Die Antwort des Geheimrates

Ausgabe 245

(iz). Die Beschäftigung Johann Wolfgang von Goethes mit dem Islam war zu seiner Zeit kein Geheimnis. Er zitierte immer wieder Verse aus dem Qur’an bei Feierlichkeiten, Besuchen und Reisen und schenkte seinen Gästen auf arabisch geschriebene Qur’anzitate.
Herzog Carl August von Sachsen-Weimar war einer von vielen, der die Beschäftigung Goethes mit dem Islam kannte. Somit beauftragte er ihn, eine Verstragödie des französischen Schriftstellers und Philosophen Voltaire aus dem Jahre 1741 mit dem Titel „Le fanatisme ou Mahomet le Prophète” zu übersetzen.
In dieser beabsichtigte der als überzeugter Atheist bekannte Voltaire eine Kritik der christlichen Religion. Aus Angst um seine Privilegien innerhalb der Oberschicht formulierte er seine Kritik jedoch so, dass er sich den Stoff nicht aus dem christlichem Bereich beschaffte, sondern aus dem islamischen.
Als Instrument hierfür benutzte er den Propheten Muhammad. Er schmähte und diffamierte diesen so sehr, dass Goethes Muhammad-Bild mit dem von Voltaire gar nicht mehr übereinstimmte. Goethe wollte anfangs die Übersetzung ablehnen, da er sich niemals vorstellen konnte, den Propheten in dieser Weise darzustellen.
Er hatte die Qual der Wahl: Entweder, er übersetzte das von Voltaire verfasste Stück, in dem der Prophet als ein Lügner dargestellt wird, und übertrug somit das aus seiner Sicht widersprüchliche und feindselige Muhammad-Bild ins Deutsche, oder er erfüllte den Wunsch des Fürsten nicht. Letzteres hätte seine Beziehung zu ihm erschüttert.
Er entschied sich für die Übersetzung und fand einen Ausweg aus diesem Dilemma: Er veränderte hauptsächlich die Stellen, in denen der Prophet als widerwärtig und abstoßend dargestellt wurde. Er begann in seiner Übersetzung erst mit der Auslassung des Haupttitels des Stücks, „Le fanatisme“.
Um das Propheten-Bild nach seinen Erkenntnissen und Vorstellungen möglichst echtheitsgetreu darzustellen, bediente sich Goethe aller erdenklichen Überarbeitungstechniken, von Auslassungen über starke Umgestaltungen bis hin zu Ergänzungen. „Mahomet” stellt in der Urfassung eine egoistische und betrügerische Person dar, die versucht, mit allen Mitteln seinen Feind, den Scherif von Mekka, hinterhältig zu töten, um seine Geliebte Palmira, die Tochter des Scherifen, heiraten zu können.
Als Mahomet des Betruges und der Lüge bezichtigt wird, bestreitet er dies nicht und rechtfertigt sich wie folgt: „Die Menschen bedürfen des Irrtums; meine Lehre – ob richtig oder falsch – ist notwendig.“ Und: „Mein Triumph gründet sich stets auf den Irrtum.“
Goethe hingegen versuchte in seiner Übersetzung den Propheten in diesem Teil als Psychologen darzustellen, der die Menschen betrügt, um ihnen eine Hilfe zu sein: „Wer sie [die Menschen] und ihr Bedürfniß kennt Und dieß befriedigt, der betriegt sie nicht. Sie sehnen sich nach neuem Gottesdienst; Der meine wird ihr Herz erheben. Das Bedürfen sie.“ Und das Zitat „Mein Triumph grü­ndet sich stets auf den Irrtum” ließ Goethe ganz weg.
Wie dieser Dialog zwischen Mahomet und Zopire wurden auch andere Stellen in dieser Tragödie von Goethe stark überarbeitet, ja umfassend gebügelt. Im Gegensatz zum Original von Voltaire tritt Mahomet bei der Übertragung in unvergleichbar würdevollerer Weise auf.
Die Herabwürdigung des Propheten in Voltaires Stück war so unerträglich, dass es Goethe schwer fiel, die gesamte Tragödie zu übertragen. Deshalb legte er bei der Übersetzung vor allem auf die im Stück beschriebene Liebesbeziehung Wert, um die Diffamierungen zu reduzieren. Es ging Goethe hauptsächlich darum, das Schmähstück so umzugestalten, dass zum einen der Herzog nichts bemerkt und zum anderen der Prophet Muhammad nicht diffamiert wird und somit keine Spaltung zwischen Orient und Okzident entsteht.
Aus diesem Grund war es unmöglich für Goethe, dieses Stück aus dem Französischen ohne Hinzudichtungen und Auslassungen direkt ins Deutsche zu übertragen.
Samet Er ist Leiter des Arbeitskreises Glaube & Religion bei der Gesellschaft für Dialog Baden-Württemberg.