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Muslimische Gemeinschaft: Wir befinden uns mitten im Wandel

Debattenklima gesellschaft Deportationsszenarien solingen gemeinschaft

Thema Gemeinschaft: Der Essener Forscher Yunus Ulusoy über Muslime, Demographie, soziale Milieus und was sich daraus ableiten lässt.

(iz). Yunus Ulusoy kam 1973 nach Deutschland und schloss seine Studien an der Ruhr-Universität Bochum als Diplomökonom ab. Er selbst bezeichnet sich als Angehöriger der „frühen zweiten Generation“. Seine Familiengeschichte in Deutschland begann bereits 1962.

Derzeit arbeitet er in der in Essen ansässigen Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung und verantwortet dort den Programmbereich Transnationale Verbindungen Deutschland-Türkei.

Wir sprachen mit dem Forscher im Rückblick auf das „Superwahljahr“ 2024 und die Bundestagswahlen über Migranten und Muslime als Wähler, warum Milieus wichtiger als Herkunft sein können und wie sich die Vorstellungen und Identitäten in den nächsten Jahrzehnten ändern könnten.

Die muslimische Gemeinschaft: Es fehlt an Zahlen

Islamischen Zeitung: In den letzten 12 Monaten wurde sechs Mal in Deutschland gewählt. Trotzdem wissen wir weiterhin nicht, wie Wähler mit Migrationsgeschichte oder Muslime abgestimmt haben. Wie belastbar sind vorhandene Aussagen?

Yunus Ulusoy: Die Forschungsgruppe Wahlen hat nach den Bundestagswahlen einige Zahlen zum Wahlverhalten von Muslimen herausgegeben – über die sie auch berichteten. Eine detaillierte Untersuchung über Parteipräferenzen, Motive und Wahlbeteiligung – zum Beispiel aufgeschlüsselt nach bestimmten Gruppen – gibt es nicht.

Islamische Zeitung: Generell muss man festhalten, dass es überhaupt zu Muslimen in Deutschland nur selten belastbare Zahlen gibt. Woran liegt das?

Yunus Ulusoy: Es gibt belastbare Zahlen zu Herkunftsländern. Sie unterliegen einer bestimmten Definition. Das Statistische Bundesamt hat zwei Definitionen: Bevölkerung mit Migrationshintergrund und neuerdings Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte.

Bevölkerung mit Migrationshintergrund zielte auf die Staatsangehörigkeit ab. Die neuere Version zielt auf Einwanderung ab. Wenn beide Elternteile eingewandert sind, dann gehören sie mit der Nachfolgegeneration zur Bevölkerung mit Einwanderungsgeschichte. Wenn nur ein Elternteil eingewandert ist, wird es gesondert aufgeführt.

deutsch

Foto: Shutterstock

Wo es um Zahlen geht, geht es auch um Interessen. Und es geht auch um Aspekte von Zugehörigkeit und Identität. Bis wann sollen wir von Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Einwanderungsgeschichte sprechen? Sollen wir den Einwanderungsstatus der Großeltern den folgenden Generationen überstülpen? Und der Gesellschaft vorgaukeln, es gebe so viele „Fremde“ im Land?

Das wäre eine sozialwissenschaftliche Perspektive und eine politische Frage. Auf der anderen Seite gibt es unsere Interessen: Ihr Interesse als Pressemensch, meine aus der Perspektive der Wissenschaft oder dem Blickwinkel einer Migrantenorganisation bzw. eines muslimischen Verbandes.

Ich kann sogar zwei konträre Positionen in mir haben. Auf der einen Seite fragt der Verstand: Warum sollen meine Kinder noch als Zugewanderte betrachtet werden? Auf der anderen wäre es für einen Vertreter einer Organisation besser, wenn zum Beispiel die Zahl der Bevölkerung mit muslimischer Religionszugehörigkeit groß ist, weil sie dadurch politische Macht entfaltet. 

Islamische Zeitung: Im Vorfeld der Wahl wurde von 12 Mio. wahlberechtigten Migranten und 5,5 Mio. Muslimen im Land gesprochen. Wenn wir Sie richtig verstehen, sind das zuallererst Abstraktionen…

Yunus Ulusoy: Es heißt nicht, dass wir bei der Bundestagswahl auch 20 % Migranten als Wähler hatten, die als solche abstimmten. Es hängt von der Definition ab. Und wie sich die Menschen betrachten. Wir wissen nicht, wie diese sich verorten.

Wenn wir die Zahlen nehmen: Laut Statistischem Bundesamt (2023) wiesen 24,9 Mio. von 83,9 Mio. einen Migrationshintergrund auf. Das sind rund 30 %. Hiervon waren 12,4 Mio. deutsche Staatsbürger. Allerdings betrug die Zahl der Wahlberechtigten ab 18 Jahren 8,6 Mio. Unter allen Wahlberechtigten entsprach dies einem Anteil von 14,4%. Wenn man dann in urbane Zentren geht wie hier im Ruhrgebiet, steigt dieser Wert deutlich. Wenn Sie jüngere Bevölkerungsgruppen betrachten, sind das bis zu 50 %.

Die Stadt Duisburg hat zuletzt eine Studie zum Wirtschaftsfaktor Migrantenunternehmen in Auftrag gegeben. Mehr als die Hälfte der Einzelunternehmen werden von einem Migranten als Inhaber geführt (54,5%). In der älteren Gruppe gibt es weniger Menschen mit Migrationshintergrund. Was zum Beispiel Auswirkungen auf Altersversorgung und Pflege etc. hat. Diese Fragen sind erst in den letzten zehn Jahren aufgekommen.

Blicken Sie auf die Jugend, ändert sich das Bild gewaltig. Wir sind mitten im demografischen Wandel. Zwischen 2005 und 2023 sank laut Statistischem Bundesamt die Zahl der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund um 7,88 Mio. (das sind minus 12 %). Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Saldo um 10,4 Mio. an. Das führte zu einem Anstieg der Gesamtbevölkerung auf 83,9 Mio. Menschen. Bei Türkischstämmigen liegt das Wachstum nur bei 14 %. Das liegt auch daran, dass einige laut den Definitionen nicht mehr erfasst werden können. Wir haben also zwei demografische Wandlungsprozesse. Einmal diesen: Die autochthone Bevölkerung sinkt, die allochthone steigt.

Bei Muslimen gibt es auch einen Wandlungsprozess. Vor 10-15 Jahren sprachen wir von über 75 % türkischen Muslimen. Zieht man den Balkan hinzu – also kulturell die osmanischen Gebiete in Europa – dann lag man bei über 80 %. Das heißt, Islam in Deutschland war türkisch geprägt. Und diese türkische Prägung führte zu türkisch dominierten, muslimischen Verbänden mit ihren Moscheestrukturen etc.

