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Veränderungen im Religionsverfassungsrecht sind möglich

Ausgabe 319

burak yilmaz
Die neue Regierungsbank am Tag ihrer Vereidigung. (Foto: Henning Schacht, Deutscher Bundestag)

Schenkt man den Ankündigungen der Koalitionäre und ihrer Absichtserklärungen Glauben, dann will die neue Bundesregierung neue Wege in der Religionspolitik beschreiten. Muslime könnten davon profitieren.

(iz/KNA). Die neue Regierung der Ampelkoalition ist in verschiedener Hinsicht ein Novum in der Bundespolitik. Zum einen ist das erste Mal eine Dreierkoalition an der Spitze, zum anderen haben Frauen erstmalig eine Parität.

Konfessionell ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach seinem Parteikollegen Schröder der zweite Regierungschef, der auf einen Gottesbezug beim Amtseid verzichtet. Und der Erste, der kein Mitglied einer der großen Kirchen ist. Außer ihm sind andere Kabinettsmitglieder wie Roth, Lauterbach und Lindner ebenfalls konfessionslos. Cem Özdemir (Landwirtschaft, Die Grünen) ist der erste, als Muslim gelesene Bundesminister der Geschichte.

Dies schlägt sich, so KNA-Autor Christoph Scholz, im Koalitionsvertrag nieder. Darin wird das Christentum an keiner Stelle erwähnt. Kirchen und Religionsgemeinschaften würden unter weitere zivilgesellschaftlichen Themen und Gruppen aufgeführt. „Gesellschaftspolitisch bedeutet der Koalitionsvertrag zumindest für die katholische Kirche ein neues Zeitalter: Von der Bioethik über die Gleichstellungspolitik bis zum Lebensschutz tun sich Konfliktfelder auf. Anknüpfungspunkte sind in der Sozial-, Asyl- oder Umweltpolitik zu erwarten.“

Bezüglich der bisherigen Staatsleistungen an die Kirchen kündige SPD-Religionsexperte Lars Castellucci an, dass ihre Ablösung eingeleitet werde. Bisher erhalten mehrere evangelische und katholische Landeskirchen aus historischen Gründen Finanzmittel von den Bundesländern. Die Summe beläuft sich jährlich auf 550 Millionen Euro in Geld- und Sachleistungen. „Wir reden von einer Ablösesumme von mehreren Milliarden Euro. Dass da gefeilscht wird, kann nicht verwundern“, meinte der SPD-Politiker.

Die bisherige christlich-kirchliche Prägung der Bundespolitik scheint sich zu verändern. Welche Folgen das für die beiden großen Amtskirchen haben wird, zeigen die kommenden Monate und Jahre. Andererseits haben die innovationswilligen Grünen und Liberalen in ihren Wahlprogrammen angedeutet, dass sie für eine Erweiterung beziehungsweise Öffnung der Religionsgemeinschaften (hier vorrangig der muslimischen) offen sind. Vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages wurde eine Überprüfung angekündigt, ob Ergänzungen des rechtlichen Status von Religionsgemeinschaften nötig seien.

Mit Blick auf das muslimische Leben wollten die Koalitionäre „der Vielfalt“ Rechnung tragen und unter anderem Jugendvereine unterstützen. „Der zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen begegnen wir durch umfassenden Schutz, Prävention und bessere Unterstützung der Betroffenen“, betonten sie im Vorfeld der Einigung auf das Papier. In die Weiterentwicklung des Religionsverfassungsrechts sollen „in Deutschland beheimatete islamische Gemeinden“ eingebunden werden. Kaum verschlüsselt bezieht sich dieser Passus auf jene Gemeinschaften, die derzeit mit auswärtigen Strukturen verbunden sind. Konkret sollten „Ausbildungsprogramme für Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten“ in Kooperation mit den Landesregierungen erweitert werden.

In einem Text vom August 2021 für die Experteninitiative Religionspolitik schreibt Dr. Yasemin El-Menouar vom Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung, dass es in einer modernen Religionspolitik darum ginge, die Freiheit des Bekenntnisses sowie die Gleichstellung aller geistigen und weltlichen Überzeugungen zu gewährleisten.

Bisherige Missverständnisse beim Thema belegten zum einen, dass die Rolle von Religion häufig verkannt werde. „Denn es ist eine enorme gesellschaftliche Leistung, wenn Menschen andere religiöse und weltanschauliche Wahrheiten nicht nur dulden, sondern als gleichwertig anerkennen.“ Zum anderen würden diese den entscheidenden Punkt verkennen. Ziel von Religionspolitik sei nicht „die Verteilung von Privilegien an eine einzelne Religion“, sondern die Freiheit und Gleichberechtigung aller religiösen wie nicht religiösen Weltanschauungen sicherzustellen.

Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD), Aiman Mazyek, schrieb am 3. Dezember in einem Beitrag für den NDR, im neuen Koalitionsvertrag werde dem Umstand Rechnung getragen, dass religiöse wie nicht-religiöse Menschen für eine vielfältige Gesellschaft stünden. Dieser Fakt zeige sich in den Bereichen von Partizipation und Inklusion, beim Thema Diskriminierung bis zur essenziellen Bildung. Mehr als die Hälfte aller BundesbürgerInnen gehörten einer Religionsgemeinschaft an. „Da darf die Religion nicht außer Acht gelassen werden.“ Muslime fänden im Gegensatz zu früher, wo sie ausschließlich in Sicherheitsdiskursen erwähnt wurden, „nun endlich auch ausdrücklich Beachtung“.