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USA: Der Hass im Netz eskaliert

USA
Foto: momius, Adobe Stock

In den USA schwappt seit dem Angriff der Hamas eine Welle von Hass durch das Internet. In Netzwerken erreichen Antisemitismus und Muslimfeindschaft Rekordhöhen. Bürgerrechtler sind alarmiert.

Washington (KNA) Sacha Baron Cohen hält mit seiner Empörung nicht hinter dem Berg. „Schämt Euch“, rief er in einer Video-Konferenz vergangene Woche führenden TikTok-Mitarbeitern zu. Der bekannte Komiker und Schauspieler meinte das in diesem Fall sehr ernst. Von Bernd Tenhage

Zusammen mit mehreren jüdischen US-Prominenten hatte er in dem virtuellen Gruppengespräch TikTok aufgefordert, mehr gegen den inflationären Antisemitismus im Netz zu tun. „Was bei TikTok passiert, ist die größte antisemitische Bewegung seit den Nazis.“

Der Hass in den USA ist online auf dem Vormarsch

Und nicht nur dort. Seit Wochen sind Hassparolen auf Social-Media-Plattformen wie X, dem früheren Twitter, Facebook und Instagram auf dem Vormarsch. Das gilt auch für antimuslimische Attacken.

Den Hashtag #HitlerWasRight übernahmen innerhalb eines Monats X-User in mehr als 46.000 Beiträgen, oft in Verbindung mit Aufrufen, gewaltsam gegen Juden vorzugehen. Im gleichen Zeitraum teilten zehntausende Islamfeinde den Hashtag #DeathtoMuslims bei X.

Das Ausmaß des gegenüber Juden und Muslimen im Netz zum Ausdruck gebrachten Hasses nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober hat selbst Kenner der Szene, wie die Experten der gemeinnützigen Organisation „Global Project Against Hate and Extremism“, überrascht. 

Millionen gewalttätige Posts markieren einen noch nie da gewesenen Anstieg von Hetze. Auf Plattformen wie „4chan“, „Gab“ und „BitChute“ schnellten in den ersten 48 Stunden nach den Anschlägen antisemitische und islamfeindliche Beiträge um fast 500 Prozent in die Höhe.

Foto: Voyagerix, Adobe Stock

Vervielfachung hasserfüllter Postings

Laut der jüdischen Bürgerrechtsorganisation „Anti-Defamation League“ verzehnfachten sich seit dem 7. Oktober allein auf Elon Musks Kurznachrichtendienst X die antijüdischen Beiträge. Bei Facebook stieg die Quote um fast 30 Prozent. Parallel wuchs die antimuslimische Hetze nach Angaben des Londoner „Institute for Strategic Dialogue“ bei X um mehr als das Vierfache.

Der Dachverband der Muslime in den USA, CAIR, schlägt Alarm. „Sowohl die Islamophobie als auch der gegen Araber gerichtete Rassismus sind in einer Weise außer Kontrolle geraten, wie wir es seit fast zehn Jahren nicht mehr erlebt haben“, so CAIR-Forschungsdirektor, Corey Saylor.

Besorgniserregend ist das plötzliche Interesse junger Amerikaner an dem Auftraggeber des Terrors vom 11. September 2001, Osama bin Laden. Dessen von Influencern ausgegrabener „Brief an Amerika“ verbreitet sich wie ein Lauffeuer, obwohl das Hasspamphlet aus dem Jahr 2002 stammt. 

Darin rechtfertigt Bin Laden den Terror von Al-Kaida unter anderem mit der Situation der Palästinenser. Der britische „Guardian“ hatte den fast 4.000 Wörter umfassenden Brief seinerzeit zur Dokumentation ins Englische übersetzt und publiziert. Die Zeitung löschte ihn aus dem Archiv, während TikTok den Hashtag #lettertoamerica in der Suchfunktion sperrte.

Dass er im Extremfall von jungen Amerikanern zum Freiheitskämpfer stilisiert wird, korrespondiert mit den erkennbaren Trends in einer aktuellen YouGov-Umfrage. Demnach hält nur jeder zweite US-Amerikaner zwischen 18 und 29 Jahren die Hamas für eine Terrororganisation. Obwohl sie am 7. Oktober rund 1.200 Zivilisten ermordete, mehr als 200 Geiseln nahm und ihre eigene Bevölkerung schutzlos ließ.

Foto: James Duncan Davidson | Urheber: James Duncan Davidson | Lizenz: CC BY-NC 3.0

Scharfe Kritik an Techno-Oligarchen

Scharf in die Kritik geriet der Besitzer des Netzwerks X selbst. Dem Beitrag eines Nutzers, der in einem Post den Juden selbst die Schuld an dem Hass gegen sie gab, spendierte Elon Musk ein „Like“ mit der Bemerkung, „Sie haben gesagt, wie es ist.“

Der Technologiekonzern IBM, Apple und andere Unternehmen kündigten daraufhin ihre Werbebudgets auf der Plattform. Andere prüfen, dem Beispiel zu folgen.

Der Judenhass im Netz hat seit dem 7. Oktober ein neues Gesicht, beobachtet Adi Cohen, Geschäftsführer der Forschungsgruppe Memetica, die digitale Trends verfolgt. Einige antisemitische Nutzer sähen darin „eine Gelegenheit, die Ermordung von Juden online zu feiern“. Sie versuchten, ein Publikum für ihre Hetze zu erreichen, die früher tabu war. „Dies ist ein großer Wachstumsmoment für sie.“

Was im Netz derzeit eskaliert, könnte schon bald im realen Leben gefährlich werden, warnt das US-Heimatschutzministerium. „Gezielte Gewalttaten könnten mit dem Fortschreiten des Konflikts zunehmen.“

TikTok zeigt sich nach dem Treffen mit den jüdischen Prominenten nachdenklich. Es sei ihm peinlich, das sagen zu müssen, aber er habe die Botschaft der Kritiker verstanden, so Adam Presser, operativer Leiter von TikTok und selbst Jude. Es sei „niederschmetternd“ zu sehen, wie viele Nutzer sich angewidert von der Plattform verabschiedeten.