Junge Flüchtlinge verärgern zuweilen mit Pöbeleien und Anzüglichkeiten gegenüber Frauen auf öffentlichen Plätzen – nicht nur in Sachsen. Dort werden sie aber von Rechtsextremen durch die Stadt gejagt. Die Gemengelage im Freistaat bleibt äußerst brisant.
Bautzen (dpa). Wieder einmal scheint alles ins Bild zu passen: Rechtsextreme jagen junge Flüchtlinge durch die Stadt, Steine und Flaschen fliegen. Wo geschehen? In Sachsen. Natürlich. Die Probleme mit Rechtsextremismus sind hier besonders groß. Das leugnet nach den fremdenfeindlichen Übergriffen in Heidenau, Freital und Clausnitz inzwischen auch im Freistaat kaum noch jemand.
Doch die jüngsten Ausschreitungen in Bautzen machen auch deutlich, wie schwer sich die Integration von Flüchtlingen im täglichen Zusammenleben darstellt. Und diese Probleme werden von Populisten und Extremisten für ihre Propaganda genutzt. In Sachsen – der Heimat des islam- und fremdenfeindlichen Pegida-Bündnisses – scheint man dafür besonders empfänglich. Zumal die Polizei in Bautzen schließlich die Asylsuchenden als Auslöser der Gewalt ausmachen.
„Die Probleme in Bautzen und anderen sächsischen Orten zeigen noch einmal, dass Integration kein Selbstläufer ist“, sagt der stellvertretende Ministerpräsident Martin Dulig (SPD). Seit Wochen hätten sich Anwohner und Geschäftsleute am Bautzener Kornmarkt aufgeregt über die unbegleiteten minderjährigen Asylbewerber – von den Behörden kurz UMA bezeichnet.
Laut Polizei sorgten die teils betrunkenen Heranwachsenden immer wieder mit nächtlichem Lärm und Provokationen auch gegen Frauen für Verärgerung. Rechtsextremisten hätten diese aufgeheizte Atmosphäre dann als „ihr Propagandafeld entdeckt, um diese schwierige Situation für ihre Zwecke auszunutzen“, sagt Dulig. „Mir ist völlig egal, wer angefangen hat. Und das spielt auch keine Rolle. Niemand hat das Recht zur Selbstjustiz.“
Sozialarbeiterin Katrin M. aus Bautzen widerspricht Darstellungen, wonach die jungen Männer nur herumlungern würden: „Die gehen ganz normal zur Schule und lernen dort Deutsch. Und wenn sie dann am Nachmittag zurückkommen, gibt es Angebote für sie. Viele machen Sport.“ Aber natürlich würden sie genau wie deutsche Jugendliche bei schönem Wetter durch die Stadt streifen. Und genauso klar sei, dass der eine oder andere ab und zu mal über die Stränge schlägt: „Das ist doch in dieser Altersgruppe völlig normal.“ Vorwürfe, die zumeist jungen Afghanen seien regelmäßig betrunken, weist sie zurück.
Weitere Herkunftsländer der 30 UMA in Bautzen seien Syrien, Pakistan, Niger, Iran und Mali, erklärt die Sozialarbeiterin. Die Jugendlichen seien mit ganz anderen Vorstellungen nach Deutschland gekommen und nun enttäuscht: „Sie haben geglaubt, dass hier alles viel leichter und schneller geht. Die wollen sofort arbeiten und Geld verdienen oder studieren.“
Sachsens Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU) kündigt eine intensivere Betreuung der jungen Flüchtlinge an. „Sie sind entwurzelt. Wir müssen uns stärker mit ihnen auseinandersetzen und überlegen, welche Angebote und Integrationsmaßnahmen besser greifen.“
Nach den Vorfällen auf dem Kornmarkt sei die Verängstigung unter den jungen Männern groß, weiß die Sozialarbeiterin: „Der Großteil von ihnen will momentan die Einrichtung gar nicht mehr verlassen.“ Nach 19.00 Uhr dürfen sie das auch gar nicht mehr. In Reaktion auf die Krawalle vom Mittwoch gilt für sie eine Ausgangssperre.
„Wer Beinahe-Erwachsenen verbietet, nach 19 Uhr auf die Straße zu gehen, zeigt, dass er seit den Pogromen in Hoyerswerda 1991 nichts dazugelernt hat“, kritisiert die Migrationsexpertin der Linke-Landtagsfraktion, Juliane Nagel. „Die als störend Empfundenen werden verbarrikadiert oder gar woandershin transportiert – und diejenigen, die den Unfrieden durch ihre Unverträglichkeit gegenüber allem scheinbar Fremden ausgelöst haben, dürfen sich nach Herzenslust ausbreiten.“ Damit hätten die „Nazis erreicht, was sie wollten“.
Die Rechtsextremen geben sich nun plötzlich konziliant, sagen eine angemeldete Demonstration am Freitag kurzfristig ab, wollen der Politik die Möglichkeit zum Handeln geben, wie es in der Begründung heißt. „Es ist nun die Aufgabe der Etablierten, Versäumnisse einzuräumen und Missstände zu beseitigen.“ Doch dann folgt eine unverhohlene Drohung. „Wir werden künftig keine Gruppierungen von trinkenden, pöbelnden und und aggressiven Asylbewerbern mehr dulden.“
Auch unter diesem Vorbehalt der Selbstjustiz zeigt sich Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos) bereit „zu einem sachlichen Gespräch“ mit den Rechten. Aber: „Dabei betrachte ich die verwendeten Formulierungen nicht als Bedingung.“
Auch wenn die Demo abgesagt wurde, werden die Anwohner des Kornmarkts wohl erst einmal auf Ruhe warten müssen. Einige Sympathisanten der Rechten treiben die Hetze im Netz weiter. Die Sicherheitsbehörden stellen sich schon auf weitere Einsätze und Überstunden ein. Ein Sprecher kündigt an: „Die Polizei wird im Schwerpunkt in den Abend- und Nachtstunden zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet spürbar präsent sein.“