Unter Generalverdacht

Foto: Ta’leef Collective | Facebook

Nach dem 11. September 2001 stellte sich der damalige US-Präsident George W. Bush schützend vor die Muslime. 15 Jahre später herrscht unter der Minderheit große Verunsicherung.
New York (KNA). Imam Shamsi Ali vom „Jamaica Muslim Center“ rang lange mit der Frage, ob er die diesjährigen Feiern zum „Eid al-Adha“-Fest nach drinnen verlegen sollte. Mitglieder der muslimischen Gemeinde im New Yorker Stadtteil Queens hatten ihm gleich aus mehreren Gründen dazu geraten.
Zum einen war da der Doppelmord an einem anderen islamischen Geistlichen und dessen Begleiter unweit des Centers im August. Imam Maulama Akonjee (55) und Thara Uddin (64) waren auf dem Heimweg vom Nachmittagsgebet von einem 35-jährigen Latino auf offener Straße erschossen worden. Der Mann sitzt in Haft und wartet auf seinen Prozess.
Viele Muslime sehen in der Tat ein Hassverbrechen und eine Konsequenz der antimuslimischen Stimmung, die durch den Wahlkampf aufgeheizt ist. Der Nachbarschafts-Aktivist Khairul Islam Kukon, der im Hauptberuf Immobilien verkauft, macht dafür den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump verantwortlich: „Er hat für das islamfeindliche Klima gesorgt.“ Vom Einreiseverbot aus muslimischen Ländern über die Registrierung von US-Muslimen bis hin zu den Beleidigungen der Eltern eines gefallenen muslimischen US-Soldaten im Irak habe Trump keine Gelegenheit ausgelassen, eine ganze Religion unter Generalverdacht zu stellen.
Imam Ali vom „Jamaica Muslim Center“ ist sich zudem eines weiteren Vorwurfs bewusst: dass „Tausende Muslime“ nach dem Terroranschlag auf die Zwillingstürme des World Trade Centers am 11. September 2001 gefeiert hätten. So will es Trump mit eigenen Augen gesehen haben. Dabei bleibt er bis heute jeden Beweis für diesen aus Sicht der US-Muslime ungeheuerlichen Vorwurf schuldig.
Einige Gemeindemitglieder gaben Imam Ali zudem zu bedenken, Demagogen könnten die Versammlung von mehr als 20.000 Muslimen unter freiem Himmel zur Feier des „Eid al-Adha“-Festes für ihre Hetze nutzen. Zumal es für eine kurze Zeit danach aussah, als fiele der religiöse Feiertag in diesem Jahr genau auf den 11. September.

Foto: David Shankbone | Lizenz: CC BY 2.0
Foto: David Shankbone | Lizenz: CC BY 2.0

Diese Bedenken trieben nicht nur den Leiter des „Jamaica Muslim Center“ um, sondern muslimische Führer überall in den USA, wie Robert McCaw von der muslimischen Lobby-Gruppe CAIR versichert. Entsprechend groß war die Erleichterung, als die für die Bestimmung des Feiertags zuständigen Autoritäten in Saudi-Arabien das Fest in diesem Jahr auf den 12. September legten. Die Entscheidung richtet sich freilich nicht nach politischen Gesichtspunkten, sondern nach dem Stand des Mondes und des islamischen Kalenders.
Das wiederum machte auch Imam Ali die Entscheidung leichter, an den Feiern unter freiem Himmel festzuhalten. Auch im anderen Fall hätte er nach eigenen Angaben dazu geneigt, an der Tradition festzuhalten – und zudem auch nicht-muslimische Nachbarn einzuladen. „Wenn andere Mauern bauen“, meint er mit Blick auf Trump, der in Queens aufwuchs, „versuchen wir, Brücken zu schlagen“.
Politische Analysten werten die Verunsicherung der US-Muslime vor dem 15. Jahrestag der Terroranschläge als einen weiteren Indikator für das veränderte gesellschaftliche Klima der USA. Abzulesen ist das auch an Trumps Vizepräsidentschaftskandidaten, Mike Pence, der sich als Kongressabgeordneter aus Indiana nach dem 11. September noch mit einem flammenden Appell für Toleranz an seine Wähler wandte.
Pence sagte damals, die Terroristen seien in keiner Weise repräsentativ für die überwältigende Mehrheit der Araber oder Muslime in den USA. „Wenn wir Unschuldige einfach nur wegen ihrer Herkunft angreifen, sind wir nicht besser als die Terroristen.“
Dass er nun an der Seite eines Kandidaten antritt, der Hetze gegen Muslime und andere Minderheiten zum Markenzeichen seines Wahlkampfs machte, irritiert viele moderate Konservative, die sich nach dem 11. September ohne Wenn und Aber hinter die muslimische Minderheit der USA gestellt hatten – wie übrigens auch der damalige Präsident George W. Bush. 15 Jahre später droht Osama bin Ladens offenkundiges Ziel eines „Kriegs der Zivilisationen“ mehr denn je Realität zu werden – wenn sich die US-Amerikaner im November dazu verführen lassen.