Yahya Birt über muslimische Minderheiten: „Wirklich subversiv ist, den universalen Anspruch für uns aufrechtzuerhalten“

Ausgabe 329

Foto: Ammar Asfour, The Eye in Islam

(iz). Am 10. Oktober veröffentlichte die unabhängige Londoner Denkfabrik Ayaan Institute das umfangreiche Papier „Ummah at the Margins. The Past, Present, and Future of Muslim Minorities“. Darin behandelt sein Autor, Yahya Birt, die verschiedenen Minderheiten einerseits in Russland, China und Indien sowie in Afrika und im Westen. 

Birt gibt einen Überblick über ihre Lage und Situation, fasst Unterschiede komprimiert zusammen und entwirft Ausblicke für eine zukünftige muslimische Ummah. Der Autor geht auf die Rolle ein, die Minderheitengemeinschaften bei der Schaffung von Einheit, Wohlstand und Vernetzung zur muslimischen Mehrheitswelt spielen können und betont die Bedeutung der aktiven Einladung zu Allah.

Islamische Zeitung: Lieber Yahya Birt, könnten Sie unseren Lesern bitte kurz das Ayaan Institute und seine Studie „Ummah at the Margins“ vorstellen?

Yahya Birt: Zuerst möchten wir uns für das Gespräch mit Ihrer geschätzten Publikation bedanken. Das Ayaan Institute wurde 2020 als unabhängige Denkfabrik gegründet. Während der Pandemie fanden unsere Aktivitäten virtuell stand. Wir betreiben einerseits Forschung und andererseits Förderung (Mentoring) und bieten ein Partnerprogramm, in dem wir junge Muslime in politischer Analyse sowie dem Verfassen von Berichten ausbilden. Was uns auszeichnet, ist, dass wir nicht staatlich oder öffentlich finanziert werden, sondern uns als Thinktank begreifen, der auf die Ummah ausgerichtet ist. Dabei behandeln wir die globale Community mit einem Schwerpunkt auf Gemeinschaftsentwicklung. Unser erster Bericht (von unserem Direktor Jahangir Mohammed) behandelte die Wiederbelebung muslimischer Zivilisationen.

Mein Bericht, der am 10. Oktober erschien, beschäftigt sich mit muslimischen Minderheiten. Wie Sie wissen, lebt jeder fünfte Muslim weltweit in einem Minderheitenkontext. Das sind schätzungsweise über 400 Millionen Menschen. Dabei haben wir eine große Datenanalyse von 31 Gemeinschaften unternommen, die mehr als eine Million Mitglieder haben. Die kleinste mit rund einer Million lebt in Südafrika, die größte in Indien mit über 200, was Indien zum Land mit der zweitgrößten muslimischen Bevölkerung macht.

Islamische Zeitung: In seinem Bericht spricht Ihr Institut von mehreren Kategorien muslimischer Minderheiten…

Yahya Birt: Wir haben diese Gemeinschaften in drei Gruppen aufgeteilt und denken, dass hierzu mehr gearbeitet werden muss. Zum einen haben wir die drei großen Schlüsselstaaten Indien, China und Russland. In diesen militärischen und/oder ökonomischen Supermächten leben große historische Minderheiten, von denen alle unter großen Nachteilen leiden und einige sogar in ihrem Bestehen bedroht sind. Angesichts der heutigen Geopolitik und der bekannten Schwierigkeiten braucht es stete Sorge für die Sache der Minderheitenmuslime in ihnen.

Die zweite Gruppe umfasst 14 Gemeinschaften in Ländern südlich der Sahara. Was dabei insgesamt heraussticht, ist das vergleichsweise hohe Niveau der Religionsfreiheit. In Hinblick auf Einkommen, Wohlfahrt und Wohlfahrt reichen diese von Staaten mit mittlerem Einkommen wie Südafrika hinab bis zu einigen der ärmsten Länder weltweit. Im Gegensatz zu einigen nordafrikanischen Ländern spielt die Förderung von Glaubensfreiheit eine positive Rolle.

Die dritte und letzte Gruppe bilden neun westliche Länder, von denen die meisten Minderheiten seit dem 20. Jahrhundert bestehen, wobei einige Vorläufer ins 19. zurückreichen. Die Ausnahme bildet Bosnien, dessen muslimische Tradition viel älter ist. Alle behandelten Gemeinschaften haben vergleichsweise das größte Einkommen und relativ größeren Besitz von Religionsfreiheit, obwohl wir auch in unserem Bericht dokumentieren, dass einige dieser Freiheiten im Westen unter Druck stehen.

