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Von Stadt, Markt und Handel. Dr. Adi Setia über die Ökonomie in Medina

Ausgabe 320

Foto: Salsabil Morrison

(MFAS). Die vom neuen Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir angestoßene Debatte um die jetzige Form von Landwirtschaft und ihre Zukunft ist insbesondere auch eine um den Handel mit Lebensmitteln. Gerade in Deutschland wird dieser von sehr wenigen, einflussreichen Konzernen betrieben. Auch wenn Muslime bisher nicht aktiv an der Diskussion solcher Themen beteiligt sind, lohnt sich ein Blick auf die Grundlagen von Handel und Ökonomie, die der Prophet in Medina legte und die Muslime später zu transkontinental aktiven und erfolgreichen Händlern machte.

In der Geschichte können wir sehen, dass in Medina die Auswanderer Spenden von den einheimischen Helfern ablehnten. Vielmehr entschieden sie sich für Handel und Arbeit, obwohl viele verarmten, nachdem einige von ihnen wegen der Auswanderung nach Medina ihren Besitz in Mekka zurückließen. Der Prophetengefährte ‚Abdarrahman ibn ‘Auf warf ein Licht auf die Entwicklungen, als sich die neue muslimische Gemeinschaft nach der Auswanderung in Medina etablierte.

Er berichtete: „Nachdem wir als Auswanderer nach Medina kamen, stiftete der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, eine Brüderschaft zwischen mir und Sa’d ibn Al-Rabi‘. Dieser sagte zu mir: ‘Ich bin der reichste unter den Ansar. Also werde ich dir die Hälfte meines Besitzes geben. Und du kannst dir meine beiden Gattinnen anschauen. Von derjenigen, die du auswählst, lasse ich mich scheiden, und du kannst sie nach Vollendung der Warteperiode (arab. ‘idda) heiraten.’“ ‘Abdurrahman ibn ‘Auf entgegnete auf das Angebot: „Das brauche ich nicht. Gibt es hier einen Marktplatz, auf dem gehandelt wird?“ Sa’d sagte ihm: „Der Markt der Banu Qainuqa.“ Am nächsten Tag ging Ibn ‘Auf zum Markt. Er wurde schließlich zu einem der wohlhabendsten Prophetengefährten.

Dieser Bericht veranlasst zu einem tieferen Blick auf die sozio-ökonomische Bedeutung des „Marktes des Propheten“. Es ist bekannt, dass zu den ersten Dingen nach seiner Ankunft in Medina die Schaffung einer Moschee und eines Marktes gehörte. Er wollte einen eigenständigen Handelsplatz für die entstehende muslimische Gemeinschaft. Dieser war eine wohltätige Stiftung für das Allgemeinwohl. Hier galt der Grundsatz: „Der Markt der Muslime ist wie der Ort der Niederwerfung für den Betenden. Wer einen Platz findet, behält ihn, bis er wieder geht.“ (Al-Hindi, Kanz Al-Ummal)

Der Markt ist eindeutig ein Analog zur Moschee, denn die Mu’amalat, die zwischenmenschlichen Transaktionen, unterliegen in der Analogie vergleichbaren Regeln wie die Anbetung. Im Din ist es nötig, dass das angemessene Verhalten bei Handel und Wirtschaft zur Anwendung kommt. Dafür braucht es autonome Räume für Handel und Wirtschaft, in denen monopolistische und heimtückische Praktiken untersagt sind. 

Gleichermaßen müssen Gerechtigkeit, Gutwilligkeit und Fairness herrschen. Genauso wie die Moschee als allgemeiner Raum der Anbetung galt, wurde der Markt als der öffentliche Raum für den Austausch betrachtet. Die Moschee stand allen unbeschränkt offen. Gleichermaßen galt dies für den Handelsplatz. Alle, insbesondere die Armen und Mittellosen, konnten jederzeit auf den gemeinschaftlichen Markt, um dort ohne Gebühren zu arbeiten oder zu handeln.

Moschee und Markt sind die Zwillingssäulen der muslimischen Gemeinschaft. Wir können die Fragmentierung unseres Dins nicht erlauben, das heißt, eine Art von Ethik in der Moschee praktizieren, aber dann eine ganz andere in unserer Ökonomie. Wir müssen Taqwa (Bewusstsein von der Anwesenheit des Schöpfers) aufrechterhalten, wo immer wir sind. Daher haben die klassischen Gelehrten umfassende Bände über die Regeln der Moschee aber auch über die Märkte geschrieben.

Imam Muhammad Asch-Schaibani sagte sinngemäß: Die Beziehung zwischen der Anbetung (arab. ‘ibada) und den Transaktionen (arab. mu’amalat) ist wie die zwischen Gebet (arab. salat) und ritueller Reinheit (arab. tahara). Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Daher besteht der Din aus der persönlichen Beziehung in der Anbetung zum Schöpfer sowie aus dem Verhalten gegenüber den Mitmenschen (und in Erweiterung dem Rest der Schöpfung). In Medina wurden diese beiden wesentlichen Dimensionen des Dins voll realisiert und manifestiert – im privaten wie im öffentlichen Leben. Oder, um es mit den Worten des Philosophen Muhammad Naquib al-Attas zu sagen: „Die Stadt des Propheten bezeichnet den Ort, an dem der wahrhaftige Din unter seiner Autorität praktiziert wurde (…). Die Stadt wurde für die Gemeinschaft gleichbedeutend mit der sozio-politischen Ordnung der Muslime.“

Handel und Wirtschaft beruhen auf der Grundlage von Gottesfurcht, und nicht auf bloßer egoistischer Gefälligkeit, als ein Aspekt der gemeinschaftlichen Verpflichtungen des Islam (arab. fard al-kifaja). Durch rechtmäßigen, ganzheitlichen und bedeutsamen Handel, Wirtschaft und Arbeit, hilft man der gemeinschaftlichen Versorgung, indem man für sich selbst sorgt. Daher auch der Vers: „O die ihr Iman habt, gebt von den guten Dingen, die ihr erworben habt.“ (Al-Baqara, Sure 2, 266)

Wir können unsere Reflexion noch ausweiten und zur Ansicht gelangen, dass eine persönliche Anbetung nicht ausreicht, damit eine Person ein ganzheitliches Leben führen kann. Gleichzeitig muss man sich um die Mu’amalat sorgen, die ebenso dafür nötig sind. Es gibt unlösbare Verbindungen zwischen den individuellen und den gemeinschaftlichen Verpflichtungen.