Jetzt befinden wir uns auch in einem Wandlungsprozess. Die muslimische Community ändert sich. Sie wird stark „arabisiert“. Das heißt, neben der starken türkischen muslimischen Community, kommt eine große arabische hinzu. Mit ihrer Migrationsgeschichte ist sie jung und verfügt über keine Strukturen. Im Gegensatz zu den Türken beziehen sie sich nicht nur auf einen ausgeprägten Nationalstaat, sondern einen weiteren geografischen und kulturellen Raum. Das hat Auswirkungen auf den organisierten Islam bei uns.

Wie wirkt sich demographischer Wandel aus?

Islamische Zeitung: Welche Auswirkungen wären das?

Yunus Ulusoy: Wenn sich die neu zugewanderten Muslime in alte etablierte und türkisch geprägte Moscheen begeben, wird es die Frage der Sprache mit sich bringen. Wenn der deutsche oder der syrische Muslim im Vorstand sitzt, kann das schlecht Türkisch sein. Bisher war es selbstverständlich Türkisch.

In der Vergangenheit war es selbstverständlich, dass Vorstände die Muttersprache sehr gut beherrschen mussten. Deutsch war nicht zwingend erforderlich, weil er in erster Linie Vorstand für die Gemeinde war. Für die Öffentlichkeit gab es jemanden, den man einsetzen konnte. Das gilt teils noch heute, weil meine Generation noch da ist. Sie hat weiterhin ihre Identitätszugehörigkeit zur Türkei gepflegt.

Für die dritten Generation – sollte sie morgen in Vorständen sein – gilt das nicht mehr. Sie wächst in einem anderen Umfeld auf. Ihr Freundeskreis ist häufig multireligiös oder, wenn religiös homogen, multiethnisch. Ich kenne Jungs, die in solchen Kreisen unterwegs sind. Die haben dann Freunde mit diverser Herkunft.

interkulturell Ehe

Foto: Bailey-Oscar

Islamische Zeitung: In dem Kontext gibt es ein Phänomen, über das wir selten sprechen. Das sind die interkulturellen Ehen bzw. Familien…

Yunus Ulusoy: Die Schwierigkeit besteht heute darin, sie zu definieren. Als ich hier im ZfTI anfing, hatte ich damals eine kleine Studie mit Zahlen vom Ausländerzentralregister über binationale Ehen gemacht. Dabei ging es um Türken/Türkinnen mit einem/r nicht-türkischen Ehemann oder -frau. Damals waren die Zahlen klein, allerdings bei Männern zehnmal höher als bei Frauen. Heute ist es ganz anders.

Eine Beobachtung: Menschen, die in der Gesellschaft einen guten sozioökonomischen Status erreicht haben, weisen öfter – das ist nur deskriptiv – eine solche Verbindung auf. Die Entwicklung geht dorthin, was ich vor 20 Jahren meinen Landsleuten gesagt habe. Du kannst nicht in Deutschland leben und versuchen, Anatolien in Deutschland für die nächste Generation fortzuschreiben. Das geht nicht.

Wenn man sich die Genese der Türken betrachtet, so haben die sich über ihren Wanderungsprozess von Zentralasien bis nach Kleinasien im Laufe der Jahrhunderte mit anderen vermischt, sodass sie zu einer südländischen Erscheinung geworden sind – die von Anatolien bis Spanien vergleichbar ist. Das sind historische Erfahrungen mit Veränderungen.

Soweit die hiesige Community betroffen ist, steckt sie noch in den Bildern der Vergangenheit. Ich weiß nicht, ob türkische Moscheeverbände Strategien entwickelt haben, wie sie diese Vielfalt aufnehmen sollen. Auf der einen Seite wird von „Umma“ gesprochen. Aber dann stellt sich die Frage nach dem Umgang, wenn diese zu einem kommt. Auch Gewohnheiten von 60 Jahren müssen sich ändern.

Wenn die Sprache in der Moschee nicht mehr die Herkunftssprache ist, sondern die Verkehrssprache als gemeinsames Medium fungiert, verliert die Moschee ein Element. Eine solche Moschee war bisher nicht nur Stätte für religiöse Bedürfnisse, sondern auch für Bewahrung von Sprache, Kultur usw.

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Foto: imago | Ina Peek

Zwischen Identitäten und Milieus

Islamische Zeitung: Was Sie zum Schluss sagten, lässt sich u.a. mit dem Begriff Identität umschreiben. In den letzten Jahren wurde häufiger über die Option für Migranten und/oder Muslime gesprochen, sich politisch identitär zu verhalten. Bisher lässt sich nicht erkennen, dass ein identitärer Ansatz Erfolg hätte. Wie sehen Sie das? 

Yunus Ulusoy: Nehmen Sie nur die Türkeistämmigen. 19 Abgeordnete mit türkisch lesbaren Namen sind in den Bundestag eingezogen. Das sind 3 % von 630 Abgeordneten. Die wahlberechtigten Türkeistämmigen stellen maximal 1,9 % der Wahlberechtigten. In ihrem Fall könnte man sagen, sie seien gut repräsentiert.

Wenn Sie sich näher anschauen, welche Milieus der Community gut repräsentiert sind, dann sind es diejenigen, die sich von ihrem Herkunftsland isoliert oder abgekapselt haben bzw. teils im Konflikt zu ihm stehen.

Das sind für die Türkei Menschen mit kurdischen oder alevitischen Wurzeln, Säkulare und solche, die in Opposition zu Erdogan stehen. Diese Menschen haben ein anderes Erscheinungsbild und einen anderen Lebenswandel, durch die sie in Parteien kaum Widerstände hervorrufen.

Eine Partei bedient in erster Linie die Mehrheitsbevölkerung. Jemand, der mit Migrationsbezug dorthin geht und sagt „ich passe mich gar nicht an, sondern bleibe sozusagen Vertreter meiner Mikro-Community“, muss immer bedenken, er wird nicht allein gewählt mit den Stimmen dieser Menschen. Es müssen auch Willy oder Sabine für ihn stimmen.

Islamische Zeitung: Im Vorfeld hatten Sie den Begriff „Milieu(s)“ benutzt. Wie entscheidend ist das?

Yunus Ulusoy: Das sind zum Beispiel die religiös-konservativen Milieus. Ich spreche jetzt nicht von sozioökonomischen Milieus, sondern von Werteorientierung oder Lebensstil. Wenn Sie die konservativ-religiösen Milieus betrachten, sind diese sehr unterrepräsentiert.

Kennen Sie eine prominente Politikerin mit Kopftuch?Nein.Kennen Sie einen, der explizit in einer der bekannten Organisationen sozialisiert wurde und dieser verhaftet ist? Nein. Da gibt es Hürden. Einerseits auf Seiten der Parteien, andererseits beim Milieu selbst.

Dass sich Parteien verändern, kann man erwarten. Das läuft aber schwieriger und langsamer ab als womöglich die Veränderung in der Bevölkerung. Politik reagiert häufig im Nachhinein auf die Dynamiken des Lebens. Dass sich heute Parteien bewusst mit der Frage auseinandersetzen, Bevölkerung mit Migrationshintergrund anzusprechen, ist mittlerweile Realität.