Das ist eine Betrachtungsweise, diese Minderheiten in verschiedene Sektoren und Segmente zu unterteilen. Ausgehend hiervon können wir uns analytisch fortbewegen. Dabei respektieren wir die Besonderheit jedes einzelnen Falls, um ein Bild der Lage zu zeichnen, in dem wir uns heute wiederfinden.

Islamische Zeitung: In der Vergangenheit wurde häufig über und  eben nicht mit muslimischen Minderheiten gesprochen. So, als ob es eine Machthierarchie zwischen dem gäbe, was als Zentrum, die „muslimische Welt“, und als Peripherie wahrgenommen wird. In Indien leben mehr Muslime als in allen zentralasiatischen Staaten zusammen. Gibt es Alternativen zur Betrachtungsweise, in der sie nicht als Abhängige oder „arme Verwandte“ der großen Akteure gelten?

Yahya Birt: Ich denke, es ist legitim, das Bild von Zentrum und Peripherie – ich habe von „Rand“ (engl. margin) gesprochen – zu hinterfragen. Der Grund, warum diese Begriffe vernünftig sind, liegt daran, dass die großen demographischen und historischen Teile heute in rund 50 Ländern mit muslimischer Mehrheit leben. In einem Gürtel von Afrika nach Zentralasien sind das eineinhalb Milliarden. Dieser bildet den Kern in der Bildung der historischen islamischen Zivilisation.

Wir versuchen zu sagen, wie sich Solidarität zwischen dem Rand und dem Zentrum aufbauen lässt, um eine erfolgreiche, wiederbelebte islamische Zivilisation zu bauen. Mit anderen Worten, wir blicken von einer globalen Perspektive aus. Damit Muslime Solidarität zwischen muslimischen Mehrheitsländern und Minderheiten aufbauen können, müssen unsere zivilisatorischen Differenzen produktiv genutzt werden, anstatt spaltend oder antagonistisch zu wirken.

Was braucht es, um erfolgreiche Synergien zu bilden? Betrachten wir es von einer anderen Warte aus: Wir haben Muslime in signifikanter Anzahl in der indischen und chinesischen Kultur, in der europäischen, der afrikanischen und der amerikanischen. Mit anderen Worten, die rund 400 Millionen Muslime in einer Minderheitensituation stehen mit allen weiteren wichtigen Weltkulturen in Verbindung. Wenn wir als Ummah erfolgreich darin sind, unsere Expertise, Erfahrung und kulturelle Vielfalt dieser Kulturen mitzubringen, um sie kreativ und konstruktiv in die mehrheitlich muslimische Welt einzubringen, bringt das gegenseitiges Lernen Vorteile. Dann schaffen wir menschliche Solidarität im Großen.

Wir stehen global vor Herausforderungen wie Lebensmittelsicherheit, Klimawandel, den Verlust fruchtbarer Böden etc. Wenn wir Muslime hier richtig handeln und kulturelle Vielfalt und Unterschiede nicht zu einer Trennung für uns machen, dann stellen wir fest, dass sie nichts Negatives sind, sondern Teil der göttlichen Schaffenskraft. Wir müssen uns an den qur’anischen Wert von „Ta’aruf“ erinnern, bei dem kulturelle Diversität als Weg zur gegenseitigen Erkenntnis führt. Das soll ein Gespräch bereichern, und es nicht beenden. Wenn es uns gelingt, die muslimischen Minderheitensituation mit der einer Mehrheit zu vereinen, dann sind wir ein Vorbild für die Menschheit.

Wir machen die kulturelle Differenz nicht zu einem Problem in der Welt. Diese wird politisiert und als Mittel genutzt, um die Menschen in ethno-nationalistische Stämme zu spalten. Mann kann es so sagen: Wenn der Nationalstaat absolutistisch wird, und Wahrheit, Ethnizität und Mehrheitslogik in das autoritäre Denken um ein Gebiet vereint, verlieren alle Minderheiten ab diesem Punkt. Wir müssen einen Weg finden, in dem ein kulturelles Gespräch und Dialog der Politik hilft, anstatt von ihr als Problem gesehen zu werden.

