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Afghanistan: Europa hat noch keine gemeinsame Linie bei Flüchtlingen

Foto: trentinness, Adobe Stock

Berlin (KNA/iz). Während die internationale Luftbrücke zur Evakuierung von Ausländern und gefährdeten Menschen aus Afghanistan steht, ringt die EU einmal mehr um eine gemeinsame Flüchtlingspolitik. Unterdessen erhöhten am Mittwoch Vertreter von Hilfsorganisationen und Kirchen den Druck auf rasche Unterstützung für die notleidende Bevölkerung.

Angesichts der verzweifelten Situation, in der sich gegenwärtig viele Afghanen befänden, seien gegenseitige politische Schuldzuweisungen fehl am Platz, heißt es in der Erklärung, die unter anderen der evangelische Bischof für die Seelsorge in der Bundeswehr, Bernhard Felmberg, und der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck unterzeichneten. Stattdessen solle die Bundesregierung beispielsweise auch jenen Menschen unkompliziert ein Bleiberecht in Deutschland gewähren, die schon vor 2013 mit der Bundeswehr, zum Beispiel als Übersetzer, kooperierten.

Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl und mehrere Juristenverbände sprachen sich dafür aus, die Kriterien für eine Aufnahme gefährdeter Menschen aus Afghanistan zu erweitern. Die Hilfsorganisation Oxfam erklärte, alle europäischen Regierungen stünden in der Pflicht, „jede Form erzwungener Rückkehr nach Afghanistan zu unterlassen und afghanischen Staatsangehörigen auf der Flucht Schutz zu gewähren“.

Die Bundesregierung gab unterdessen Einzelheiten zur internationalen Luftbrücke bekannt. Am Dienstag wurden demnach 260 Menschen mit vier Flügen in sichere Drittstaaten gebracht. Ziel sei es, so lange wie möglich und so viele Menschen wie möglich aus Kabul auszufliegen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

In Afghanistan bleibt die Lage angespannt. Laut UN-Angaben gibt es innerhalb des Landes 3,5 Millionen Binnenvertriebene, 550.000 von ihnen seien in diesem Jahr aus ihren Wohnorten geflohen, viele von ihnen in die Hauptstadt Kabul. Zugleich weist das Hilfsprogramm der Vereinten Nationen für die Betroffenen im laufenden Jahr eine Finanzierungslücke von 57 Prozent auf. Größere Fluchtbewegungen in das Ausland sind bislang noch nicht zu beobachten. Mehr als 18 Millionen Afghanen hungern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO warnte vor Seuchenausbrüchen und lebensbedrohlichen Folgen für Schutzbedürftige, sollte in Afghanistan die medizinische Versorgung unterbrochen werden.

Über den künftigen Kurs der Taliban herrscht nach Ansicht von Experten Ungewissheit. Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler fürchten um ihr Leben. Die Frauenhilfsorganisation Solwodi sieht vor allem Politikerinnen, Richterinnen, Lehrerinnen, Journalistinnen und Frauenrechtlerinnen bedroht.

Gleichwohl plädieren viele Beobachter für Gespräche mit den Taliban. Man dürfe sie nicht nur in einem Schwarz-Weiß-Denken grundlegend verteufeln, „sondern wir müssen natürlich auch gucken, wie wir diplomatische Lösungen finden“, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie dem SWR. Ähnlich hatte sich am Dienstag auch der katholische Weltkirche-Beauftragte, der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick, geäußert.

Auf EU-Ebene zeichnet sich ein neues Tauziehen in der Flüchtlingspolitik ab. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Europa müsse sich möglichst schnell auf Flüchtlingskontingente einigen. „Wir können die Menschen aus Afghanistan doch nicht auf den Mond schießen.“ Scharfe Kritik übte er in diesem Zusammenhang an Österreich. Die Äußerungen aus Wien seien „das Gegenteil von gemeinsamer europäischer Politik“.

Österreichs Innenminister Karl Nehammer hatte der „Welt“ gesagt: „2015 darf sich keinesfalls wiederholen. Wir müssen daher jetzt als europäische Gemeinschaft die Vorkehrungen treffen, um eine Migrationsbewegung nach Europa zu verhindern.“ Vergleiche mit der Flüchtlingskrise vor sechs Jahren wies Migrationsforscher Gerald Knaus gegenüber dem Portal watson zurück. „Flucht aus Afghanistan 2021 ist vollkommen anders als aus Syrien 2015.“ Von einem unkontrollierten Zustrom könne keine Rede sein. „Die Grenzen sind geschlossen, und die Taliban haben die Kontrolle darüber.“