Bundestagswahl

Foto: Helga P-A., Adobe

Lokal gibt es erste Veränderungen

Islamische Zeitung: Wir sind mittlerweile in Deutschland doch so weit, dass migrantische Kandidaten wie Edis (Duisburg) oder Kocak (Neukölln) als Linke Direktmandate gewinnen können… Das ist schon ein Novum, oder?

Yunus Ulusoy: Ja, klar. Auch bei Kommunalwahlen gibt es solche Entwicklungen. Hier in NRW gibt es in vielen Stadtparlamenten parteiunabhängige Listen. Das mag auf einen Mikroraum zustimmen, bundesweit bringt es nichts. Die Parteigründung DAVA liefert den letzten Beweis. Die muslimische Community ist im Parteiensystem unterrepräsentiert, wenn wir von Verhaftung und Verortung in ihr sprechen. Es gibt einzelne, lokale Akteure, aber darüber hinaus nichts. Das wird aber nicht so bleiben. Manche Veränderungen entwickeln sich schwieriger, aber es wird dazu kommen.

Islamische Zeitung: Seit Oktober 2023 sprechen viele über eine politische Entfremdung vom parteipolitischen Mainstream. Eine Erhebung des DeZIM hat das untermauert. Glauben Sie, dieser Effekt bleibt oder ist er nur temporär?

Yunus Ulusoy: Ich beobachte das auch. Das ist ein bekanntes Phänomen. Und man muss hinzufügen: Es ist ein generelles. Parteibindungen, wie sie früher über Herkunft, Familie, Konfession, Gewerkschaften etc. tradiert wurden, schwinden. Diese Abnahme gilt für alle Lebensbereiche – von Vereinen bis Parteien. 

Nachfolgende Generationen tun sich hier schwerer. Das ist unabhängig von Herkunft. Bei Migranten kommen je nach Herkunft und Milieu zusätzliche Aspekte hinzu, die eine Entfremdung verstärken können.

Das kann zum Beispiel der Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit dem eigenen Identitätsmerkmal sein. Aus meiner Erfahrung war das bis in die 1990er hinein das Element des Türkisch-Seins. Die Religion war nicht so prägend. Zuerst wurde ich beim Thema Khomeini damit konfrontiert. Heute ist religiöse Identität unabhängig vom Religiositätsgrad ein Zuweisungselement im öffentlichen Diskurs geworden.

Und wenn dieses Identitätsmerkmal negativ konnotiert wird, dann tue ich mich natürlich schwerer, mit den Leuten zusammenzuarbeiten, die meine Identität negativ belasten. Das ist die eine Seite.

Dann kommt die weltpolitische Gemengelage hinzu. Jemand mit muslimischen Wurzeln hat eine andere Empathie und Kultur mit den Palästinensern als jemand aus der Mehrheitsgesellschaft.

Passiert ein Attentat in Deutschland wie in Hanau, findet trotzdem Karneval statt. Es gibt eine Empathie-Diskrepanz zwischen Mehrheitsgesellschaft und zugewanderten Menschen. Kommt es umgekehrt zu einem Attentat, wo der Täter muslimisch konnotiert wird, ist eine Welle von Empörung da. Jemand, der hier sozialisiert wurde, sieht diese Widersprüche und erkennt, dass ethisch-moralische Normen durchaus beliebig veränderbar sind.

Ein letzter Aspekt ist ein Generationswandel. Angehörige der nachkommenden Altersklassen haben einen anderen Grad an Resilienz als wir. Wir waren widerstandsfähiger, weil wir uns zu Beginn gar nicht zugehörig fühlten. Auch ich habe Angriffe ertragen und Verletzungen davongetragen. Darunter hat aber mein türkisches Sein nicht gelitten.

Die Angehörigen dieser oder der folgenden Generationen sehen sich als Deutsche, als Hiesige. Wenn ein Merkmal, das zu ihnen gehört, aber im Deutschsein nicht gleichberechtigt behandelt wird, dann haben sie natürlich einen ganz anderen Verletzungsgrad. Wenn ich mich mit jemandem von ihnen zum Beispiel über die Entwicklung in Deutschland unterhalte, merke ich, dass sie meine Gelassenheit nicht teilen.

Denn meine Gelassenheit ist auch Ergebnis meiner Erfahrung und Geschichte. Ich weiß, das Leben ist so dynamisch veränderbar, dass das, was heute als Nonplusultra gilt, morgen wieder komplett verschwinden kann. Ein junger Mensch teilt diese Sicht nicht.

Sie sagen: Du hast die meiste Zeit deines Lebens in Deutschland schon so gut verbracht. Und wenn es dir nicht gefällt, gehst du in die Türkei als Rentner. Was kann dir schon passieren? Aber ich habe noch 40 Jahre berufliche Zukunft in Deutschland vor mir.

Islamische Zeitung: Lieber Yunus Ulusoy, wir bedanken uns recht herzlich für das Gespräch.

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Habemus Koalitionsvertrag: Von der Interaktion zur Konfrontation?

koalition Islampolitik

Das vorgestellte Koalitionspapier setzt den Trend der deutschen Islampolitik fort und verstärkt ihn. Muslimische Bürger gelten vorrangig als Problem.

Berlin (dpa/iz). Mit dem Vertrag haben sich Union und SPD auf die Verteilung der Ministerien sowie auf Grundlinien ihrer gemeinsamen Politik verständigt. Die CDU bekommt erstmals seit fast 60 Jahren das Außenministerium, die SPD besetzt die wichtigen Ämter für Finanzen und Verteidigung.

Und um die innere Sicherheit kümmert sich künftig ein Minister oder eine Ministerin der CSU. Die Namen der Kabinettsmitglieder werden erst später bekanntgegeben.

Die neue Koalition ist das fünfte Regierungsbündnis dieser Parteien seit Gründung der Bundesrepublik. Erstmals kam es von 1966 bis 1969 unter CDU-Kanzler Kiesinger zu einer solchen Konstellation. Nach den Bundestagswahlen 2005, 2013 und 2017 führte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jeweils eine solche Formation.

Während christliche Kirchen und jüdisches Leben prominent gewürdigt und gefördert werden, bleibt der Islam weitgehend unsichtbar als Teil des gesellschaftlichen und religiösen Pluralismus.

