Wie praktizieren Muslime im Westen die Zakat? Ihre Gemeinschaften dürfen die vorgeschriebenen Kategorien nicht zu sehr ausweiten.
„Du wärest der Imam der Sozialisten, wären nicht ihre Exzesse und Ansprüche… Wenn ein Mann sich eine Religion aussuchen müsste, würden die Armen nur Deine Religion wählen.“ Abdul Hakim Murad
(Traversing Tradition). Der Prophet hatte nicht nur Mitgefühl mit den Armen, er „liebte die Armen und saß bei ihnen“ und lehrte uns das Gebet: „Herr Gott, gib uns Liebe für die Armen (arab. hubb al-masakin).“ Auch wenn wir uns heute fragen, ob die Umma genug für die Unterdrückten tut, ist es lobenswert, dass unsere Bereitschaft, die Armen zu unterstützen, anhält. Von Mohammed Adam
Zakat – Muslime im Westen sind großzügig
Ein 2021, von der Muslim Philanthropy Initiative veröffentlichter Bericht ergab, dass muslimische Amerikaner zwar nur 1,1 % der Bevölkerung ausmachen, aber 1,4 % (beinahe 4,3 Mrd. Dollar) der Spenden für wohltätige Zwecke leisten.
Trotz weit verbreiteter Vorurteile darüber, wofür Muslime ihr Geld ausgeben, stellt derselbe Bericht fest, dass ein beträchtlicher Teil der Spenden für wohltätige Zwecke inländische, nicht religiöse Zwecke unterstützt, darunter auch die Bekämpfung von Folgen der Covid-19-Pandemie.
In seinem Buch „Travelling Home“, einer Abhandlung über die Integration von Muslimen in Europa, endet Schaikh Abdal Hakim Murad mit einem Kapitel, in dem er die Macht der Wohltätigkeit bei der Wiederbelebung des muslimischen Bewusstseins erörtert.
Während er das Potenzial derjenigen, die in der Lage sind, Spenden zu geben, wunderbar detailliert beschreibt – von den vermögenden Muslimen in London bis hin zu den Milliardären aus den Emiraten, die von Petrodollars leben –, bleiben die Empfänger auffallend unerwähnt, insbesondere im Fall von Zakat.
Es besteht kein Zweifel daran, dass wir in einem räuberischen Finanzsystem leben, in dem die Banken und Institutionen von der Aussicht begeistert sind, diejenigen auszubeuten, die am unteren Ende der Gesellschaft stehen, um das Ungleichgewicht des gesellschaftlichen Reichtums aufrechtzuerhalten.
Riba (wir beziehen uns hier lose auf Zinsen und Wucherpraktiken) ist im Islam wegen seines ausbeuterischen Charakters und seines Endergebnisses, der ungerechten Aneignung der finanziell Verzweifelten, um die Taschen der immer Reicheren zu füllen, ausdrücklich verboten.
Foto: Carl Davies, CSIRO | Lizenz: CC BY-SA 3.0
Allah vermehrt Zakat – und vermindert Riba
Allah warnt uns davor, dass die Praxis von Riba ein verlustreiches Unternehmen auf einer kosmischen Ebene ist. Dies ist im Qur’an festgehalten: „Und was ihr an Ausgaben aufwendet, damit sie sich aus dem Besitz der Menschen vermehren [d.h. Riba], sie vermehren sich nicht bei Allah. Was ihr aber an Abgaben entrichtet im Begehren nach Allahs Angesicht … – das sind diejenigen, die das Vielfache erzielen.“ (Ar-Rum, Sure 30, 39)
Dieser Vers stellt einen wunderbaren Kontrast zwischen der parasitären Natur der Riba und der schönen Gerechtigkeit der Zakat dar. Ihre Institution ist das Gegenteil dieser verbotenen Praxis, da sie als umverteilende wirtschaftliche Fairness dient und Harmonie innerhalb des sozioökonomischen Systems schafft.
