Als Moslem in einem schottischen Kloster

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(iz). Jedes Land hat seinen speziellen Geruch. Nach jetzt 37 Ländern bin ich da schon fast ein Experte, was das betrifft. Algerien riecht nach Benzin, Eis und Gewürzen. Frankreich hat einen altbackenden Duft, den ich nicht wirklich beschreiben kann. Und Schottland trägt einen sehrmerkwürdigen Duft: Essig, Kleber und Käse. Ich muss über diesen Geruch schmunzeln, während ich in Edinburgh aus dem Flughafen trete.
Ich laufe an einer Polizistin und Flughafen-Security mit Kopftuch vorbei.
Ich habe nicht viel Zeit und ziehe mir am Fahrkartenautomaten schnell ein Ticket für die Tram nach Haymarket. Von Haymarket fahre ich mit dem Zug nach Aberdeen und von dort aus in die Kleinstadt Elgin. Elgin ist nicht mein Ziel, sondern das 12 Kilometer entfernte Benediktiner-Kloster, das von dem schottischen König Alexander II. um 1230 gegründet wurde. Pluscarden Abbey liegt in einem der vielen Schluchten im schottischen Hochland.
Mein Buch liegt vor mir auf dem Tisch. Fasziniert von der Aussicht, komme ich nicht zum Lesen. Der Zug fährt über Brücken aus Edinburgh raus. Steinige Klippen und große Wiesenfelder erstrecken sich vor mir. Die Nordsee schlägt große Wellen, die an Felsen klatschen, in Millionen Tropfen schäumend gebrochen werden und dann wieder ins dunkle Wasser fallen. Dieser Kontrast zwischen Meer und Wald beflügelt mich. Ich bin an der Nordsee geboren, habe einen wichtigen Teil meines Lebens dort verbracht und fahre des Öfteren dort hin. Dann die Wälder und die endlosen Landschaften, in denen ich meine Seele immer wieder baumeln lasse und alle Wege dort erwandere, die es zu erwandern gibt. In über 259 Stellen im Koran wird über Gotteswerk der Schöpfung angeknüpft. Nicht nur die Schöpfung des Menschen und der Tiere, sondern auch die der Natur.
„Gewiss, in der Schöpfung der Himmel und der Erde und in der Verschiedenheit von Nacht und Tag sind zweifelsohne Einsicht für die Verständigen. Diejenigen, (…) die über die Schöpfung der Himmel und der Erde nachdenken und über die Erschaffung der Himmel und Erde (und sagen): Unser Herr, du hast (all) dies nicht umsonst erschaffen.“ (Al-i-‘Imran, Sure 3, 190-191)
In der Kleinstadt Elgin fahre ich in einem Taxi zum Pluscarden Abbey. Die Taxen stehen allerdings nicht am Bahnhof. Genervt von der sechsstündigen Zugfahrt, suche ich einen Schalter und frage nach einer Telefonnummer für ein Taxi. Nach einem Bus brauche ich gar nicht zu fragen, weil mir schon in den E-Mals mitgeteilt wurde, dass nur ein Taxi zum Kloster fährt. Super. 20 Pfund Sterling für eine Taxitour. Für das Zugticket der Scotrail habe ich 27 bezahlt. Für mein Flugticket nach Edinburgh nur 9,99 Euro.
Ich habe mir eine Nummer an dem einzigen Schalter an dem 2-Gleisen-Bahnhof besorgt. Der Taxifahrer, ein älterer Mann mit einer Glatze und einem Bierbauch, hat wie viele andere Schotten einen Akzent, wenn Sie englisch sprechen, auch wenn sie selbst kein Gälisch reden können. Es ist sehr amüsant mit dem schottischen Taxifahrer. Wir lachen und erzählen uns viel. „Sprichst du gut Gälisch?“, frage ich ihn.
„Nur ein paar Floskeln die, die meisten hier können. Tiefer in den Highlands wird Gälisch vermehrt gesprochen. Durch die Engländer ist ein großer Teil der schottischen Tradition verloren gegangen. Aber ich bin dennoch ein Schotte. Durch und durch. Auch wenn ich kein gälisch spreche.“
Am Kloster angekommen, gehe ich in den Kreuzgang. Ich sehe Atemwolken. Es sind -4 Grad. Von dort aus komme ich in die Küche der Mönche, die Klosterkirche und dem Eingang in den privaten Bereich der Mönche. Ein Mann kommt aus der Klosterkirche und begrüßt mich flüsternd. Ich frage ihn wo ich Brother Th. finde.
„Sie sind alle bei der Vesper. Komm mit.“ Er führt mich von der Kirche weg und bringt mich in den Vorraum der Klosterküche. Dort kommt ein Mönch in einer weißen Kutte und grau- schwarzem Haar auf mich zu. Ich spreche ihn mit Brother an. Er korrigiert mich ganz höflich und sagt, dass er ein Father ist. Wir quatschen über meine Herkunft und meiner Religion bis auch der Rest aus der Kirche kommt.