Eyüp Kalyon, Generalsekretär der DITIB, kommentierte das bekanntgewordene Papier mit kritischen Worten: „Es ist bedauerlich, dass die Herangehensweise der beiden Koalitionspartner an die Themen rund um den Islam und die Muslime in Deutschland auf negativ konnotierte Inhalte fokussiert ist. Der veröffentlichte Koalitionsvertrag thematisiert Muslime lediglich im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Aspekten wie Islamismus, Extremismus oder Prävention“

Das ignoriere die ca. 90 % der deutschen Muslime, die sich als Teil dieses Landes sähen und einen gesellschaftlichen Beitrag leisteten. Einerseits sei das keine positive Botschaft an sie und führe andererseits dazu, dass diese sich nicht vertreten fühlten. „Die Koalition hat in der Praxis die Pflicht, diese verzerrte Betrachtung von Muslimen zu korrigieren und ihnen zu zeigen, dass sie keine Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sind.“

Wahlergebnisse

Foto: Ryan Nash Photography, Shutterstock

Koalitionsvertrag: Merz verspricht „handlungsstarke Regierung“

„Deutschland bekommt eine handlungsfähige und eine handlungsstarke Regierung“, sagte der wohl nächste Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Die Einigung sei ein Aufbruchsignal und ein kraftvolles Zeichen für die Bundesrepublik, dass die politische Mitte in der Lage sei, die Probleme zu lösen. „Die künftige Regierung, die künftige Koalition wird reformieren und investieren, um Deutschland stabil zu halten, sicherer zu machen und wirtschaftlich wieder stärker zu machen.“

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil betonte: „Die Ausgangslage war schwierig, aber das Ergebnis kann sich sehen lassen.“ Der SPD-Chef wies auf die aktuellen Krisen hin und unterstrich: „Wir haben das Potenzial, gestärkt aus dieser Zeit hervorzugehen.“

Umgang mit Muslimen: Die neue Koalition setzt die Grundlinien der alten fort

Wenig Überraschendes bietet das Einigungswerk für muslimische BürgerInnen der Bundesrepublik und ihre Gemeinschaften. Obwohl die Ampelkoalition mit starken Ankündigungen startete, wurde zugig deutlich, dass sie in Sachen Religionspolitik und Austausch – entgegen der populistischen Propaganda von einer „Islamisierung“ – weit hinter ihren eigenen Ankündigungen zurückblieb. So wurden die Themen Muslimfeindlichkeit und Diskriminierung von Muslimen bald schon vernachlässigt.

Erheblich fielt der Unterschied zu den Merkelkabinetten bei der Kommunikation auf. Die unter Schäuble begründete und seinen Nachfolgern fortgesetzte Deutsche Islamkonferenz (DIK) konnte – trotz zeitweiser Unstimmigkeiten – jahrelang produktiv arbeiten und Projekte wie die Islamische Theologie auf den Weg bringen. Die Ampelkoalition hingegen ließ – so muslimische Vertreter in Gesprächen – viele wichtige Gesprächskanäle in den letzten 1 ½ Jahren versanden.

Dort, wo die Dreierkoalition aufhörte, macht das neue Bündnis weiter. Muslime (ca. 6 % der hiesigen der Wohnbevölkerung) bzw. ihre Religion tauchen im bekanntgewordenen Koalitionspapier nur im Kontext von Bedrohungsszenarien und der inneren Sicherheit auf. In Zeile 2717 wird „Islamismus“ als eine der zu bekämpfenden radikalen Ideologien beschrieben.

An keiner Stelle des Papiers wird die Lebensleistung muslimischer BürgerInnen in diesem Land gewürdigt oder ihre positiven Beiträge zur Zivilgesellschaft erwähnt. Selbst bei Problemfeldern setzt es – im Gegensatz zu einigen Landesregierungen – nicht auf Interaktion und Einflussnahme. Es hat den Anschein, dass es kaum gesondertes Interesse an einem Austausch gibt.

Man wolle (Zeilen 2721-24 des Vertrags) keine Zusammenarbeit mit „Vereinen und Verbänden“ pflegen, „die von ausländischen Regierungen oder mit ihnen verbundenen Organisationen gesteuert werden“ bzw. deren Mitglieder von den Verfassungsschutzämtern beobachtet werden. Das damit selbst die ideologisch unbescholtenen bosnisch- und albanischstämmigen muslimischen Verbände betroffen sein könnten, scheint übersehen worden zu sein.

Konkret wurde Einführung einer Pflicht zur Offenlegung der Finanzen solcher Vereine und Verbände angekündigt. Zusätzlich wolle man einen „Bund-Länder-Aktionplan“ arbeiten und die „Task Force Islamismusprävention“ entwickeln.

AfD demos

Foto: Shutterstock.com

Türkische Gemeinde fordert „überzeugendes Konzept gegen Rechtsextremismus“

Die Co-Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Aslihan Yesilkaya-Yurtbay, sagte, es sei gut, dass ein klares Bekenntnis zum bedingungslosen Schutz von Jüdinnen und Juden in Deutschland in den Koalitionsvertrag aufgenommen worden sei.

„Angesichts der explodierenden Zahlen im Bereich der rassistischen Übergriffe hätte ich mir gewünscht, dass auch Schwarze Menschen, Muslime und Sinti und Roma eine vergleichbare Berücksichtigung im Text erfahren.“

Was ihr mehr fehle, sei „ein überzeugendes sicherheitspolitisches Konzept gegen Rechtsextremismus, das uns allen das Gefühl vermittelt, wir können in Deutschland eine sichere Zukunft planen“.

Zentralrat der Muslime: „Koalitionsvertrag blendet muslimisches Leben aus“

In seiner Pressemitteilung von heute zeigte sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) „tief besorgt“ angesichts der jetzigen Einigung. Er beklagt „inhaltliche Leerräume und unausgewogene Schwerpunktsetzungen“. Deutsche MuslimInnen blieben unerwähnt.

Als „gravierend“ wurde die fehlende Erwähnung des Phänomens der Muslimfeindlichkeit bezeichnet. „Der von den Koalitionären angekündigte Nationale Aktionsplan gegen Rassismus bleibt in dieser Hinsicht vage und unvollständig. Eine Strategie, die Diskriminierung bekämpfen will, muss ihre Erscheinungsformen deutlich benennen – auch dann, wenn sie Muslime betrifft.“

Politisch hält es der Zentralrat für einen Fehler, dass diese BürgerInnen des Landes nicht als Teilnehmer an gesellschaftlichen Prozessen wie Wahlen auftauchen. „Bei der letzten Bundestagswahl wurde deutlich, dass sich ein großer Teil der muslimischen Wähler:innen für Parteien links der Mitte entschieden hat – insbesondere dort, wo ernstzunehmende Angebote gemacht wurden (…).“ Dieser Trend mache klar, dass die Gemeinschaft eingebunden werden müsse.

Ramadan-Fragen

Foto: Ömer Sefa Baycal

„Die religionspolitische Ausrichtung des Vertrages bleibt hinter demokratischen Standards zurück. Zwar wird die Rolle der Kirchen anerkannt, doch islamische Religionsgemeinschaften bleiben völlig unsichtbar – weder bei Fragen wie Religionsunterricht, Seelsorge oder Wohlfahrtsarbeit, noch bei der institutionellen Kooperation mit staatlichen Stellen. Der vielfach beschworene interreligiöse Dialog bleibt somit unvollständig und unausgewogen.“

Als Reaktion auf das Koalitionspapier fordert das Gremium „eine politische Neuausrichtung“. Dazu gehören: Benennung und Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit im Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus, Sichtbarmachung sowie Förderung muslimischen Lebens, die Schaffung eines Bundesbeauftragten für muslimisches Leben und eine gleichberechtigte Religionspolitik, „die muslimische Gemeinschaften auf Augenhöhe einbindet und nicht länger institutionell benachteiligt“.

