
Sachlich kommt die ARD-Reportage über Fremdenfeindlichkeit in Deutschland daher. Sie zeichnet Fälle nach, lässt Politiker und Praktiker zu Wort kommen. Und sorgt für Nachdenklichkeit beim Zuschauer.
Baden-Baden (KNA). Heidenau, Freital, Tröglitz: Diese ostdeutschen Orte haben 2015 traurige Bekanntheit erlangt. Die Liste setzt sich fort, zuletzt mit Clausnitz. Der mehrfach preisgekrönte Reporter Thomas Reutter ist der Frage nachgegangen, was hinter dem Hass auf Flüchtlinge und Ausländer steckt – und ob Staat und Justiz genug dagegen tun. Die ARD zeigt seinen Dokumentarfilm „Terror von rechts – die neue Bedrohung“ am Montag um 22.45 Uhr.
200 Brandanschläge auf Asylbewerber-Unterkünfte verzeichneten die Behörden im vergangenen Jahr. 2014 waren es sechs. Allein dieser schiere Anstieg der Zahlen zeige, „dass etwas im Gange ist“, so formuliert es die Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Emily Haber, die für Asylpolitik und Extremismusbekämpfung zuständig ist. Nach Einschätzung des Leipziger Polizeipräsidenten Bernd Merbitz gibt es nicht nur immer mehr, sondern auch immer gefährlichere Anschläge.
Am deutlichsten spürbar wird die Gefahr in Videoaufnahmen von Fackelmärschen oder Straßenkrawallen, die Rechtsextreme oftmals selbst veröffentlichen. Zudem hat Filmemacher Reutter vereinzelt nachgestellt, was nicht dokumentiert ist – in geringer Auflösung und den Farben Schwarz-Weiß-Rot, was den albtraumhaften Charakter der Szenen verstärkt. Ansonsten bleibt der Film sehr sachlich. Neutral ist er nicht, das zeigt bereits das Wort „Terror“ im Titel. Denn was als Terror eingestuft wird, ist keineswegs unumstritten.
Am Beginn der Dokumentation steht der Fall einer Nazigruppe, die von einem Modellflugzeug aus eine Rohrbombe über einem Antifa-Camp abwerfen wollte. Die Männer hatten die Bombe gebaut und Sprengsätze getestet. Vor Gericht gaben sie alles zu – doch die Ermittlungen wurden eingestellt. Das Ganze sei „nur eine Suff-Idee“ gewesen, erklärt der Staatsanwalt, der Verteidigung der Rechten folgend.
Reutter stellt die naheliegende Frage: Wie wäre das Urteil ausgefallen, wenn die Täter Islamisten gewesen wären? Die Mitglieder der sogenannten Sauerland-Gruppe, die ebenfalls Sprengstoffanschläge geplant hatten, wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Gegenbeispiele verschweigt der Film nicht. Auch die Rechtsextremisten, die 2003 einen Anschlag bei der Grundsteinlegung des neuen Jüdischen Kulturzentrums in München geplant hatten, wurden für Jahre eingesperrt. Doch nach Absitzen der Strafe machen sie und ihre Gruppierungen weiter – teils unter anderem Namen.
Terror oder nicht: Ob das nicht „Wortklauberei“ sei, fragt Staatssekretärin Haber. Wie entscheidend eine Etikettierung aber für die öffentliche Wahrnehmung sein kann, zeigt ein anderes Beispiel. Im Februar 2015 wurden bei einem Sprengstoffanschlag auf ein Asylbewerberheim im sächsischen Freiberg sieben Menschen verletzt. Diverse Medien schrieben zunächst von einem „Böllerwurf“. Auch vor solch sprachlicher Unachtsamkeit warnte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beim Gedenken an die Mordopfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU).
Polizeipräsident Merbitz gehört nicht zu den Unachtsamen. Er kennt die fremdenfeindlichen Sprüche, und er kennt die Kritik an Staat und Polizei. Er habe sich nicht träumen lassen, einmal die Parole zu hören: „Hängt den Merbitz auf“, sagt der Katholik, der 2009 den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage vom Zentralrat der Juden erhielt. Das betreffe nicht nur ihn, „das kann’s nicht sein“, betont er. Und: Was in Teilen Deutschlands derzeit herrsche, sei Pogromstimmung.
Die offenen Worte des Polizeipräsidenten lassen den Zuschauer ähnlich fassungslos zurück wie die Bilder der spielenden syrischen Kleinkinder, die das Ziel des Anschlags von Freiberg waren. Auch zeigt die Dokumentation, wie einfach es ist, in Deutschland verbotene sogenannte Polenböller im Nachbarland zu erwerben und über die Grenze zu bringen.
Ideen zur Problemlösung muss der Zuschauer selbst entwickeln – was wohl kein Zufall ist, wird doch deutlich, dass Staat und Polizei dem Problem ohne die Zivilgesellschaft kaum Herr werden können. Weiterer Stoff zum Nachdenken findet sich in der ergänzenden multimedialen Online-Dossier des SWR, der die Dokumentation verantwortete.