Allah sagt uns, dass es sich um eine Transaktion mit positiver Summe handelt: Wir reinigen den Reichtum, die Armen werden gestärkt und auf kosmischer Ebene vervielfacht sich unsere Belohnung bei Allah exponentiell.
Dieser Vers hat eine tiefere Bedeutung, die die Gerechtigkeit Allahs weiter offenbart. Obwohl Zakat Sein Eigentum ist und uns im Prinzip nicht gehört, belohnt Er uns auf eine vervielfachende Weise, im direkten Gegensatz zur Funktionsweise von Riba: positive Summen statt eines Nullsummenspiels.
Die Bedeutsamkeit der Zakat im Islam und als Institution sollte nicht unterschätzt werden. Es handelt sich um eine gemeinschaftsorientierte Praxis, die dazu befähigte Muslime dazu zwingt, sich in die Notlage ihrer weniger wohlhabenden Geschwister hineinzuversetzen.
Ein Grundpfeiler der Anbetung
Sie ist ein Grundpfeiler des Dins und wird als integraler Bestandteil des Fundaments von islamischer Zivilisation betrachtet. Es ist ein großer Fehler, Zakat nur als eine andere Form der Wohltätigkeit zu betrachten. Sie ist eine Institution und eine geregelte Praxis – im Gegensatz zur Sadaqa, eine Weise der spontanen Wohltätigkeit.
Sie ist für einen Muslim so grundlegend, dass Allah sie und das Gebet (arab. Salat) im Qur’an 28 Mal im Zusammenhang erwähnt. Wie der große hanafitische Gelehrte Badr Ad-Din Al-Ayni schrieb: „Zakat ist der Partner von Salah“. Mulla Ali Al-Qari erklärt: „Salah und Zakat sind die Grundlagen aller Gottesdienste.“
Zu diesem Zweck hat der Gelehrte Schaikh Yousef Wahb einen Aufsatz über die Verwendung und den Missbrauch von Geldern durch religiöse Institutionen in Nordamerika verfasst. Darin wird erörtert, inwiefern dortige Praktiken bezüglich ihrer Verteilung von den Rechtsvorschriften abweichen.
Eine juristische Analyse seines Aufsatzes würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Kurz gesagt hebt er hervor, wie zeitgenössische Urteile und Gepflogenheiten ihre Berechtigung auf ein beispielloses und fast zweifelhaftes Niveau erweitern.
Neben der detaillierten Beschreibung der gerechten Distribution auf die acht festgelegten Empfängerkategorien in der schafi’itischen Schule nimmt sich der Autor Zeit, drei spezifische Kategorien aufzuschlüsseln, bei denen die heutige Verteilung inkonsistent ist: „auf dem Weg Allahs“, diejenigen, die sie einsammeln, und „Annäherung der Herzen“.
Ahmed Shaikh, Anwalt für islamische Nachlassplanung, veröffentlicht den Newsletter „Working Towards Ehsan“, der regelmäßig einen Überblick über solche Institute gibt wie Emgage, Islamic Relief USA und Launchgood. In einem Beitrag stellt er fest: „Die praktische Auswirkung von viel Zakat in den Vereinigten Staaten ist, dass die Wohlhabenden ihren Reichtum untereinander zirkulieren lassen.“
Wem kommt die Zakat zugute?
Ohne sich in ihre rechtlichen Feinheiten zu vertiefen, liefert er praktische Beispiele, bei denen Muslime paradoxerweise direkt von der Zakat profitieren, die sie geben – wie z.B. Zahlungen an lokale Moscheen, politische Interessenvertretungen und bestimmte Da’wa-Gruppen.
Er hebt ein beunruhigendes Beispiel hervor, bei dem ein Gelehrter auf der Website einer gemeinnützigen Organisation prominent dargestellt wird, ohne dass seine Rolle (über das Branding hinaus) entsprechend erklärt wird und ohne dass er tatsächlich die Richtlinien der Organisation überprüft.