Gemischte Reaktionen bei Migration und Integration

Viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte waren in den vergangenen Monaten beunruhigt, weil die CDU/CSU gefordert hatte, die von den Ampel-Parteien verabschiedete Reform des Staatsangehörigkeitsrechts mit einer von acht auf fünf Jahre verkürzten Wartefrist für Einbürgerungen und der Erlaubnis für die doppelte Staatsbürgerschaft auch für Nicht-EU-Bürger rückgängig zu machen.

Der Unionsvorschlag, Eingebürgerten mit Doppelpass bei Straffälligkeit den deutschen Pass wieder wegzunehmen, sorgte für massive Verunsicherung. Hier soll laut Koalitionsvertrag alles so bleiben, wie es ist.

Einzige Ausnahme: Die Einbürgerung schon nach drei Jahren für Menschen, die besondere Integrationsleistungen nachweisen können – wie etwa ehrenamtliches Engagement oder hervorragende Sprachkenntnisse – soll wieder gestrichen werden. (sw, ak)

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Eine Zäsur in Deutschland: Mehr Konfessionslose als Kirchenmitglieder

Bekenntnisdruck konfession

Eine Analyse der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland belegt den Trend zur säkularen Gesellschaft. Erstmals gibt es mehr Konfessionsfreie als Katholiken und Protestanten.

Berlin (dpa). Historischer Wendepunkt nach Jahrhunderten: Erstmals in der Geschichte Deutschlands bilden Konfessionslose einen größeren Anteil an der Bevölkerung als Katholiken und Protestanten.

Dies geht aus Daten hervor, die die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland zusammengetragen hat. Demnach gibt es rund 39 Millionen Menschen ohne Religionszugehörigkeit und etwa 38 Millionen, die noch Mitglied bei einer der beiden großen Kirchen sind.

Ende 2024 habe es in Deutschland erstmals mehr konfessionsfreie Menschen (47 %) als römisch-katholische und evangelische Kirchenmitglieder zusammen (45 %) gegeben, heißt es von den Forschern. Noch 1990 etwa lag der Anteil der Konfessionsfreien lediglich bei 22 %.

Die Zahl der Katholiken in Deutschland fiel 2024 erstmals unter die Marke von 20 Millionen (19,8 Millionen). Das hatte Ende März in Bonn die Deutsche Bischofskonferenz mitgeteilt. Der katholische Bevölkerungsanteil macht damit nur noch etwa 24 % aus. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) in Hannover teilte mit, Ende 2024 noch rund 18 Millionen (17,98) Menschen als Mitglied gehabt zu haben. Das sind etwa 21 %.

Eine Million Kirchenmitglieder weniger 2024 – das war die Wende

Insgesamt verloren die beiden großen christlichen Kirchen im vergangenen Jahr durch Austritte und Todesfälle zusammen mehr als eine Million Mitglieder. Dies brachte sozusagen die Wende im Verhältnis zu den Konfessionslosen. Dennoch ist die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland zumindest statistisch und rechnerisch noch religionszugehörig.

Denn neben Mitgliedern der beiden großen Kirchen gibt es laut der Forschungsgruppe Weltanschauungen rund 3,3 Millionen konfessionsgebundene Muslime (vier % Bevölkerungsanteil) sowie Hunderttausende weitere Christen oder Menschen, die christlichen Gemeinschaften angehören, darunter verschiedene Orthodoxe, Freikirchler, Zeugen Jehovas.

Foto: thauwald-pictures, Adobe Stock

Außerdem gibt die Forschungsgruppe als weitere Religionen etwa auch Aleviten, Buddhisten, Hindus und Jesiden an. Aufgrund der deutschen Geschichte und dem Holocaust auch relevant: 0,1 % der Bevölkerung in Deutschland sind Juden.

Die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid) betont, sie wolle keine Exaktheit suggerieren, „die unter der gegebenen, lückenhaften Datenlage“ unmöglich sei. Es handle sich aber „um belastbare Trends“.

Die zusammengetragenen Zahlen seien „eine Mischung plausibler Daten und Schätzungen“. Es gebe eine unzureichende statistische Datenerhebung durch öffentliche Stellen, etwa bei der Erhebung muslimischer Bevölkerungsanteile, betont die Forschungsgruppe. Sie erhebt nach eigenen Angaben seit 2005 Daten und Fakten zu relevanten Aspekten von Weltanschauungen.

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Kurzmeldungen Deutschland (Nr. 356): Steinmeier in Ankara und bayrische Imame

Freitagsgebet

Die Kurzmeldungen aus Deutschland (Nr. 356) reichen von Außenpolitik, über handfeste Muslimfeindlichkeit bis zu Imamen in Bayern. Steinmeier: Türkei spielt eine wichtige Rolle ANKARA (MEMO). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die […]

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„Doppelte Tragik“: Zentralrat beklagt Muslimfeindlichkeit

berlin CLAIM

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Abdassamad El Yazidi, kritisiert eine aus seiner Sicht herrschende Untätigkeit der Politik, wenn es um Muslimfeindlichkeit geht. Und sagt, was zu tun sei.

Köln (KNA). Anschläge wie der tödliche Angriff auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt haben nach Worten des Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Abdassamad El Yazidi, für Muslime oft eine „doppelte Tragik“.

„Einerseits sind wir genauso Opfer solcher Anschläge wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Andererseits erleben wir immer wieder, dass Muslime unter Generalverdacht gestellt werden“, sagte El Yazidi im Interview des kirchlichen Kölner Internetportals domradio.de (Donnerstag).

Islamismus yazidi

Foto: Zentralrat der Muslime in Deutschland, Facebook

Zentralrat: „Klima des Misstrauens“

„Es ist erschütternd, dass in einer Demokratie wie der unseren ein solches Klima des Misstrauens und der Stigmatisierung existiert.“

Vor einer Woche hatte ein Mann aus Saudi-Arabien ein Auto mit hoher Geschwindigkeit in den Weihnachtsmarkt der Magdeburger Innenstadt gesteuert. Fünf Menschen starben, etwa 200 Personen wurden teils schwerst verletzt. Gegen den Mann wurde Haftbefehl erlassen.

Er lebt seit 2006 in Deutschland und hatte sich in sozialen Netzwerken unter anderem wiederholt islamkritisch geäußert. Das genaue Tatmotiv des Arztes ist jedoch unklar. Nach dem Anschlag waren Sicherheitsdebatten aufgekommen. Medienberichten zufolge will sich der Innenausschuss des Bundestages am 30.12. mit dem Thema befassen.