Islamische Zeitung: Spätestens seit Pankaj Mishras „Zeitalter des Zorns“ erkennen wir aber gegenläufige Trends in vielen Gesellschaften, die zu einer unerwarteten Rückkehr von Nationalismus und Ethnozentrismus führen – von den USA bis Indien…

Yahya Birt: Diese gegenläufigen Trends sind durchaus zu erkennen. Dazu gehört beispielsweise die Nationalisierung und Politisierung von Religiosität in mehrheitlich muslimischen Ländern während des 20. Jahrhunderts. In der Zeit ab dem 11. September erleben wir die Überlagerung von Politik im Allgemeinen und von muslimischer im Speziellen durch Sicherheits-Diskurse. Verschiedene Aspekte wie diese kamen und kommen in Diskursen zusammen, die sich für einen nationalistischen Islam aussprechen, der essenziell autoritär ist. Er betrachtet eine post-nationalistische islamische Einheit als politische Bedrohung in der muslimischen Welt, was Anklänge außerhalb von ihr findet. Nach 9/11 wurde eine Sicherheits-Politik geschaffen, die zu einem globalen Diskurs wurde. Man kann ihn in Israel, China, Indien, den Golfstaaten sowie anderen Ländern beobachten.

In unserem Report sprechen wir uns für die Überwindung dieser Sicherheitspolitik aus und für die Rückkehr zu einer post-nationalistischen Vision von Ummah. Diese hat unserer Ansicht nach eine qur’anische Basis, denn sie ist kein territoriales Konzept, sondern ein ethisches, das auf Tugenden basiert. Das ist ein Punkt, den wir betonen müssen, denn Nationalismus erlebt einen Wiederaufstieg. Das heißt nicht, dass es um die Märkte geht, wenn wir über die Überwindungen von Gräben sprechen. Das war das Argument des Neoliberalismus in den letzten 40 Jahren. Uns geht es schlussendlich darum, Wege zu finden, mit denen wir einander nicht nur dulden, sondern Gemeinsamkeiten finden, um den uns allen gemeinsamen Herausforderungen zu begegnen.

Islamische Zeitung: Stichwort Märkte – allerdings war der Handel eines der Mittel, mit denen Muslime in der Vergangenheit transnationale Verbindungen schufen…

Yahya Birt: Ich meinte nicht, dass transnationaler Handel nicht entscheidend ist. Vielmehr geht es um die Vorstellung, dass der ultimative Wert in „den Märkten“ liege. Das ist Neoliberalismus, kein Handel. In dessen Modell haben wir eine Art kompletter Offenheit beim Austausch von Waren und Dienstleistungen, aber nicht von Menschen. Und drehen sich einige der aktuellen Krisen in Europa nicht um Einwanderung und Flucht? Vieles dreht sich um die freie Bewegung von Menschen, nicht von Waren oder Services. Das ist eines der Paradoxa der Welt, in der wir leben.

Islamische Zeitung: Es fällt auf, dass es in ihrem Papier einen bemerkenswert positiven Ummah-Begriff gibt. In der Vergangenheit wurde dieser von politischen oder ideologischen Interessen, Bewegungen oder Staaten besetzt. Welche Zukunft hat diese Terminologie für Sie?

Yahya Birt: Das ist ein Begriff, über den wir ein bisschen nachdenken – wie über seine Instrumentalisierung. Das ist ein Problem, das wir benennen und mit dem wir umgehen müssen, um ihn davor zu retten, ein bloßes Instrument in den Händen selbstbezogener Nationalstaaten zu werden. Alternativ gilt das auch für transnationale islamische Bewegungen, welche die „Ummah“ für sich zu vereinnahmen suchen. Islam beziehungsweise Pan-Islam wird so zu einer Art Projekt der Soft Power (sanften Gewalt) konkurrierender muslimischer Staaten, die ihre Interessen vertreten.

Namentlich nennen wir die „großen Fünf“: offenkundig Saudi-Arabien und Iran (die seit 1979 konkurrieren) sowie in den letzten Jahrzehnten die Türkei, die Emirate und Katar. Sie stellen die Premier League. Zusätzlich könnte man einige kleinere Akteure hinzufügen, die in einer „zweiten Liga“ spielen. Wenn wir von ihnen als Soft Power-Staaten sprechen, dann in dem Sinne, dass sie an eine universale Botschaft des Islam jenseits ihrer eigenen Diaspora appellieren. Das ist der entscheidende Unterschied, da sie über ihre jeweiligen Auswanderer hinausgehen.

