As-Saffat (in den Versen 139 bis 148) von der Reise und dem damit verbundenen Schicksal des Propheten Junus, möge Allah ihm Frieden geben. Diese führte ihn in eine dreifache Dunkelheit: die der Nacht, in der Dunkelheit im Inneren des Wals und die der Tiefe des Meeres. Aus dieser Reise in eine dreifache Dunkelheit nahm Allah ihn hinweg, gab ihm Anhänger, erhob ihn und machte ihn zu einem Seiner Gesandten.
Der letzte Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, machte ebenfalls die Erfahrung der Reise. Allah brachte ihn vom Haram in Mekka zur Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem und von dort zu einer Begegnung, die ihn in die größtmöglichste Nähe der Gegenwart des Herrn der Welten führte. „Preis sei Dem, Der Seinen Diener bei Nacht von der geschützten Gebetsstätte zur fernsten Gebetsstätte, deren Umgebung Wir gesegnet haben, reisen ließ“, heißt es dazu im ersten Vers der Sura Al-’Isra.
Abgesehen von der Hadsch finden sich im Qur’an auch andere Hinweise auf das Reisen. Dazu zählt der zehnte Vers der Sura Muhammad: „Sind sie denn nicht auf der Erde gereist, damit sie das Schicksal derjenigen erkennen können, die vor ihnen kamen?“
In der islamischen Tradition finden sich verschiedene Motive für eine Reise. Über seine Bedeutungen und Wirkungen schrieb der Rechtsgelehrte und Begründer der nach ihm benannten Rechtsschule, Imam Asch-Schafi’i: „Es findet sich für den Klugen und Verständigen keine Ruhe des Geistes im permanenten unbeweglich-sein. Also, verlasst eure Heimatländer (…)! Reist! Hier findet ihr einen Ersatz für das, was ihr zurückgelassen habt. Zieht hinaus! Hier findet sich die Süße des Lebens. Ich habe gesehen, dass stehendes Wasser fault. Wenn es fließt, ist es nahrhaft (…). Verlässt der Löwe sein Lager nicht, kann er nicht jagen. (…) Die Absichten des Reisenden sind ehrenwert. Wer reist, der wird wie Gold geachtet.“
Über die beschwerlichen Aspekte des Reisens sagte der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben: „Reisen ist eine Form von Bestrafung. Es entzieht einer Person Essen, Trinken und Schlaf. Hat der Reisende seine Bedürfnisse befriedigt, sollte er sich beeilen, zu seiner Familie heimzukehren.“
Im Islam wird jede Handlung nach ihrer Absicht bewertet. Und so lässt sich das Reisen allgemein in Empfehlenswertes, Abzulehnendes und Erlaubtes einteilen. Jede erlaubte Handlung kann den Rang einer lobenswerten annehmen, wenn sie die richtige Absicht hat und die entsprechende Person Allah näher bringt. Zu den empfehlenswerten Aspekten des Reisens zählen unter anderem der Besuch von segensreichen Orten wie der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem, die Reise zu Leuten des Wissens, die Suche nach Wissen insgesamt, die Handelsreise sowie die der Suche nach Lebensunterhalt. Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte über die Suche nach Wissen: „Wer sein Haus auf der Suche nach Wissen verlässt, befindet sich auf dem Wege Allahs.“ Der Prophet selbst bezeichnete dies auch als „Pflicht für jeden Muslim“. Schaikh Ibn ‘Adschiba stellte in seinem bekannten Kommentar auf ein Gedicht von Ibn Al-Banna aus Saragossa klar, dass mit “Wissen“ nützliches Wissen gemeint ist.
