Umgang mit anderen: Anmerkungen von Muhammad Musad Yaqut

Ausgabe 209

In den letzten Jahren erlebte die Welt einen bemerkenswerten Anstieg des ­Interesses am Thema „Alter“. Viele internationale Konferenzen wurden abgehalten, um diese Frage zu behandeln. 1982 erklärten die Vereinten Nationen die 1980er Jahre zum „Jahrzehnt der Älteren“. 1983 übernahm die Weltgesundheitsorganisation WHO den Slogan „den Jahren Leben hinzufügen“. Darüber hinaus formulierte 2002 die UN-Konferenz in Madrid einen Plan, um die Probleme älterer Menschen in vielen Ländern zu lösen. Die Ergebnisse solcher Konferenzen waren in der Regel bloße Versprechen und Vorhaben ohne praktische Anwendung.

Der Prophet Muhammad, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, war ein Pionier auf diesem Feld. Er lehrte uns die Sorge für die Älteren – ungeachtet von Geschlecht, Farbe oder Religion – und er gab selbst großes Beispiel für die Prinzipien, die er lehrte. Anas ibn Malik, möge Allah mit ihm zufrieden sein, überlieferte folgende Aussage des Propheten: „Wenn ein junger Mann einen Älteren wegen dessen Alters ehrt, bestimmt Allah jemanden, der ihn in seinem hohen Alter ehrt.“

Der Gesandte Allahs rät hier den Jüngeren der muslimischen Gemeinschaft, die die Älteren in der Zukunft sein werden, die reiferen Generationen zu ehren. Die dauer­hafte Anwendung dieses Rates überbrückt die Lücke zwischen beiden Seiten und hilft bei der Verständigung zwischen Jung und Alt. Wichtig ist dabei auch der allgemeine Charakter dieser Anweisung: Respekt ungeachtet der besonderen Eigenschaften wie Geschlecht, Herkunft und Religion.

Anas ibn Malik überlieferte ein weiteres Hadith: „Bei dem, in Dessen Hand meine Seele ist, Allah gewährt seine Barmherzigkeit nur demjenigen, der barmherzig ist.“

Von Abu Musa Al-Asch’ari stammt die Aussage des Propheten: „Aus Ehrfurcht vor Allah respektiert man den weiß-köpfigen [gealterten] Muslim.“

Abu Huraira hörte den Gesandten Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagen: „Die Jungen sollten den Gruß an die Älteren einleiten, der Passant sollte den Sitzenden zuerst grüßen und eine kleine Gruppe Personen der größeren Gruppe den Gruß entbieten.“ In diesem Text erhalten wir praktische Beispiele der Höflichkeit im Islam. Sie beginnt mit der Respektsbezeugung für die Älteren. Gleiches gilt für andere Freundlichkeiten wie Besuche, Ratschläge oder wem als erstes serviert wird.

Das islamische Recht ist geprägt von Nachsicht und Leichtigkeit mit Personen, die entschuldigende Gründe haben, wozu auch die Alten zählen. Dies kann sich in Erleichterungen und Ausnahmeregelungen für Pflichten äußern. Alte Muslime, die das verpflichtende Fasten im Monat nicht mehr leisten können, sind von dieser Pflicht befreit. Zum Ausgleich müssen sie eine bestimmte Menge an Armen speisen.

Vergleichbares gilt für das Gebet. Wer aus mangelnder Kraft nicht mehr stehen kann, kann dies im Sitzen tun. Wer dies nicht mehr kann, darf auch auf der Seite liegend beten. Laut eines Berichts kritisierte der Gesandte Allah einmal Mu’adh ibn Dschabal, während dieser das Gebet leitete und es dabei in die Länge zog. Drei Mal fragte er ihn: „O Mu’adh, warum prüfst du diese Leute so hart? Es wäre besser gewesen, du hättest die Sura Al-Ghaschija, Asch-Schams oder Al-Lail rezitiert, denn die Älteren, Schwachen und Bedürftigen haben hinter dir gebetet.“

Im Islam haben Altere, die die Hadsch nicht mehr durchführen können, des Weiteren die Möglichkeit, jemanden zu beauftragen, dies für sie zu tun. Al-Fadl überlieferte, dass eine Frau vom Stamm Khath’am zum Propheten, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, kam und diesen fragte: „Oh Gesandter Allahs, die Verpflichtung zur Hadsch wird für meinen Vater fällig. Aber er ist alt und schwach und kann nicht mehr fest im Sattel sitzen. Kann ich die Hadsch für ihn durchführen?“ Der Gesandte ­Allahs antwortete: „Ja.“

Ibn Kathir berichtet berichtet eine Begebenheit, die sich während der Einnahme von Mekka im Ramadan im achten Jahr der Hidschra (ca. Januar 630) abspielte. Als der Gesandte Allahs, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, die heilige Moschee betrat, brachte Abu Bakr seinen Vater Abu Quhafah zum Propheten, damit dieser den Islam annehmen konnte. Als der Gesandte Allahs die beiden sah, wollte er von Abu Bakr wissen: „Warum hast du den alten Herrn nicht in seinem Haus gelassen, wo ich ihn hätte besuchen können?“ Sein Gefährte entgegnete: „Du verdienst es mehr, dass er zu dir kommt, als er, dass du zu ihm gingest.“ Der Ge­sandte Allahs ließ Abu Quhafah neben sich Platz nehmen und ehrte ihn. Dann legte er seine Hand auf Abu Quhafahs Brust und ­fragte ihn, ob er den Islam annehmen wolle, was Abu Quhafah daraufhin auch tat. Als der Prophet dessen weißes Haar sah, wies er den Vater Abu Bakrs an, dieses zu ­färben.

Das sind nur einige Beispiele der Freundlichkeit des Propheten, sowie seiner Barmherzigkeit und seines Respekts gegenüber den Alten. Sie – und viele andere – bestim­men die feinen islamischen Umgangsformen in der Behandlung alter Menschen. Sie bieten Muslimen auch – in ­jeder Generation – ein praktisches Modell, dem wir folgen können. Diese Sorge um die ­Älteren entspricht dem islamischen Respekt vor der Würde des Menschen und dem Geist der Solidarität und Barmherzigkeit, der eine muslimische Gesellschaft kennzeichnen sollte.