Und das sind derzeit nur diese fünf Länder. Und die einzigen, die das auf einer relevanten und ernstzunehmenderen Ebene tun. Einige tun das, indem sie sich die Rechte muslimischer Minderheiten auf die Fahne schreiben. Meine Kritik an diesen – den „Türkeien“ der Welt – ist, dass sie sich gegen Islamophobie in Europa einsetzen, aber nirgendwo ernsthaft mit muslimischen Minderheiten in diesen Ländern sprechen.

Islamische Zeitung: Ein Gegenteil dessen erlebten wir im Frühling dieses Jahres, als die OIC-Außenministerkonferenz in Islamabad den chinesischen Außenminister als Ehrengast einlud. Dabei kam es zwar zu den üblichen Appellen für Palästinenser, Rohingya oder Muslime in Europa. Zeitgleich gelang es ihnen, die Lage der Uiguren mit keinem Wort zu erwähnen. Ebenso auf der letzten Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf, als mehr ein halbes Dutzend OIC-Mitglieder gegen eine Resolution stimmten, die Diskussion eines UN-Berichtes zur Lage der Uiguren in China auf die Tagesordnung zu setzen.

Yahya Birt: Es gibt viele solcher Beispiele. Sie haben ein gutes und wichtiges angeführt. Es ist ein Problem der muslimischen Welt, dass sie riesige Investitionen aus China angenommen und Peking so viel wirtschaftliche und politische Macht zugestanden hat. Also Folge stimmen ihre Staaten gegen UN-Resolutionen zur Untersuchung der Lage uigurischer Arbeiter. Diese Staaten sind gefangen zwischen Chinas Hard Power und ihrer ökonomischen Schwäche. Wir befinden uns in einer schwierigen Situation.

Ich glaube, nichts ändert sich, wenn wir den Kopf in den Sand stecken. Wir müssen über diese Machtdynamiken in internationalen Beziehungen nachdenken. Und konstruktiv darüber reflektieren, was wir tun können. Das Erschrecken ist eine natürlich Reaktion. Wir haben aber die Pflicht, darüber hinauszugehen und nüchterne Überlegungen über unsere Stärken und Schwächen anzustellen.

Teil dessen ist eine reifere Beziehung und ein Dialog zwischen muslimischen Mehrheitsländern und den Minderheiten. Damit meine ich nicht nur „Dialog“, sondern einen institutionellen Austausch mit islamischen Zentren sowie der Begegnung von Imamen und anderem Personal aus der muslimischen Welt. Wenn wir grenzüberschreitend kommunizieren, können wir ein Bewusstsein von Ummah wiederbeleben. Um das Konzept zu vitalisieren, brauchen wir unbegrenztes Denken, und keinen beschränkten Nationalismus. Das gelingt uns nur durch transnationale Netzwerke, die versuchen herauszufinden, wo unsere Interessen liegen.

Islamische Zeitung: Sie haben in Ihrem Papier den Begriff „global“ benutzt – global denken, lokal handeln. Hier kollidieren verschiedene Ansätze und ethische Ansprüche. Einerseits gibt es Forderungen nach globaler Solidarität, andererseits das prophetische Vorbild, zuerst im eigenen Umfeld anzufangen und sich dann in konzentrischen Kreisen vorzuarbeiten.

Yahya Birt: Das ist ein großartiger Punkt. Das beschreibt die ethische und moralische Herausforderung unserer Generation. Wie bringen wir es zusammen, lokal zu handeln und global zu denken, beziehungsweise lokal zu denken und global zu handeln? Wie bringen wir die lokalen Obligationen mit unseren globalen in Einklang?

Wir leben in einem digitalen, vernetzten Zeitalter, wo Weltnachrichten in unseren Maileingang und auf unser Handy im Sekundentakt ankommen. Wir wissen mehr übereinander als jemals zuvor. Der Radius unserer Sorgen ist gewachsen und der Globus geschrumpft. Für mich ist interessant, wenn man muslimische Minderheiten in Großbritannien oder den USA nach ihrer Zugehörigkeit befragt, dann identifizieren sich mehr von ihnen als britisch oder amerikanisch im Vergleich zur „einheimischen Bevölkerung“. Wenn man nachfragt, wird man feststellen, dass sich viele mit ihrem lokalen Ort, ihrer Gemeinschaft und ihren Nachbarn identifizieren. Ich denke, das ist kompliziert, da es eine doppelte Ebene der Identifizierung gibt – lokal und global. Auf einer nationalen Ebene ist das abgeschwächter, denn diese wird parallel durch eine lokale und eine globale Linse betrachtet.

