
(Middle East Monitor). Auch wenn im Rahmen der türkischen Militäroffensive entlang der nordöstlichen, syrischen Grenze seit dem 22. Oktober mehrheitlich die Waffen schweigen, häufen sich die Sorgen über deren humanitäre Wirkung. Ziel der Operation war unter anderem, jene kurdischen Milizen aus einem Streifen entlang der Grenze zu vertreiben, welche die Türkei als terroristisch einstuft. Darüber hinaus plant Ankara, erhebliche Mengen an syrischen Flüchtlingen in dem Gebiet anzusiedeln.
Der militärische Vorstoß folgte unmittelbar auf die Ankündigung von US-Präsident Trump, US-Truppen aus dem Gebieten abzuziehen. De facto haben die USA damit den Weg für die Operation freigemacht. Professor Selcuk Colakoglu vom Türkischen Zentrum für Asiatisch-Pazifische Studien in Ankara sagte, die Verhandlungen zwischen Ankara und Washington über den Aufbau einer sicheren Zone seien seit August geführt worden. Soweit man wisse, habe Präsident Trump der türkischen Regierung das Grüne Licht zur Errichtung einer solchen Zone auf einer Länge von 120 Kilometern und einer Tiefe von 32 entlang der türkischen Grenze gegeben.
Im letzten Monat enthüllte der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, auf der 74. Sitzung der UN-Generalversammlung, zwei Millionen syrische Flüchtlinge, die sich derzeit in der Türkei aufhalten. Nach Angaben der in Ankara erscheinenden „Turkish Daily News“ wolle man in über zehn Distrikten 140 Dörfer bauen, die jeweils 5.000 Menschen aufnehmen sollten. Auch wenn die Regierung noch nichts über die Kosten verlautbarte, spekulierten türkische Medien über eine Summe von mehr als 20 Milliarden US-Dollar. Laut offizieller Zahlen beherbergt die Türkei mit derzeit 3,6 Millionen Menschen die größte Flüchtlingsbevölkerung der Welt. Bisher habe man für sie 40 Milliarden ausgegeben.
Obwohl die Flüchtlinge von der EU Hilfe in Höhe von rund 6 Milliarden US-Dollar erhalten, sind sie für die Türkei eine immer größere Belastung geworden, da sie gegen die wirtschaftliche Rezession und die hohe Arbeitslosigkeit ankämpft. Der Anstieg des Nationalismus und der Wut unter Teilen der Bevölkerung hat Erdogan einen Sieg bei den Kommunalwahlen im März gekostet.
Nach Ansicht von Colakoglu wolle die Regierung den öffentlichen Fokus in der Türkei von ökonomischen Fragen auf die Sicherheit ausrichten. Er erklärte, wenn die türkische Regierung eine sichere Zone errichten und dort rund eine Million syrische Flüchtlinge aus der Türkei ansiedeln könne, sei es eine positive Botschaft an die türkische Bevölkerung, dass die AKP-MHP-Regierung die Syrer zurückschicke. Darüber hinaus könnten Wohnbauprojekte in der sicheren Zone den Bau boomen lassen und die angeschlagene türkische Wirtschaft wieder in Schwung bringen.
Trotz des offiziellen Vorhabens, dass die jüngsten Operationen eine humanitäre Krise verbessern sollen, fürchten viele, dass der Umsiedlungsplan eine größere zu erzeugen droht. Solche umfassenden Umsiedlungen hätten erhebliche Auswirkungen auf die ethnische Landkarte in Nordsyrien. Die neuen Siedler – überwiegend sunnitische Araber – würden die bisherigen, einheimischen Anwohner überwiegen.
Das droht, neue Spannungen und wahrscheinlich heftigen Widerstand seitens bisheriger Anwohner zu generieren. Kristian Brakel, Türkeidirektor der Heinrich-Böll-Stiftung, geht davon aus, dass es bisher nur Spekulationen seien. „Zuallererst soll die Zone als ein Puffer dafür dienen, falls die Enklave von Idlib überrannt wird. Das soll den einheimischen Druck auf die Türkei in der Flüchtlingsfrage vermindern“, sagte er gegenüber MEMO. Unklar ist, wer diese Pläne letztendlich finanzieren solle. Jean-Claude Juncker, Präsident der EU-Kommission, erteilte der Finanzierung durch die EU eine Absage: „Wenn zum Plan die Schaffung einer sogenannten ’Sicherheitszone’ gehört, erwartet nicht, dass die EU dafür bezahlt.“
Darüber hinaus ist die vorgeschlagene „sichere Zone“ mit rund 800.000 Einwohnern, von denen etwa 650.000 Kurden sind, bereits recht dicht besiedelt. Die unentwickelte Region bestand aus kleinen Städten, in denen Wasserknappheit herrscht, und es ist nicht klar, wie die Türkei die Grundbedürfnisse von weiteren ein oder zwei Millionen Einwohnern befriedigen will. Neben Fragen der Machbarkeit im Rahmen des Völkerrechts bestehen auch Zweifel, ob dies nicht eine Nachkriegsordnung für Syrien gefährden werde.
Der Text erschien erstmals auf der Webseite von Middle East Monitor im Rahmen einer CCL-Lizenz.