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Ein erkennbarer Trend: Muslime sind politisch zunehmend entfremdet

Ausgabe 357

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Grafik: IZ (Foto: Adobe Stock)

Umfragen ergeben, dass sich Muslime heute politisch entfremdeter fühlen als vor 10 Jahren. Insgesamt beklagen die Deutschen den Trend zur Polarisierung.

(iz). Vier von fünf Bundesbürgern nehmen eine Spaltung der Gesellschaft wahr. Das zeigen die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Evangelischen Kirche und der Diakonie.

Parallel dazu zeigt eine Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) einen deutlichen Vertrauensverlust der muslimischen Community gegenüber der Bundespolitik in den letzten zwei Jahren. Diese Ergebnisse deuten nach Ansicht der Autoren auf eine zunehmende politische Entfremdung hin, die laut Experten nicht primär auf migrationsspezifische Faktoren zurückzuführen ist, sondern tiefere strukturelle Ursachen hat.

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Foto: r.classen, Shutterstock

Trend: Bundesbürger beklagen zunehmende Polarisierung

Laut der Forsa-Erhebung sind 70 % der Deutschen überzeugt, dass Diskussionen von wichtigen Themen in der Öffentlichkeit heute weniger sachlich und respektvoll geführt werden als früher. Jeder Dritte (36 %) hat demnach schon selbst erlebt, dass Debatten über polarisierende Fragen unsachlich oder respektlos ablaufen. Knapp ein Drittel der Bundesbürger hat wegen unterschiedlicher Meinungen zu solchen Themen schon einmal den Kontakt zu Menschen aus dem eigenen Umfeld reduziert oder gar abgebrochen.

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Von den 2.000 erwachsenen Bürgern, die von Forsa befragt wurden, äußerten sich 71 % besorgt über aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf Rechtsextremismus. Etwa genauso viele Menschen (70 %) sehen Inflation als Sorgenthema. 57 % der Befragten nannten hier Migration, 65 % „Islamismus“ und 46 % Linksextremismus.

Die Meinungsforscher hatten den Teilnehmern die Frage vorgelegt: „Manchmal hört und liest man in den Medien die Aussage, unsere Gesellschaft sei gegenwärtig gespalten. Sehen Sie das auch so oder sind Sie nicht der Meinung, dass unsere Gesellschaft aktuell gespalten ist?“ 82 % der Befragten entgegneten mit „sehe ich auch so“, während 12 % erklärten, sie seien nicht dieser Ansicht. Die restlichen Teilnehmer machten hier keine Angabe oder antworteten mit „weiß nicht“.

Religiosität beziehungsweise Spiritualität spielt aktuell laut Umfrage für knapp ein Drittel der Bundesbürger (32 %) eine Rolle, wenn es um ihr mentales Wohlbefinden geht.

Entfremdung: Das Vertrauen in Politik schwindet

Ein Unsicherheitsfaktor für die in Deutschland lebenden Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist das schwindende Vertrauen in Politiker. Das gilt laut einer Erhebung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) insbesondere für Personen, die sich selbst als Muslime identifizieren.

23 % von ihnen hatten bei einer Befragung 2022 angegeben, deutschen Politikerinnen und Politikern „überhaupt nicht“ zu vertrauen. Als ihnen 2024 die gleiche Frage vorgelegt wurde, vertraten 34 % der befragten Muslime diese Auffassung. Zum Vergleich: In der Gruppe der Menschen, die sich selbst als „nicht rassistisch markiert“ bezeichnen, lag der Anteil derjenigen, die Politikern überhaupt nicht vertrauen, zuletzt bei 19 %.

klima muslime

Foto: Deutscher Bundestag 7 Marc-Steffen Unger

Befragte mit bundesdeutscher Staatsangehörigkeit zeigten größere Skepsis (58 %) als jene ohne (33 %). In Deutschland gebürtige Muslime misstrauen der Politik stärker: 47 % vertrauen der Bundespolitik „gar nicht“, verglichen mit 28% der im Ausland geborenen.

Am 13. Februar reagierte die IGMG in einer Pressemitteilung auf die DeZIM-Befragung. Insgesamt gebe es Politikverdrossenheit in Deutschland. „Doch unter Musliminnen und Muslimen ist der Vertrauensverlust besonders groß. Die Islamische Gemeinschaft fordert eine Politik der Einbeziehung statt der Stigmatisierung“, erklärte IGMG-Generalsekretär Ali Mete. Er bezog sich in seinem Text auf die aktuelle NaDiRa-Studie (Nationaler Diskriminierungs- und Rassismusmonitor). Dieser untersucht Ursachen, Ausmaß und Folgen von Rassismus in Deutschland.

Diese Entwicklung falle in eine Zeit, in der migrationsfeindliche Debatten den politischen Diskurs immer weiter nach rechts verschieben würden. Musliminnen und Muslime seien davon besonders betroffen: Stigmatisierung, Misstrauen und ausgrenzende Narrative verstärken das Gefühl, nicht als gleichwertiger Teil dieser Gesellschaft angesehen zu werden.

Die vergangenen Jahre seien geprägt von politischen Entscheidungen, die die muslimische Bevölkerung und andere rassistisch markierte Gruppen marginalisierten, statt sie einzubeziehen. „Verschärfungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht, eine immer weiter ausufernde Sicherheitsdebatte, die Muslime wiederholt unter Generalverdacht stellt, sowie eine politische Rhetorik, die Zugehörigkeit an Bedingungen knüpft – all das trägt dazu bei, dass sich muslimische Bürgerinnen und Bürger zunehmend von der Politik entfremden.“ (sw, ak)