Kabul (dpa) – Millionen Afghanen haben am Samstag einen Nachfolger von Präsident Hamid Karsai gewählt. Bis die Wahlkommission einen Wahlsieger erklärt, werden noch mehrere Wochen vergehen. Wie geht es nun weiter, und was für Konsequenzen hat die historische Wahl?
Wann wird ein neuer Präsident vereidigt?
Das kann im besten Fall noch im Frühjahr geschehen, kann sich aber auch bis in den Spätsommer ziehen. Die Wahlkommission (IEC) zählt zunächst die Stimmen, die Wahlbeschwerdekommission (ECC) prüft Betrugsvorwürfe. Am 14. Mai will die IEC ein amtliches Endergebnis verkünden. Für den wahrscheinlichen Fall, dass bei der Abstimmung am Samstag keiner der acht Kandidaten eine absolute Mehrheit gewonnen hat, ist für den 28. Mai eine Stichwahl geplant. Auch danach müssten wieder Stimmen gezählt und Vorwürfe geprüft werden.
Welche Probleme drohen auf dem Weg dorthin?
Am wichtigsten ist nun, dass die Wahlbetrugsvorwürfe von der ECC so aufgeklärt werden, dass das Wahlergebnis für die Afghanen und für die Kandidaten akzeptabel ist. Dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist, ist unstrittig – sie waren aber ohnehin erwartet worden. Allerdings geht man bislang davon aus, dass das Ausmaß des Betrugs deutlich unter dem der Wahl von 2009 liegt. Der Kandidat Aschraf Ghani – der neben Abdullah Abdullah und Salmai Rassul zu den Favoriten zählt – hat bereits angekündigt, ein verfälschtes Ergebnis nicht zu akzeptieren.
Was bedeutet die Wahl für die Afghanen?
Für die Mehrheit der Bevölkerung, die die Taliban ablehnt, war die Wahl ein großer Erfolg – und ein Anlass zum Stolz. Die überraschend große Wahlbeteiligung verleiht der Abstimmung und damit der kommenden Regierung Legitimität. Außerdem endet mit dem ersten demokratischen Machtwechsel in der Geschichte des Landes eine Phase der Unsicherheit – viele Afghanen fragten sich, wie es nach der Ära Karsai weitergeht. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben mit der erfolgreichen Absicherung der Wahl außerdem ihre Nagelprobe bestanden.
Bricht jetzt der Frieden in Afghanistan aus?
Das wird nicht so schnell geschehen. Die Taliban setzten ihre Anschläge am Tag nach der Wahl fort. Aber die Abstimmung hat den Extremisten bewiesen, dass ein Großteil der Afghanen weder ihrer Propaganda folgt noch sich ihren Drohungen beugt. Den Afghanen hat die Wahl gezeigt, dass die Taliban zwar eine Bedrohung darstellen, aber doch nicht so mächtig sind wie angenommen. Ein neuer Präsident könnte eventuell Wege finden, die Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen. Gespräche mit Karsai lehnten die Aufständischen strikt ab.
Was bedeutet die Wahl für das Verhältnis zum Westen?
In jedem Fall einen dringend notwendigen Neuanfang. Das Verhältnis zwischen Karsai und den USA ist seit der Wahl 2009 zerrüttet, die beiden vorgeblichen Partner haben sich immer weiter entfremdet. Auch in anderen westlichen Hauptstädten gilt Karsai inzwischen mindestens als schwierig, wenn nicht als unberechenbar. Alle drei Favoriten waren früher Minister in Karsais Kabinett und sind international respektiert. Alle drei wollen gute Beziehungen zum Westen pflegen.
Was bedeutet die Wahl für den internationalen Militäreinsatz?
Unabhängig von der Wahl läuft der Kampfeinsatz der Internationalen Schutztruppe Isaf zum Jahresende aus. Eine neue Regierung dürfte aber den Weg freimachen für den geplanten kleineren Nato-Folgeeinsatz, mit dem afghanische Sicherheitskräfte ausgebildet und unterstützt werden sollen. Voraussetzung für diese Mission namens «Resolute Support» ist ein Sicherheitsabkommen mit den USA, dessen Unterzeichnung Karsai verweigerte. Alle drei Favoriten haben angekündigt, den Vertrag zu unterschreiben. Damit würde für die Afghanen die Unsicherheit darüber enden, ob nach 2014 noch ausländische Truppen im Land sein werden.
Und was macht Karsai?
Nur einen Steinwurf vom Präsidentenpalast entfernt wird für Karsai und seine Familie ein schwer gesichertes Anwesen gebaut. Dass er ganz von der politischen Bühne verschwindet, ist unwahrscheinlich. Rassul ist ein enger Vertrauter von ihm. Sollte er gewinnen, könnte Karsai möglicherweise im Hintergrund die Strippen ziehen. Und Ghani hat angekündigt, im Falle eines Wahlsieges einen herausgehobenen Beraterposten für Karsai zu schaffen – als «Nationaler Anführer».