Kritische Anmerkungen zu den Berufsaussichten von Absolventen der Islamischen Theologie

Ausgabe 230

(iz). In den vergangenen Tagen wurde ich mehrfach gefragt, was man nach dem Studium des Islam, islamischer Theologie etc. machen könne. Die Gespräche entwickelten sich rasch zur Berufsberatung, in der nüchtern die gegenwärtigen Berufsaussichten eines Absolventen islamischer Theologie geprüft wurden. Dabei wurde mir klar, dass wir Älteren, die wir seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für den islamischen Religionsunterricht gestritten haben, einem Irrtum aufgesessen sind.

Es gibt heute zwar Lehrstühle und universitäre Institute, die gleich Osnabrück bewundernswert erfolgreich sind, aber der Staat, das heißt, weder die Kommunen, noch die Bundesländer beziehungsweise die Bundesrepublik oder gar die Verbände der Gemeinschaften in Deutschland selber haben dem entsprechend gehandelt, indem sie Planstellen schufen, in denen die Absolventen der unterschiedlichen Hochschulen berufstätig werden könnten.

Dabei betonen die Beteiligten, dass es nicht so sehr am guten Willen läge, sondern an den knappen finanziellen Ressourcen. Übrigens stehen die Studenten der verschiedenen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer vor dem gleichen Problem. Der Unterschied zu den Studierenden der islamischen Studiengänge ist jedoch, dass sie einer geradezu desolaten Situation gegenüber stehen, auf die wir Älteren nicht vorbereitet waren:

Da ist nicht nur das schmale Angebot von Stellen im öffentlichen Dienst und in den Verbänden, sondern zugleich die Konkurrenz der in der Türkei durch ­DITIB Ausgebildeten; hinzu kommen diejenigen, die an al-Azhar oder saudisch Universitäten und ähnlichen Hochschulen studierten, und die knappe finanzielle Ausstattung der Moschee-Vereine, christlich gesprochen, der Gemeinden. Solange DITIB die Kosten trägt, müssen sich die Vorstände der Moschee-Vereine nicht den Kopf darüber zerbrechen, wer den Imam bezahlen wird.

An den Universitäten „überleben“ zahlreiche Kolleginnen und Kollegen im Mittelbau, weil sie um der Zukunft (?) zu verzichten gelernt haben beziehungsweise eine Partnerin haben, die das für den familiären Unterhalt notwendige Geld verdient. So gibt es ein unter jungen Wissenschaftlern gängiges Wort: „Ich schreibe an meiner Promotion (oder Habilitation), und meine Frau ist Lehrerin. Ansonsten bewerbe ich mich.“ Wenn man jedoch den Blick auf die Bewerbungen für eine offene Stelle schaut, dann berichten die Personaldezernate von bis an die Hundert Habilitierten etc.

In den Sozialdiensten sieht es nicht besser aus, zudem ist die dringend notwendige islamische Seelsorge auf Ehrenamtlichkeit angewiesen. Also, was bleibt: Zuerst müssen wir Älteren den jungen Engagierten Mut machen, dabei zu bleiben und ihnen zugleich bei der Suche nach einem zweiten Standbein helfen. Im Grunde sind die intellektuellen Muslime in der gleichen Situation wie die früheren Denker. Al-Ghazali wie Ibn Khaldun hatten einen Brotberuf als Ärzte oder Richter und widmeten sich den islamischen Fragen in ihrer „Freizeit“, in der sie die Texte schrieben, von denen wir Heutigen noch zehren.

Der Brotberuf muss den Vorrang haben, weil man nur so in dieser postindustriellen Gesellschaft sich und die seinen ernähren und versichern kann. Und auch wir Muslime werden uns darauf einstellen müssen, dass beide Ehepartner berufstätig werden, weil sonst die Kosten zum Beispiel der Ausbildung unserer Kinder und das islamische Engagement des Ehepartners nicht zu finanzieren sein wird.

Diese Einsichten sind für jede Lebensplanung wichtig. Und dazu gehört noch ein Aspekt: Wo und bei welcher Institution auch immer eine Stelle ausgeschrieben werden wird, der junge Kollege, der sie bekommt, wird sie in der Regel die nächsten dreißig Jahre behalten. Dagegen lässt sich weder publizieren, noch literarisch leben.

Welche berufliche Lebensplanung kann ein Absolvent islamischer Studien realistischer Weise einplanen? Da ist zuerst der private Horizont zu definieren: das künftige Lebensniveau, die Ehe und Familie, das Mindestgehalt und die soziale Absicherung; danach kommt der realistische Blick auf das Berufsfeld und die Alternative, die das Gehalt sichert. Viele scheuen davor, sich als einen Konkurrenten unter anderen zu sehen.

Wenn dies geklärt wurde, lässt sich die Frage bearbeiten, was man mit seinem Islamstudium machen will. Der beste Schritt, ist der auf eine Promotion zu, um so zum einen im Berufsfeld zu bleiben und zum anderen eine Aufgabe zu wählen, die das Leben hindurch tragen wird. Ein solcher Schritt schützt vor allem vor der häufig anzutreffenden Verbitterung, sein Leben zum Beispiel als Postbote zu verbringen.

Für Muslime gibt es allerdings noch eine Alternative, nämlich, sich dem mystischen Weg zu zuwenden, was der Mehrheit nicht liegen wird.

Angesichts dieser Situation sind die Verbände wie die Hochschulen gefordert, Berufsberatungen aufzubauen, in denen die beruflichen Aussichten der künftigen Absolventen offen besprochen werden können. Je zügiger dies geschieht, desto eher lassen sich Unruhen auffangen.