Brandanschlag Razzia IS mannheim Polizei messer

Foto: Pixabay.com | Lizenz: CC0 Public Domain

Muslimfeindlichkeit das Problem aller

El Yazidi beklagte eine stetige Zunahme von antimuslimischem Rassismus in Worten und Taten sowie eine aus seiner Sicht herrschende Untätigkeit der Politik. Er forderte von der Politik, dass Empfehlungen aus einer Studie zu Muslimfeindlichkeit umgesetzt werden müssten. „Dazu gehören strengere Regeln für soziale Medien, klare Positionierungen der Politik und mehr Schutz für muslimische Einrichtungen.“

Insgesamt sei es eine Aufgabe aller: „So wie Antisemitismus nicht nur ein Problem der jüdischen Gemeinschaft ist, ist Islamfeindlichkeit nicht nur unser Problem. Es braucht ein gemeinsames Engagement aller Bürgerinnen und Bürger.“

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Viel Schatten. Die deutsche Syrienpolitik enthält düstere Kapitel

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Die Verbindungen von zwei deutschen Staaten zu Syrien bis zur Wiedervereinigung sind lang und komplex. Darunter sind auch sehr düstere Kapitel. (iz). Direkt, nachdem die kriminelle Assad-Familie von der Macht […]

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Ampel-Bilanz: Es wurde viel Porzellan zerschlagen

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Angriff auf Grundrechte, Abschiebedebatten, gesellschaftlicher Generalverdacht: Die Ampel-Regierung hinterlässt Rekordwerte in Sachen Ausgrenzung, Straftaten und Gewalt – und eine zutiefst verunsicherte muslimische Community.

(iz). Zum Schluss gab es noch einmal einen dicken Stinkefinger. Einen Tag nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am 6. November 2024 das vorzeitige Aus der Ampel-Regierung verkündete, erklärten SPD, Grüne und FDP gemeinsam mit CDU/CSU und AfD noch ein letztes Mal deutsche Muslime zum Problem.

Mit der am 7. November verabschiedeten Bundestag-Resolution „Nie wieder ist jetzt“ sollte eigentlich jüdisches Leben geschützt werden. Tatsächlich tat die Ampel aber auch diesmal nur, was sie in den letzten drei Jahren perfektioniert hatte: eine autoritäre Politik auf Kosten der Schwächsten. Formulierungen vom „importierten Antisemitismus“ und Maßnahmen, die Judenfeindlichkeit vor allem mit Verschärfungen im Aufenthalts-, Asyl- und Staatsangehörigkeitsrecht bekämpfen sollen, hatten in ihrer AfD-Variante vor 2021 noch zurecht für große Empörung im Bundestag gesorgt.

Nun wurden die von Menschenrechtsorganisationen, Juristinnen und Kulturschaffenden einhellig kritisierte Resolution unter Applaus von SPD, Grünen und FDP verabschiedet. Nur das BSW widersetzte sich der Großen Koalition des anti-muslimischen und anti-migrantischen Generalverdachts. Die Linke enthielt sich.

Ampel-Regierung: Teilhabe um Jahrzehnte zurückgeworfen 

Autoritarismus, Migrationsfeindlichkeit, anti-muslimischer Rassismus eine bedingungslose Solidarität mit einer mörderischen und rechtsextremen israelischen Regierung. Das sind einige der Merkmale der Ampel-Politik der letzten drei Jahre. Mit einer kaum für möglich gehaltenen Vehemenz und Konsequenz hat die selbsterklärte Fortschrittskoalition das Ringen um Teilhabe und Gleichberechtigung in Deutschland um Jahrzehnte zurückgeworfen.

Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit, Migrations- und Asylpolitik, Schutz vor Gewalt und Diskriminierung: In all diesen Fragen stehen Geflüchtete, Muslime, arabischstämmige Menschen und viele weitere Menschen in Deutschland heute schlechter da als vor der Ampel. Der „zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen“ wolle man mit „umfassendem Schutz, Prävention und besserer Unterstützung der Betroffenen“ begegnen.

Das war eines von vielen Versprechen, das SPD, Grüne und FDP den rund sechs Millionen muslimischen Menschen in Deutschland im November 2021 in ihrem Koalitionsvertrag gegeben hatten. Getan haben sie das Gegenteil.

Muslimfeindlichkeit Islamkonferenz debatte

DIK 2022. Ministerin Faeser im Gespräch mit einer Teilnehmerin. (Pressefoto: © Henning Schacht / Bundesinnenministerium)

Nur als Belastung oder Bedrohung

Dass an dem Versprechen nicht viel dran ist, merkte man zuallererst in der Migrationspolitik. Flüchtlinge tauchten in der Politik der Bundesregierung von Beginn an fast nur als Belastung und Bedrohung auf. Diskurse rund um Ausgrenzung und Stigmatisierung von Schutzsuchenden prägten die gesamte Legislaturperiode der Ampel.

Mit den mittlerweile zum Spottbegriff gewordenen „großen Bauchschmerzen“ billigten die Grünen im Juni 2023 den sogenannten EU-Asylkompromiss und damit eine repressive Migrationspolitik, von der vor einigen Jahren noch nicht einmal die AfD geträumt hatte.

Als SPD, Grüne und FDP das Gesetz absegneten, hagelte es Kritik durch Menschenrechtsorganisationen. Doch die Ampel machte genauso weiter. Drei von zahlreichen Beispielen: Die Verabschiedung des „Rückführungsgesetzes“ vom Oktober 2023, Olaf Scholz, der auf dem Cover von Der Spiegel forderte: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ und ein eigens zu Wahlkampfzwecken organisierter Abschiebeflieger nach Afghanistan im August 2024.

Die Chance war so groß wie nie

Nach Maßnahmen, die Teilhabe und Gleichberechtigung von Menschen in Deutschland verbessern, muss man in der Bilanz der Ampel lange suchen. Im Juli 2022 nahm die neu eingerichtete Antidiskriminierungsstelle des Bundes ihre Arbeit auf. Im Juni 2024 trat das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft. Mit der Reform beendete die Ampel zwar endlich das diskriminierende Doppelpass-Verbot und ermöglichte schnellere Einbürgerungen, erhöhte aber gleichzeitig die Hürden hierfür.

Nennenswerte weitere Maßnahmen gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung gab es nicht. Dabei hatte die Ampel-Regierung hierfür eigentlich die besten Voraussetzungen. Im Juni 2023 stellte der noch von der Vorgängerregierung eingesetzte „Unabhängige Expertenkreis Muslimfeindlichkeit“ einen umfassenden, detaillierten und wissenschaftlich fundierten Blueprint für die Gleichberechtigung von Muslimen in Deutschland vor.

Doch bis zu ihrem Regierungsende hatte die Bundesregierung keine einzige der dutzenden Handlungsempfehlungen der Expertenkommission umgesetzt. Der 400 Seiten starke Bericht verschwand erst in der Schublade und schließlich im Schredder des Bundesinnenministeriums.

2023 muslime

Foto: Deutscher Bundestag / Janine Schmitz /photothek

Der 7. Oktober änderte alles

Mit ihrer ausgrenzenden Politik gegenüber Muslimen und Asylsuchenden wäre die Ampel wahrscheinlich dennoch nur als Fußnote in die Geschichte der deutschen Islam- und Migrationspolitik eingegangen. Zu sehr hat man sich schon an die kontinuierlichen Gesetzesverschärfungen und stigmatisierenden Debatten gewöhnt. Wäre da nicht der 7. Oktober 2023.