Ich denke aber, dass Sie Recht haben. Wir können keine Art teleskopischer Wohltätigkeit haben, die sich nur um Leute sorgt, die Tausende Kilometer entfernt leben, und nichts über Armut oder Ungleichheit vor unserer Haustür sagen. Das wäre vollkommen falsch und widerspräche islamischen Werte. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen beiden zu finden. Wo die Linie zu ziehen ist, sollte im Zentrum der Diskussion stehen.

Islamische Zeitung: Letzte Frage, zu den unerwarteten Punkten in Ihrem Papier gehört die Erwähnung der zentralen Rolle, die der Aufruf zu Allah spielt. Das widerspricht dem Großteil des postmodernen Diskurs im muslimischen Aktivismus. Warum haben Sie diese Aufgabe mit in Ihren Report aufgenommen?

Yahya Birt: Ich stehe im Austausch mit der gleichen jungen Generation von Muslimen, die in den zwanzig Jahren seit Beginn von „Krieg gegen den Terror“ und Islamfeindlichkeit im Westen auf beinahe industriellem Niveau den gleichen säkularen Anti-Rassismus-Diskurs durchlaufen hat. Sie sind mit dem Kampf gegen öffentliche Demütigung aufgewachsen und haben muslimische Institutionen dabei beobachtet, wie sie auf staatliche Sorgen um extremistische Gewalt antworteten, ohne effektiv gegen diese Art der Stigmatisierung von Muslimen vorzugehen. Diese Enttäuschung veranlasste sie zur Suche nach Alternativen. Sie wollen sich einsetzen und engagieren – moralisch und politisch. Aber finden keine Sprache der Mobilisierung in der Glaubenstradition.

Daher denke ich, dass die Erinnerung an den Aufruf zum Islam subversiv ist. Es gibt heute verschiedene Wege, auf denen wir uns angewöhnt haben, zu sagen, dass Wahrheit relativ ist. Im Vorgespräch haben Sie hierzu Postmodernismus erwähnt. Wenn jede Wahrheit relativ ist, wird alles zur Entscheidung der Verbraucher – so wie jede Identität. Und alles kann unter dem neoliberalen System verdinglicht und vermarktet werden. In dieser Logik wird Islam nur ein Platz als bloß eine weitere Wahl des Lebensstils zugewiesen. Je strenger dieser Ansatz ist, desto mehr wird Islam, der eine universale Tradition ist, ethnisiert und zu einer Religion nicht-weißer Menschen gemacht.

Wirklich subversiv ist, den universalen Anspruch für uns und die Welt aufrechtzuerhalten. Deshalb haben wir diesen Punkt in unseren Report aufgenommen. Es gibt kein Argument für die Vorstellung, alle müssten Muslime werden. Man kann jeden zu Allah einladen, aber es gibt – natürlich – keinen Zwang in der Religion. Trotz seiner universalen Qualität träumt er nicht wie Kant von einer allgemeinen Ordnung. Allah, subhana wa ta’ala erinnert uns daran, dass Menschen immer – wenn Sie so wollen – die Gabe der Freiheit haben. Also wird es immer Leute geben, die Ihn in dieser Welt zurückweisen. Als Muslime erkennen wir an, dass es Leute in der Welt geben wird, die Islam und seine Einheitslehre ablehnen. Das heißt, wir haben keine totalitäre Vorstellung, dass die ganze Welt so wird wie wir.

Wenn wir in einer pluriversen Welt leben, muss jeder Anspruch auf Universalismus als eine Möglichkeit gesehen werden. Für uns ist das eine Berufung; und zwar eine prophetische. Wir sind überzeugt, eine allgemeine Sache zu vertreten. Geben wir diese auf, werden wir relativiert. Deshalb ist das in der heutigen Welt subversiv. Dies aufzugeben, ist eine der Hauptforderungen an Muslime heute. Das können wir nicht. Wie Ibrahim (Abraham) müssen wir in der Lage sein, die Idole unserer Väter zu zerschlagen.

Islamische Zeitung: Lieber Yahya Birt, wir bedanken uns für das Gespräch.