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Wankende Banken

Foto: Adobe Stock

BERLIN (GFP.com). Finanzexperten warnen vor einer abermaligen Bankenkrise in der Eurozone. Hintergrund ist die Befürchtung, es könne in der Coronakrise in noch größerem Umfang als während der Finanzkrise des Jahres 2008 zu Kreditausfällen kommen, weil Unternehmen – nicht mehr in der Lage, Geschäfte zu tätigen – keine Mittel zur Bedienung ihrer Darlehen haben. Experten halten Rückstellungen der Banken in der Eurozone in Höhe von 25 Milliarden Euro für notwendig; allein die italienische Bank Unicredit werde mindestens 900 Millionen Euro mobilisieren müssen, um ihre krisenbedingten Kreditausfälle zu decken, heißt es.

Betroffen wären auch deutsche Finanzhäuser, nicht zuletzt die Deutsche Bank. Finanzexperten geben sich optimistisch, der Bankensektor werde die Coronakrise überstehen, wenn diese in der zweiten Jahreshälfte 2020 überwunden werde. Dies freilich ist höchst ungewiss. Berichten zufolge wird in der EZB bereits über die Einrichtung einer „Bad Bank“ diskutiert. Das Vorhaben hat Chancen auf Verwirklichung, weil auch deutsche Kreditinstitute darauf angewiesen sein könnten.

In schlechter Verfassung
In führenden angelsächsischen Wirtschaftsmedien werden zunehmend Zweifel an der Stabilität des europäischen Finanzsystems laut – insbesondere des Bankensektors in Südeuropa und in Deutschland. Der Druck auf das fragile Bankensystem in der EU wachse, titelte ein einflussreiches US-Wirtschaftsblatt; die Sorgen nähmen zu, ob es unbeschadet durch die Coronakrise komme.

Die europäischen Finanzhäuser befänden sich demnach am Vorabend des aktuellen Krisenschubs in einer schlechteren Verfassung als ihre US-amerikanischen Konkurrenten, da sie mit einer jahrelangen Niedrigzinsphase und mit der „strikten Regulierung“ des Finanzsektors in der EU zu kämpfen hätten. Ähnlich argumentieren britische Wirtschaftszeitungen, laut denen die Finanzhäuser in der EU vor der Krise im Schnitt nur „halb so profitabel“ waren wie US-Banken.[2] Die drohenden Kreditausfälle, die infolge der Rezession die Bankenbilanzen belasten werden, dürften ersten Prognosen zufolge höhere Summen erreichen als beim vorigen Krisenschub im Jahr 2008. Die Rückstellungen der Branche, die deshalb nötig würden, könnten sich demnach im ersten Quartal 2020 gegenüber dem Vorquartal vervierfachen, heißt es.

Die notwendige Risikovorsorge könne dabei zu einem durchschnittlichen Einbruch der Renditen in der Branche von rund 50 Prozent führen. Zugleich dürften, heißt es weiter, staatliche „Regulatoren“ darauf hinwirken, dass die Banken eher „moderate“ Einschätzungen ihrer Verluste zur Grundlage der Kreditausfallschätzungen machten: Man fürchte, die Ankündigung „hoher Verluste“ könne dazu führen, dass die Banken ihre Kreditvergabe einschränken müssten.

„America First“
Die Berichte reflektieren die von US-Ratingagenturen jüngst vorgenommene Abwertung der Kreditwürdigkeit etlicher Institute auf dem Bankensektor in der EU, darunter etwa die angeschlagene Commerzbank und die schwedische Swedbank. Mit der Herabstufung ihrer Bonitätsnoten durch die „Bonitätswächter“ droht den angeschlagenen Finanzinstituten ein Anstieg ihrer Finanzierungskosten.

Insgesamt wurden die Aussichten für rund 95 Prozent der europäischen Banken als „negativ“ eingestuft. Überdies scheint US-amerikanisches Finanzkapital sich zunehmend aus dem europäischen Markt zurückzuziehen. Man könne eine Einstellung des „America First“ unter den US-Großbanken beobachten, heißt es; sie seien aktuell sehr viel zurückhaltender bei der Finanzierung europäischer Unternehmen als zuvor.

Zu leiden hätten darunter vor allem deutsche Konzerne. Tatsächlich hat sich beispielsweise JPMorgan aus Verhandlungen über ein Kreditgeschäft mit BASF zurückgezogen, während die Bank of America ihren Kreditanteil an der Finanzierung des Sportausrüsters Adidas, der 3,3 Milliarden Euro bei sechs Banken aufnehmen musste, kurzfristig halbierte. Goldman Sachs wiederum stellte dem italienisch-amerikanischen Fahrzeughersteller Fiat Chrysler einen Kredit von 3,8 Milliarden US-Dollar zur Verfügung, während ein ähnliches Geschäft mit Daimler im Umfang von 13 Milliarden US-Dollar platzte.

Rückstellungen: mindestens 25 Milliarden Euro
Analysten gehen in ersten Schätzungen, die freilich noch einen erheblichen Unsicherheitsfaktor aufweisen, davon aus, die Rückstellungen in der Eurozone erforderten dieses Jahr insgesamt zusätzlich 25 Milliarden Euro. Besonders betroffen ist auch diesmal der angeschlagene italienische Finanzsektor, der als möglicher Trigger einer EU-Bankenkrise gilt. Allein Unicredit, die größte Bank Italiens, müsste demnach mindestens 900 Millionen Euro mobilisieren, um ihre krisenbedingten Kreditausfälle zu decken. Auch außerhalb Italiens sind die Perspekiven düster. Die Deutsche Bank, das führende Finanzinstitut der Bundesrepublik, soll Rückstellungen in Höhe von 500 Millionen Euro im ersten Quartal 2020 veranschlagen – das Dreieinhalbfache des Vorquartalswerts (140 Millionen). Nicht anders sieht es bei Banken außerhalb der EU aus; bei Credit Suisse etwa ist der Rückstellungsbedarf um 600 Prozent in die Höhe geschnellt. Dennoch gehen Beobachter davon aus, der europäische Bankensektor werde den gegenwärtigen pandemiebedingten Einbruch überstehen können, sofern dieser in der zweiten Jahreshälfte 2020 überwunden werde.