Der Angriff der Hamas bildete den Startpunkt zu einer in der bundesdeutschen Geschichte beispiellosen Stimmungsmache gegen muslimische und arabischstämmige Menschen, die im öffentlichen Diskurs über alle Parteien hinweg als „Antisemiten“ und „Terror-Sympathisanten“ dargestellt wurden. Die bedingungslose Solidarität mit der rechtsextremen und mörderischen israelischen Regierung wurde begleitet von einem kaum für möglich gehaltenen Ausmaß an Ausgrenzung, Kriminalisierung und Stigmatisierung in Deutschland. 

Allen voran auch diesmal: Politiker der Ampel in einer über die gesamten Parteienlandschaften gefeierten Rede zu „Israel und Antisemitismus“ behauptete Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck am 2. November 2023 erst wahrheitswidrig, muslimische Repräsentanten in Deutschland hätten sich nicht von Hamas und Antisemitismus distanziert und drohte ihnen, sie würden „ihren eigenen Anspruch auf Toleranz zu unterlaufen“.

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Foto: Zairon, via Wikimedia Commons | Lizenz: CC BY-SA 4.0

Razzien blieben ohne Empörung

Dass das nicht nur eine leere Drohung war, bekamen muslimische Gemeinden unter anderem am 16. November zu spüren. Hunderte Polizisten stürmten über 50 Moscheen und islamische Einrichtungen in Deutschland. Die Bilder von vermummten und schwer bewaffneten Polizisten auf Gebetsteppichen wären in normalen Zeiten Anlass für weitreichende Empörung über den Zustand von Religionsfreiheit und Minderheitenschutz in Deutschland gewesen. Nach dem 7. Oktober schaffte es die größten Razzia gegen Muslime in Deutschland bestenfalls in eine Meldung auf die hinteren Zeitungsseiten. 

Als Behörden ein halbes Jahr später am 24. Juli 2024 Hamburgs Imam-Ali-Moschee, eine der ältesten Moscheen des Landes und Zentrum des schiitischen Lebens in Deutschlands, beschlagnahmten, widersprach kaum noch jemand öffentlich. So sehr hatte man sich in zweieinhalb Jahren Ampel-Regierung schon an die Grundrechtseinschränkungen gegenüber Muslimen und die Erzählungen von angeblicher islamistischer Unterwanderung gewöhnt. 

Repression statt Dialog

Wie selbstverständlich eine Islampolitik- und Migrationspolitik, die allein auf Repression und Abschreckung setzt, unter der Ampel geworden ist, wurde auch bei der Islamkonferenz im November 2023 deutlich. Das einst von Wolfgang Schäuble als Dialogforum ins Leben gerufene Format, wandelte die Bundesinnenministerin zu einer Bühne für staatliche Bevormundung und Ausgrenzung.

Ohne Begründung lud sie den Zentralrat der Muslime kurzfristig von der Veranstaltung aus. Auch kein anderer muslimischer Repräsentant durfte sich an das Rednerpult stellen. Statt sich dem ursprünglich angesetzten Thema „Muslimfeindlichkeit“ zu widmen, nutzte die Bundesinnenministerin die Veranstaltung für eine paternalistische Rede, die zum größten Teil selbst aus Muslimfeindlichkeit bestand.

Polizei Gewalt

Foto: Tim Eckert, Shutterstock

Ampel-Politik führte zu Entfremdung

Insbesondere die Repressionen im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost forcierte die Ampel-Regierung seit dem 7. Oktober in einem Ausmaß und mit einer Vehemenz, dass man mit der Empörung kaum noch hinterherkommt: Verbote von palästinensischen Symbolen und Slogans, Demoverbote, Absagen (vermeintlich) propalästinensischer Veranstaltungen, von denen auch viele jüdische Kulturschaffende betroffen sind.

Dass Menschenrechtsorganisationen Deutschland mittlerweile regelmäßig für Einschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit kritisieren, die Zahlen antimuslimischer Straftaten und Diskriminierungsfälle so hoch sind wie nie: All das gehört zur Bilanz von drei Jahren Ampel-Regierung. 

Fragt man Angehörige von marginalisierten Gruppen in Deutschland selbst nach ihrer Meinung zur Ampel-Regierung, dann verblasst aber selbst diese beispiellose rassistische Diskursverschiebung angesichts des Frusts über das Unrecht, das Israel mit deutscher Hilfe im Nahen Osten begeht.

Mit der bedingungslosen Unterstützung eines Krieges, der täglich neue Verbrechen und Massaker produziert und vielen Experten längst als Völkermord gilt, hat die Ampel-Regierung Millionen von Menschen in Deutschland in einem Maß von deutscher Politik und Gesellschaft entfremdet, wie es Jahrzehnte rechter Migrations- und Islamdebatten nicht geschafft haben. Diese Folgen von drei Jahren Ampel wird die deutsche Gesellschaft wohl auch dann noch spüren, wenn Scholz, Habeck, Lindner und Co. längst in Vergessenheit geraten sind.

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Muslimische Beerdigungen: Der Bedarf an Gräbern steigt

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Fehlende Gräber in Deutschland: Warum immer mehr Muslime hier bestattet werden – und welche Herausforderungen das mit sich bringt. (KNA). Saad Akidi, 65, steht auf dem Bonner Nordfriedhof und spricht […]

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Syrische Stimmen: In Deutschland angekommen

herrschaft syrien deutschland

Bashar Abdo und Ameer Ghazy sind aus Syrien nach Deutschland geflohen. Was die beiden verbindet und worin sie sich unterscheiden – zwei Beispiele dafür, wie divers die syrische Community in Deutschland ist.

Bonn/Berlin (KNA) Den Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat Bashar Abdo auf dem Smartphone verfolgt. „Es macht mir Angst zu sehen, wie Abu Mohammed al-Dschulani mit seiner Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham von den Medien gefeiert wird“, sagt der 34 Jahre alte Syrer. Während er spricht, sitzt er angespannt auf seinem Bürostuhl in der Bonner Telekomzentrale und umklammert einen Kaffeebecher. Von Julia Rosner und Nikolas Ender

Blick aus Deutschland: Befürchtungen bezüglich HTS

2013 floh der damalige IT-Student aus Aleppo, weil er nach dem Examen zum Militär gehen sollte, wie er sagt. „Ich war neun Monate lang in der Türkei und dachte, der Krieg ist bald zu Ende“, erinnert er sich. Heute lacht er über diesen Satz. An ein Ende des Krieges glaubt er nicht mehr – auch nicht nach den Ereignissen der vergangenen Woche.

