Die Welt blickt besorgt auf den Süden des Gazastreifens, wo eine israelische Militäroffensive droht. Der Weltsicherheitsrat scheitert an einem Veto der USA vorerst damit, eine Waffenruhe zu fordern.
New York (dpa/IZ) Die Vereinigten Staaten haben im Weltsicherheitsrat erneut einen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe im Gaza-Krieg verhindert. Die USA legten am Dienstag in New York ein Veto gegen die Beschlussvorlage von Ratsmitglied Algerien ein. Angesichts der Sorge um eine drohende israelische Militäroffensive im Gebiet um die mit Flüchtlingen überfüllten Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens fand der Vorschlag bei den übrigen Ratsmitgliedern sonst breite Zustimmung: 13 der 15 Ratsmitglieder stimmten für den Entwurf. Großbritannien enthielt sich.
Die USA hatten bereits vorher angekündigt, ein Veto einlegen zu wollen. Israels enger Verbündeter hatte in den vergangenen Tagen versucht, eine Abstimmung des algerischen Texts zu verhindern – eigenen Angaben zufolge, um wichtige Verhandlungen zur Freilassung von Geiseln zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas nicht zu gefährden. Washington ging es Beobachtern zufolge aber auch darum, mit einem Veto nicht als Wegbereiter einer zunehmend in der Kritik stehenden Kriegsführung Israels gesehen zu werden.
US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield verteidigte das amerikanische Vorgehen direkt vor der Abstimmung im mächtigsten UN-Gremium. Die Verabschiedung einer Resolution hätte dazu führen können, dass sich „die Kämpfe zwischen Hamas und Israel ausweiten“. Es gehe darum, die Hamas dazu zu zwingen, sich auf einen Deal mit Israel einzulassen. „Manchmal braucht harte Diplomatie mehr Zeit, als einem von uns lieb ist“, so Thomas-Greenfield. Sie verstehe den Wunsch des Rates, dringend zu handeln.
Bereits drittes Veto der USA im Sicherheitsrat
In den vergangenen Monaten setzten die USA nun bereits drei Vetos ein, um Israel vor Resolutionen des Sicherheitsrates zu schützen. Die Blockadehaltung der USA sorgte bei der großen Mehrzahl der 15 Ratsmitglieder zuletzt zunehmend für Frust. Nach Angaben eines hochrangigen Vertreters wurden die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen deutlich emotionaler. Wenn die USA ein Veto einlegten, müssten sie „die Verantwortung für alles übernehmen, was danach passiert“, hatte ein hochrangiger Vertreter im Rat vor der Abstimmung gesagt. „Wenn Rafah passiert, gibt es kein Zurück.“
Während Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja das US-Vorgehen am Dienstag scharf verurteilte, sagte der chinesische Vertreter Zhang Jun: „Angesichts der Situation vor Ort ist die fortgesetzte passive Vermeidung eines sofortigen Waffenstillstands nichts anderes, als grünes Licht für das weitere Abschlachten zu geben.“ Frankreichs Botschafter Nicolas de Rivière sprach von einer „Schuld“, von der sich der Sicherheitsrat befreien müsse.
In Rafah bereitet sich die israelische Armee auf eine Invasion vor, um nach eigenen Angaben die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. Die israelische Regierung hat aber noch keinen Einsatzbefehl erteilt. Ein militärisches Vorgehen in der südlichsten Stadt des Gazastreifens an der Grenze zu Ägypten ist höchst umstritten, weil sich dort auf engem Raum 1,5 Millionen Palästinenser drängen, von denen die meisten vor den Kämpfen in anderen Teilen des Küstengebiets bereits geflohen waren. Hilfsorganisationen weisen außerdem auf eine katastrophale humanitäre Lage hin.
„Der Ruf des Westens als Verfechter universeller Werte und der Aufrechterhaltung einer regelbasierten Ordnung wird sich von den blutigen Ereignissen in Gaza wohl so schnell nicht erholen. Internationale Politik ist kein Moralspiel. So waren selbst mehrere arabische Länder der Vorstellung wohl nicht abgeneigt, dass Israel der Hamas einen vernichtenden Schlag versetzen könnte. Doch der Stand der Kämpfe im Gazastreifen deutet darauf hin, dass es dafür kaum eine Aussicht auf Erfolg gibt.“
The Guardian, London
Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, hatte am Sonntag deutlich gemacht: „Die Welt muss wissen und die Hamas-Führer müssen wissen, dass die Kämpfe weitergehen und sich auf Rafah ausweiten werden, wenn unsere Geiseln bis zum Ramadan nicht zu Hause sind“.
Ob die internationalen Vermittler bis zum Beginn des muslimischen Fastenmonats am 10. März eine Feuerpause und die Freilassung von Geiseln aushandeln können, ist jedoch ungewiss. Einem Medienbericht zufolge ist ein Beginn der Bodenoffensive in Rafah vor Ramadan eher unwahrscheinlich. Diese Einschätzung teilte ein namentlich nicht genannter ranghoher US-Beamter der „Times of Israel“ mit.
Kein eigener Resolutionsentwurf der USA
Über einen eigenen amerikanischen Resolutionsentwurf wurde im Weltsicherheitsrat zunächst nicht abgestimmt. Der Text enthält Passagen, die eine Distanzierung der USA gegenüber dem israelischen Militäreinsatz andeuten. So heißt es unter anderem mit Bezug auf israelische Rafah-Pläne, dass „eine derart große Bodenoffensive unter den gegenwärtigen Umständen nicht durchgeführt werden“ dürfe.
Auch enthält der Text die Forderung nach einer „vorübergehenden Waffenruhe in Gaza so bald wie möglich“. Die USA haben das Wort Waffenruhe lange vermieden, entsprechende Forderungen zurückgewiesen und sich bislang nur für Kampfpausen ausgesprochen. Der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan wandte sich noch in der Sitzung des Weltsicherheitsrates gegen die Forderung nach Waffenruhen: Das Wort werde ständig erwähnt, „als wäre es eine Wunderwaffe, eine magische Lösung für alle Probleme der Region“. Ein Ende der Kämpfe würde aber der Immunität für „Babymörder und Vergewaltiger“ der Hamas gleichkommen.
Resolutionen des Weltsicherheitsrates sind völkerrechtlich bindend. Wenn Länder sich ihnen widersetzen, kann der Rat Sanktionen verhängen und im Extremfall auch eine militärische Intervention erwägen – dies scheint im Falle Israels aber gegenwärtig unmöglich.