Die Eigenkapitalvorschriften sind in der EU heute sehr viel strikter als in der Krise des Jahres 2008; die Banken verfügen im Schnitt über einen zehnfach höheren Eigenkapitalanteil. Derweil gehen Prognosen davon aus, dass die Branche selbst im optimalen Fall einer baldigen Aufhebung aller Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung noch bis ins Jahr 2021 an deren Folgen leiden wird. Sollte sich freilich die Pandemie nicht eindämmen lassen, droht der EU eine manifeste Finanzkrise. Der Index europäischer Bankaktien ist im Krisenverlauf bereits um 42 Prozent eingebrochen, weshalb etwa die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank Mitte März nur noch 13 Milliarden Euro betrug. Die Aktien der populären Videoplattform Zoom hingegen erreichen eine Marktkapitalisierung von 50 Milliarden US-Dollar.

In der Nullzinsfalle
Die Bankenbrache ächzt – wie der gesamte Finanzsektor – schon seit der Finanzkrise des Jahres 2008 unter den sehr niedrigen Zinsen, die die Geldpolitik zur Stabilisierung der Konjunktur aufrechterhält – und die nun abermals auf Nullzinsniveau gesenkt wurden. Die extreme Politik des „billigen Geldes“ stützt zwar die Konjunktur; doch geraten damit zugleich Versicherungen und Kundenbanken jenseits des Investmentbankings unter Druck, da sie aufgrund ihres Filialnetzes hohe Fixkosten haben und Zinseinnahmen einen großen Teil ihrer Gewinne ausmachen. „Ihre Gewinnmargen kollabieren, während die Zinsen gesenkt werden, doch die Kosten bleiben bestehen, während die Rückstellungen für faule Kredite explodieren“, wird ein Banker aus der EU zitiert.

Dass nicht nur der Finanzsektor der südlichen Peripherie der Eurozone unter dieser Krisenkonstellation leidet, sondern dass auch deren deutsches Zentrum betroffen ist, machte nicht nur die Abwertung der Commerzbank durch Fitch deutlich, sondern auch die Präsentation der Quartalsbilanz der Deutschen Bank. Ausgerechnet das seit der Finanzkrise von 2008 verpönte Investmentbanking konnte – mit einem Vorsteuergewinn von 622 Millionen Euro – die Verluste der einstmaligen deutschen Vorzeigebank in Grenzen halten. Zum Vergleich: Beim ungleich größeren Firmenkundengeschäft der Deutschen Bank wurden lediglich 132 Millionen Euro Profit erzielt. Insgesamt musste das Kreditinstitut einen Quartalsverlust von 66 Millionen Euro hinnehmen. Seine Malaise wird aber erst bei einem Rückblick deutlich. 2019 verzeichnete die Deutsche Bank einen Verlust von 5,7 Milliarden Euro – den fünften Jahresverlust in Folge. Die deutschen Finanzhäuser haben sich de facto nie vom Krisenschub des Jahres 2008 erholt.

Streit um die „Bad Bank“
Weil nun aber die Finanzsphäre des deutschen Zentrums ähnlich stark von der Krisendynamik erfasst zu werden droht wie diejenige der südlichen Peripherie, steigen in diesem Fall – anders als bei der EU-Konjunkturpolitik und im Streit um die Eurobonds – die Chancen auf koordinierte EU-Krisenmaßnahmen. Vor einer Finanzkrise in der Eurozone, ausgelöst durch eine Welle fauler Kredite, warnten jüngst nicht nur Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling [6] und der CDU-Politiker Friedrich Merz, sondern auch dessen ehemaliger Arbeitgeber, der Investmentfonds Blackrock, der „dramatische Folgeschäden“ einer Rezession auf dem Finanzsektor nicht ausschließen wollte. Innerhalb der EZB gebe es Planungen, eine „Bad Bank“ einzurichten, heißt es.

In dieses Finanzmarktvehikel würden dann, um die Bankenbilanzen zu entlasten, die faulen Kredite ausgelagert, die aufgrund der Rezession nicht mehr bedient werden können. De facto würde die EZB damit den Finanzmarktschrott übernehmen, um einen drohenden Kollaps des Finanzsektors zu verhindern. Eine ähnliche Initiative, die vor rund zwei Jahren von italienischen Bankern ausging, stieß damals noch auf den Widerstand der Bundesrepublik, weil Berlin, wie berichtet wird, alle Vorhaben blockieren wollte, „faule Kredite südeuropäischer Banken über eine europäisch garantierte Abwicklungseinheit“ zu entsorgen.

Diesmal aber sei eine Zustimmung Berlins durchaus denkbar; es komme freilich darauf an, ob die Bad Bank auch „alte Problemkredite oder nur neue, in der Corona-Krise entstehende Kreditrisiken“ übernehmen solle. Nur letztere Variante habe ernsthaft Chancen, „in Brüssel und im EU-Rat auf Zustimmung zu stoßen“. Im Klartext: Berlin ist nur dann zur Einrichtung einer Bad Bank bereit, wenn der eigene Finanzsektor davon profitiert, die südeuropäische Konkurrenz aber zugleich nicht übermäßig entlastet wird.