Abdo, der fließend Deutsch spricht, arbeitet seit drei Jahren als Data Engineer. Nebenbei ist er bei den Grünen engagiert, fährt Rad und geht dreimal in der Woche mit seinen Freunden schwimmen. „Ich bin froh, dass Assad und seine Familie nach 54 Jahren weg sind“, sagt er. „Sie haben Menschen getötet und gefoltert.“

Er wünscht sich nach eigenen Worten nichts sehnlicher, als ohne Angst nach Aleppo zurückzukehren, noch einmal durch den Olivenhain seines Vaters zu spazieren und im elterlichen Haus einen Tee zu trinken. Doch für immer zurückgehen könne er nicht: Seine Familie gehöre der kurdischen Minderheit im Land an, die täglich Gewalt erlebe.

HTS-Führer Al-Julani im ersten Interview mit einer westlichen Reporterin nach der Einnahme von Aleppo. (Screenshot: CNN)

„Ich habe Bedenken, dass die Leute von Haiat Tahrir al-Scham nicht besser sind als Assad. Sie sind eine Terrororganisation“, sagt er. Seine Tante, die anders als der Rest der Familie in Syrien geblieben sei und sich um die 500 Olivenbäume der Abdos kümmere, berichte täglich über Gewalt gegen Kurden. Erst vor ein paar Tagen habe sie erzählt, wie Abdos Cousin ohne Grund verhaftet worden sei und jetzt gefoltert werde. „Als Kurde hast du in Syrien keine Zukunft“, sagt Abdo.

Der Ingenieur warnt davor, junge Syrer und besonders Kinder, die in Deutschland gut integriert seien, jetzt überstürzt zurückzuschicken. „Sie sind nach so vielen Jahren Fremde für Syrien. Das ist nicht einfach. Dazu kommt, dass die Infrastruktur durch den Krieg komplett zerstört ist.“

Für seine nicht-kurdischen Landsleute, die aus eigenem Willen jetzt in die Heimat zurückkehren wollen, zeigt er dennoch Verständnis. „Wer religiös ist und die Mentalität Haiat Tahrir al-Schams hat, kann in Syrien jetzt vielleicht besser leben.“

Ameer Ghazy fühlt sich „als Deutscher“

Während Abdo an die Olivenhaine seines Vaters denkt, erinnert sich Ameer Ghazy an den süßen Duft von Jasmin in Damaskus. Zu Hunderten sei das Blümchen in den Straßen seiner Heimatstadt gewachsen, bevor es ab 2012 dem Geruch von Bomben und Munition habe weichen müssen.

Heute lebt der 32 Jahre alte Katholik mit seiner Familie in Berlin-Moabit, ist verheiratet und hat eine Tochter. In Syrien hatte er ein Importgeschäft mit Maschinenbauteilen, in Deutschland hat er in diesem Jahr ein Unternehmen gegründet, das Software und Social-Media-Marketing vertreibt. Von Anfang an sei es sein Ziel gewesen, anzukommen und zur Mitte der Gesellschaft zu gehören, wie er sagt.

Einbürgerung Extremisten kurzmeldungen

Foto: mpix-foto, Adobe Stock

In Syrien sei er geboren, Deutschland sei seine Heimat. Er habe nicht nur die deutsche Staatsbürgerschaft, sondern er fühle sich auch als Deutscher – auch wenn ihm manche das absprächen. Schließlich habe er den größten Teil seines Erwachsenenlebens in dem Land zwischen Nordsee und Alpen verbracht.

Die Diskussion um eine Rückkehr der syrischen Community versteht er nicht. „Ich habe inzwischen eine Familie hier – wie viele meiner syrischen Freunde.“ Anstatt Rückführungsdebatten zu führen, wünscht sich Ghazy von der Bundesrepublik mehr Engagement in seinem früheren Heimatland. Die Zukunft gehöre den Syrerinnen und Syrern, den Rückzug internationaler Großmächte sehe er positiv.

In seiner Berliner Wohnung riecht es noch nach seiner Geburtsstadt Damaskus, denn er hat ein Fläschchen mit Jasminduft gekauft. Wenn ihn jemand fragt, ob das nicht nur ein Duft für Frauen sei, sagt er: „Nein, Jasmin ist für alle da.“

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Empathielose Debatte? Deutschland diskutiert Syrien unter falschen Vorzeichen

syrien Debatte

Direkt nach dem Sturz von Assad beginnt hier eine Migrationsdebatte. Menschenrechtler widersprechen. Währenddessen ruft die Übergangsregierung in Syrien zu Rückkehr auf.

Berlin/Damaskus (ots, dpa, iz). Anlässlich der aktuellen Debatte um die Rückkehr Geflüchteter nach Syrien erklärte Nele Allenberg, die Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa des Deutschen Instituts für Menschenrechte:

„Menschen, die aus Syrien geflohen sind und hier als Flüchtlinge anerkannt wurden oder die aufgrund des Bürgerkriegs einen subsidiären Schutz erhalten haben, können zurzeit nicht nach Syrien zurückgeführt werden. Die Debatte direkt nach Bekanntwerden des Sturzes des syrischen Diktators Assad anzustoßen, zeugt nicht nur von Empathielosigkeit gegenüber den begeisterten und erleichterten Syrerinnen und Syrern, sie offenbart auch Unkenntnis über die rechtlichen Grundlagen.“

„Wichtig ist jetzt, mit außenpolitischen Mitteln rechtsstaatliche und demokratische Kräfte in Syrien zu stärken“, Nele Allenberg, Leitung der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa. (Foto: DIMR/B. Dietl)

Der Widerruf eines Flüchtlingsstatus oder einer Anerkennung als subsidiär geschützte Person setze eine erhebliche, wesentliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Situation im Herkunftsland voraus. Solange das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) nicht einschätzen könne, ob Menschen nach ihrer Rückkehr in Syrien Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden droht, könne kein Widerruf erteilt werden.

„Wichtig ist jetzt, mit außenpolitischen Mitteln rechtsstaatliche und demokratische Kräfte in Syrien zu stärken, sodass Stabilität und Frieden einkehren können. Die Außenpolitik ist am Zug“, so Allenberg.

Chef der Übergangsregierung ruft zu „Heimkehr“ auf

Nach dem Befreiung rief der neue Regierungschef Mohammed al-Baschir syrische Flüchtlinge im Ausland auf, in ihre Heimat zurückzukehren. „Mein Appell richtet sich an alle Syrer im Ausland: Syrien ist jetzt ein freies Land, das seinen Stolz und seine Würde wiedererlangt hat. Kommen Sie zurück!“, sagte er in einem Interview der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“.

Nach dem Ende der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie muss nach den Worten al-Baschirs, der zunächst bis März amtieren soll, erst einmal Sicherheit und Stabilität in allen Städten Syriens wiederhergestellt werden, damit die Menschen zum normalen Leben zurückkehren können.

Es sei dann eines seiner vorrangigsten Ziele, seiner Heimat zu einem Aufschwung zu verhelfen. Dabei könnten Rückkehrer nach Syrien mit ihrer Erfahrung eine wichtige Rolle spielen. „Wir müssen unser Land wieder aufbauen und auf die Beine bringen, und wir brauchen die Hilfe aller“, sagte er.