In Sachsen leben vergleichsweise wenige Ausländer. Dennoch gehen hier jede Woche Tausende gegen angebliche Überfremdung auf die Straße. Ministerpräsident Tillich beobachtet die Entwicklung mit Sorge.
Von Jörg Schurig und Martin Fischer
Dresden (dpa). In Dresden demonstriert die Anti-Islam-Bewegung „Pegida“ seit Wochen unter anderem für eine Verschärfung des Asylrechts. Tausende laufen mit – und es werden immer mehr. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) beobachtet die Entwicklung mit Sorge. Den Ängsten der Menschen müsse mit Aufklärung begegnet werden, sagt er im Interview der Deutschen Presse-Agentur – und mahnt Solidarität mit den Flüchtlingen an.
Frage: Was sagt man den Menschen in Sachsen, die Angst vor einer Überfremdung durch Flüchtlinge haben?
Antwort: Wir leben in Deutschland und auch in Sachsen in einer Gesellschaft, in der es uns im Vergleich zu denjenigen, die zu uns kommen, viel besser geht. Wir leben einerseits in Freiheit und in Demokratie, und die Arbeitsplatzsituation ist auch eine bessere. Zum Beispiel in den arabischen Ländern gibt es Krieg, Verfolgung und kaum Hoffnung auf eine friedliche Zukunft. Deshalb kommen die Menschen zu uns und darauf müssen wir in der gesamten Gesellschaft eine Antwort finden. Wir Ostdeutschen haben auch Solidarität erfahren im Herbst 1989 und in den Jahren danach, als wir Arbeit im Westen Deutschlands gesucht haben. Seit 25 Jahren bekommen wir Unterstützung für den Wiederaufbau Ostdeutschlands.
Frage: Und dennoch scheint viele die Angst umzutreiben. Und die wird von „Pegida“ ja auch geschürt. Verstehen Sie die Sorgen?
Antwort: Es ist eine Herausforderung für die Menschen, die damit konfrontiert werden, dass eine Asylbewerbereinrichtung vor ihrer Haustür neu entsteht. Und dann stellen sich natürlich viele Fragen: Wie lange bleiben die Menschen? Werden sie hier arbeiten? Dürfen sie hier arbeiten? Welche Sozialleistungen des Staates nehmen sie in Anspruch? Das alles aufzuklären und auch so manch einem Gerücht entgegenzutreten, ist Aufgabe der Politik, der des Landes und natürlich auch der Kommunen.
Frage: Und was kann man da tun?
Antwort: Wir müssen deutlich machen, dass Sachsen weltoffen ist. Dass wir die Menschen, die zu Recht zu uns kommen, die zu Recht Asyl erhalten, auch willkommen heißen und dass wir ihnen die Möglichkeit zur Integration in die Gesellschaft geben. Auf der anderen Seite müssen wir aber gegenüber denen, die kein Anrecht auf Asyl haben, so konsequent sein, wie es der Freistaat Sachsen schon in der Vergangenheit war. Diejenigen, deren Antrag auf Asyl abgelehnt wird, müssen Deutschland unverzüglich wieder verlassen. Und die Entscheidung, ob jemand Asyl erhält, muss schneller getroffen werden.
Frage: Jetzt leben in Sachsen vergleichsweise wenige Ausländer, und auch der Anteil der Muslime ist hier geringer als anderswo. Warum bildet sich ein Bündnis wie „Pegida“ ausgerechnet hier?
Antwort: Die Frage ist schwer zu beantworten. Aber Sachsen ist keine Insel. Wir haben eine Situation, die in Deutschland und in Europa annähernd die gleiche ist: dass Menschen nach Europa und nach Deutschland kommen. Deshalb müssen wir sowohl in Berlin wie hier in Dresden und in jeder einzelnen Kommune dafür Sorge tragen, dass die Ängste der Menschen ernst genommen werden.
ZUR PERSON: Der CDU-Politiker Stanislaw Tillich (55) ist seit Mai 2008 Ministerpräsident von Sachsen. Zuvor hatte er in sächsischen Regierungen verschiedene Ämter inne. Seine politische Karriere begann er nach der Wende in der DDR aber auf europäischem Parkett – als Beobachter und später Abgeordneter des Europaparlamentes.