Es ist ebenfalls empfehlenswert, die Menschen zu besuchen. Abu Huraira überlieferte, dass der Prophet sagte: „Ein Mann machte sich auf den Weg, um einen Muslim in einem anderen Ort zu besuchen, und Allah entsandte einen Engel auf seinem Weg. Als der Mann den Engel traf, wollte jener wissen: ‘Wohin willst du?’ Der Mann entgegnete: ‘Ich möchte meinen Bruder in dieser Stadt besuchen.’ Der Engel sagte ihm: ‘Hat er etwas für dich getan?’ Der Mann antwortete: ‘Nein, ich will ihn nur sehen, weil ich ihn um Allahs willen liebe.’ Daraufhin sagte der Engel: ‘Ich bin ein Bote, der zu dir von Allah entsandt wurde, um dir zu sagen, dass Allah dich so liebt, wie du deinen Bruder liebst.’“
Einer der frühen Muslime sagte: “Allah hat Engel bestimmt, um auf die Absichten der Reisenden zu schauen, sodass jedem entsprechend seinen Absichten gegeben wird. (…) Wessen Absichten auf die nächste Welt gerichtet sind, der erhält Weisheit, Scharfsinn und innere Einsicht und ihm wird sein Weg einfach gemacht.“
Verschiedene Gelehrte haben über das Reisen geschrieben. In der Sammlung (As-Sahih) von Imam Al-Bukhari findet sich ein Abschnitt über „den Adab der Reise“. So wies der Prophet seine Gefährten an, nicht alleine zu reisen: „Ein Reiter ist ein Schaitan, zwei Reiter sind zwei Schaitane, aber drei sind eine Gemeinschaft.“ Außerdem besteht Einigkeit darin, dass eine Gruppe Reisender immer jemanden haben sollte, der für die Dauer der Reise als Verantwortlicher agiert.
‘Abdullah ibn Sardschi berichtete: „Wenn der Gesandte Allahs reiste, suchte er Zuflucht vor den Beschwerlichkeiten der Reise, vor einer sorgenvollen Heimkehr, vor dem Verlust des Eigentums, (…) und vom schlechten Blick in Bezug auf seine Familie oder sein Eigentum.“
Abu Huraira gab die folgende Aussage des Propheten weiter: „Drei Bittgebete werden ohne Zweifel beantwortet: Das Bittgebet desjenigen, dem Unrecht angetan wurde, das Bittgebet des Reisenden und das Bittgebet eines Elternteils für sein Kind.“
Zu den hilfreichen Handreichungen für Reisende, die sich gezielt auf ihre Gastländer vorbereiten, zählen die vom Studienkreis für Tourismus und Entwicklung e.V. herausgegebenen „SympathieMagazine“. Diese „Reiseführer der besonderen Art“ bieten eine Grundlage, um Land und Leute zu verstehen. Der Geschäftsführer des Vereins, Klaus Betz, ist der Ansicht, dass man bei Reisen in „die muslimische Welt“ nicht pauschalisieren kann, „weil die Länder zwischen Marokko und Malaysia doch sehr vielfältig sind“. Sollten sich die jetzigen Unruhen wieder beruhigen, so Betz, werden sich auch wieder mehr Menschen verstärkt für die muslimische Welt interessieren. Wer einmal in der muslimischen Welt war, „und die islamische Kultur live erlebt hat“, der reagiere wesentlich besser und souveräner auf das Reiseland – sei es die Türkei, Marokko oder die Länder Südostasiens.
Im Gegensatz zu früher könne man die Unterscheidung zwischen den „klassischen“ Bade-, Kultur- und Studienreisenden nicht mehr aufrechterhalten. „Wer in diesem Jahr an einer geführten Studienreise in ein muslimischen Land teilnimmt, kann im nächsten Jahr eine Pauschalreise ‘all inclusive’ unternehmen.“ In einigen Ländern ließe sich der klassische Badeurlaub mit Bildungsaspekten kombinieren. Auf der anderen Seite sei klar: „Was den Nahen und Mittleren Osten betrifft, sind kulturelle Gründe entscheidend.“
Ob vorbereitet oder nicht, entscheidend seien die normalen und respektvollen Umgangsformen, wie sie auch bei uns im zwischenmenschlichen Austausch erwartet werden können. Gefordert sei ein normales, von Respekt geprägtes Verhalten. Hilfreich sei aber trotzdem, sich vorher über das jeweilige Land zu informieren.
Bedauerlicherweise haben die letzten 4-5 Jahre nach Ausbruch des vermeintlichen Arabischen Frühlings als Sekundärfolge auch dazu geführt, dass viele Destinationen bisheriger Reiserouten im Nahen Osten nicht mehr zur Verfügung stehen. Fachleute gehen davon aus, dass dies zur Entwicklung anderer Reiseziele wie Bosnien führen dürfte.
Islam, Lebensart, Lebenspraxis
Unterwegs sein
Ausgabe 247