
Nach der Bundestagswahl 2025 – vereinzelte Umfragen deuten auf Wählerwanderung hin. Eine politische Entfremdung von Muslimen wird erkennbar. Der Anteil der Nichtwähler ist unter ihnen höher als im Bundesvergleich.
Berlin (iz). Es ist sicher keine Übertreibung zu sagen, dass diese Bundestagswahl 2025 die „Zeitenwende“ aller Wahlen der letzten Jahrzehnte war. Am letzten Sonntag haben in Deutschland so viele Bürgerinnen und Bürger wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr für einen Bundestag gestimmt.
Immer mehr Muslime sind in unserem Land wahlberechtigt. Mangels belastbarer Zahlen über ihre Anzahl handelt es sich bei den bisherigen Angaben um Schätzungen. Ihre Zahl dürfte soll zwischen 2 und 3 Millionen Stimmberechtigten liegen. Wie viele es in der Realität sind und wie viele von ihnen gewählt haben, ist unklar. Allerdings liegt die Wahlbeteiligung von Muslimen seit Jahren konstant unter dem Bundesdurchschnitt.
Wahlergebnisse 2025: Verschiebung nach links
Bereits im vergangenen Jahr ließ eine Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen vom April aufhorchen. Danach hatten die Parteien der Ampelkoalition auch bei den muslimischen Wählerinnen und Wählern massiv an Zustimmung verloren. Die befragten Muslime (Anzahl unbekannt) favorisierten die Parteien DAVA, BSW sowie CDU/CSU. Erst auf den Plätzen 4 und 5 folgen die SPD und die Bündnisgrünen.
Zwei weitere Umfragen von Ende letzten und Anfang dieses Jahres dokumentieren einen Wandel in der muslimischen Wählergunst. Nach einer DeZIM-Umfrage in Berlin gaben 55 % aller Befragten türkischer und arabischer Herkunft an, die beiden linken Parteien BSW und Die Linke wählen zu wollen.
Unterstrichen wurde diese Umfrage durch ebenfalls vom DeZIM veröffentlichte Zahlen, nach denen die Bindung vieler Muslime in Deutschland an die etablierten Parteien zusehends schwächer geworden ist.
Zudem sprach eine große Gruppe von ihnen von einer „Entfremdung“ gegenüber der Politik im Allgemeinen. Bekannte Stimmen mit Zuwanderungsgeschichte – bis hin zu staatstragenden Persönlichkeiten wie dem Journalisten Yassin Musharbash – zeigten sich enttäuscht von der Parteienlandschaft. In einigen Kreisverbänden kam es zu prominenten Austritten – von der Union bis zu den Bündnisgrünen.
Foto: Ingo Bartussek
Zahlen von der Forschungsgruppe Wahlen
Am Wahlsonntag führte die Forschungsgruppe Wahlen eine Wahltagsbefragung im Auftrage des ZDF durch. Dazu gehörten auch Muslime. Insgesamt wurden 49.500 Bürgerinnen und Bürger hierbei gefragt. Wie groß der Anteil der Muslime dabei war, ist bisher nicht bekannt. Daher ist unklar, wie repräsentativ die Zahlen sind. Bekannt gemacht wurden sie 25. Februar.
Liegt man diese Ergebnisse als Hinweis zugrunde, dann hat sich die Stimmverteilung unter Muslimen in Deutschland im Vergleich zum April 2024 weiter differenziert. Und einige Gewichtungen haben sich verschoben. Ein Trend bleibt erhalten: Muslimische Wähler und Wählerinnen in der Bundesrepublik entscheiden sich vor allem für linke bzw. linksliberale Parteien.
Die Linkspartei erhielt mit 29 % den größten Zuspruch unter muslimischen Wählern. Das erklärt, warum sie in Berlin erstmals mit Neukölln einen Westberliner Wahlbezirk gewinnen konnten. Insgesamt wurde sie stärkste Partei in der Hauptstadt (19,9 %). Anders als in der Vergangenheit und als das BSW scheint in einer furiosen Aufholjagd auf im West Fuß fassen können.
Knapp dahinter folgen die Sozialdemokraten mit 28% in der muslimischen Wählergunst. Dies ist insofern überraschend, als sie a) im April 2024 noch abgeschlagen auf Platz 4 der Umfrage lagen und b) eine Verschärfung der Migrationsdebatte(n) sowie die deutsche Haltung zum Nahostkrieg zu verantworten haben.
Unter den Muslimen in Deutschland hat das BSW seit April 2024 mit 16 Prozent fast die Hälfte seiner Stimmen verloren. Ein Grund dafür ist nach Ansicht von Beobachtern, dass für diese Wählerinnen und Wähler nicht nur ein Thema ausschlaggebend war. Das BSW lag bei innen- und migrationspolitischen Themen häufig auf der rechten Seite.
Etwas überraschend erhielt die in Teilen rechtsextreme AfD mit 6 Prozent mehr Stimmen von den antwortenden Muslimen als die Grünen. Die Grünen kamen nur auf 4 Prozent.
Foto: Deutscher Bundestag, Felix Zahn, photothek
Sitzen eigentlich Muslime im höchsten deutschen Parlament?
Einer Handvoll muslimischer oder „muslimisch gelesener“ Bundestagsabgeordneter ist der Einzug in die neue Legislaturperiode gelungen. Dazu gehören die Grüne Lamya Kaddor, der Linke Mirze Edis (Duisburg) sowie Ferat Kocak, der für die Linkspartei das Direktmandat in Berlin-Neukölln gewinnen konnte.
Nach Berichten einiger Medien und Internetseiten soll die Zahl dieser beiden Gruppen von 38 auf 28 gesunken sein. Belege dafür gibt es in der bisherigen Berichterstattung nicht.