Abgesehen von der offensichtlichen, spirituellen Bedeutung von Zakat ist es vernünftig, ein hohes Maß an Transparenz zu erwarten, das für jede moderne Organisation zum Standard gehört. Man braucht nur im Netz zu schauen, um das Gehalt eines Professors oder Fußballtrainers an einer öffentlichen Universität zu erfahren, die Dollarbeträge und die Häufigkeit politischer Spenden (und den Empfänger der Spende) von gewöhnlichen Bürgern, den genauen Wert der Verpflegungs- und Reisekosten, die Pharmaunternehmen seit 2016 allen Ärzten gezahlt haben, und sogar die ausgehandelten Mindest- und Höchstpreise für Krankenhausleistungen, Labors oder Verfahren auf der Website eines Krankenhauses gemäß einem relativ neuen Gesetz.
Trotz der unvermeidlichen rechtlichen Unterschiede bei der Frage, wer Anspruch auf Zakat hat, sollte der durchschnittliche Muslim Bescheid wissen. Ob seine Zahlung den Business-Class-Flug und das Hotel eines Redners, die Wahlkampffinanzierung eines pro-muslimischen nicht-muslimischen Kandidaten für ein öffentliches Amt, Verwaltungskosten, auffällige Werbeverträge mit Influencern, den Basketballplatz und die Mehrzweckhalle der örtlichen Moschee oder „intellektuelle Bemühungen“ (wie von der Assembly of Muslim Jurists of America legitimiert) finanziert.
In seinem Artikel bemerkt Wahb treffend: „In der Geschichte wurde der klassische Fiqh nie als Hindernis für die Daʿwa angesehen, sondern scheint in der heutigen Gemeindearbeit als eines wahrgenommen zu werden.“ Er führt ein kreatives Beispiel dafür an, wie Zakat potenziell für den Schuldenerlass bei Flüchtlingen eingesetzt werden kann, von denen zwei Drittel aus muslimischen Ländern stammen.
Keine Verwechslung mit Spenden / Sadaqa
Seine Arbeit macht deutlich, dass die Pflichtabgabe nicht mit Wohltätigkeit gleichgesetzt werden darf und dass die Abgabe je nach Struktur, an die sie gezahlt wird, für unterschiedliche Zwecke verwendet werden kann.
Obwohl ihr Umfang in der modernen Welt unklar ist, legitimiert dies kein „Jeder-gegen-jeden“ in der muslimischen Non-Profit-Branche, in der Organisationen pauschal einen Anspruch auf „Zakat-Berechtigung“ geltend machen können, ohne genau zu definieren, was dies beinhaltet (und wer diesen Anspruch genehmigt hat).
Ein Muslim, der seine Zahlung einer Organisation anvertraut, macht diese praktisch zu seinem Vertreter. Während die Pflicht zur Erfüllung letztlich beim Individuum liegt, wird dem Vertreter ein Vertrauensvorschuss gewährt, den er im Namen des Individuums annimmt.
Angesichts ihrer Bedeutung besteht die Pflicht zur Transparenz nicht nur im Interesse der Empfänger und der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, sondern auch im Hinblick auf das Jenseits, wo wir alle zur Rechenschaft gezogen werden. Muslime müssen in der Lage sein, dem Vertreter zu vertrauen, beruhigt durch die Gewissheit, dass ihre Zakat nicht missbraucht, sondern gerecht an die legitimen Kategorien weitergeleitet wird, die Allah für uns bestimmt hat.
Die muslimische Gemeinschaft hat das Recht, von ihren Vertretern Rechenschaft und Transparenz zu verlangen. Schließlich handelt es sich nicht nur um Wohltätigkeit, sondern um eine kollektive Einrichtung, die Vorteile für alle schafft und den Weg zum Erfolg in dieser und der nächsten Welt ebnet.
Dieser Text erschien am 11. März 2024 auf der Webseite „Traversing Tradition“. Übersetzung und Nachdruck mit Erlaubnis der Redaktion.