Eine ältere Frau, die ebenfalls im Kloster gastiert, zeigt mir, wo das Gästehaus der Frauen ist. Es sind ca. 7 Minuten zu Fuß vom Kloster entfernt (das Gästehaus der Männer ist im Kloster). Der Weg dorthin ist nicht beleuchtet, deshalb findet man auch an jeder Ecke Taschenlampen, die ohne Batterien funktionieren. Es ist so dunkel, dass ich meine eigene Hand vor Augen nicht sehen kann. Desto schöner ist aber der Himmel. Millionen von Sternen leuchten um die Wette, wie ein weißer Teppich, der sich über den Nachthimmel legt.
„Wir haben den unteren Himmel mit dem Schmuck der Sterne versehen.“ (As-Saffat, Sure 37, 6)
„Wenn du nichts zu tun hast, dann schau dir einfach den Himmel in der Nacht an“, hat Father G. vorhin noch zu mir gesagt.
Das Kloster befindet sich weit auf dem Land. Wer schon in Schottland gewesen ist, weiß dass es hier überwiegend winzige Ortschaften gibt, in denen nur ein paar Häuser stehen und weit und breit nur Wald oder einfach nur ödes Land. Das Kloster und die Natur um das Kloster herum sind atemberaubend. Leise schleiche ich mich in die Kirche. Die Mönche kommen in zweien Reihen herein. Von jung bis alt ist alles dabei. Sanfte und hohe Töne durchfluten auf einmal die Kirche. Dann fallen immer mehr Mönche in das Gebet ein. Die paar Besucher, die da sind, knien sich hin und falten die Hände. Ich hingegen sitze in der Ecke auf einem Stuhl und beobachte das Szenario. Auch wenn ich keine Christin bin, ist es schön diesem Spektakel beizuwohnen und diese Zufriedenheit und diesen Zusammenhalt der Mönche mitzuerleben. Ich schaue nach oben zu den großen Fenstern, das ich zur Vigilmesse schon faszinierend angestarrt habe, während die Mönche beteten und aus der Nacht immer mehr der Tag wurde. Ich denke an den Lichtvers im Koran:
„Gott ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht ist einer Nische vergleichbar, in der eine Lampe ist. Die Lampe ist in einem Glas. Das Glas ist, als wäre es ein funkelnder Stern. Es wird angezündet von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum, weder östlich noch westlich, dessen Öl fast schon leuchtet, auch ohne, dass das Feuer es berührt hätte. Licht über Licht. Gott führt zu seinem Licht, wen Er will, und Gott führt den Menschen die Gleichnisse an. Und Gott weiß über alle Dinge Bescheid.“ (An-Nur, Sure 24, 35)
Kurz nach der Messe treffe ich auf Brother Th. mit dem ich zuvor immer geschrieben habe. Er kommt ursprünglich aus Neuseeland. Ich schätze ihn auf 55 Jahre. Bis auf E-Mails haben wir sonst noch kein Wort miteinander gewechselt, dennoch sieht man ihm an, dass er ein sehr gütiger und freundlicher Mensch ist. In seiner Gegenwart fühle ich mich sehr wohl. Desto mehr freut es mich auch, als er einen Tag später von einer Frau, die wohl seit 50 Jahren, das Kloster besucht, eingeladen wird. Ich komme von meiner Erkundungstour, gehe in den Gemeinschaftsraum des Gästehauses, um mir einen Tee zu machen.
Brother Th. sitzt mit zwei anderen Frauen, beide quatschen sehr viel und sehr gern, im Gemeinschaftsraum. Er selbst bedient sich am Kuchen.
Mit einem Nicken grüße ich die Drei.
Der Mönch bietet mir einen Platz an. Wir reden über dies und das. Mir fällt auf, dass sich der Mönch immer wieder ein kleines Stück Kuchen abschneidet und genüsslich isst. Ich frage ihn, ob er noch Kaffee oder Tee möchte.
„Einen Kaffee, bitte. Vielen Dank.“
Die Benediktiner-Mönche leben von dem, was Sie anbauen und ernten. Da Kuchen und andere Süßigkeiten nicht dazugehören, genießen sie jede Einladung, die sie erhalten.
„Einen praktizierenden Moslem habe ich hier im Kloster noch nicht erlebt. Aber es ist so schön, dass ich es noch erleben darf,“ sagt der Mönch lächelnd. Ich sah kurz in seine feuchten Augen.
Sie strahlten so viel Herzlichkeit und Gottvertrauen aus, so dass ich ihm alles erzählte, was mir auf der Seele lag.
Viele Gelehrte in den Moscheen oder im Internet und auch Muslime im Alltag sind oft sehr beleidigend oder herablassend, wenn man Fragen stellt, wie was der Islam zu den Urzeitgeschöpfen und diverse andere Fragen. Beschimpfungen und Verurteilungen sind die Antworten auf solche Fragen. Wenn ich an meine Jugend zurückdenke, muss ich an zwei Gelehrte denken, deren Vorträge ich sehr gerne gehärt habe. Auf einmal waren sie von heute auf morgen nicht mehr in der Moschee und wurden von vielen verurteilt. Irgendwann erfuhr ich, dass es an deren Einstellung lag. Sie haben immer versucht auf jede Frage einzugehen. Sie haben einen nicht verurteilt, wenn man eine „unangemessene“ Frage gestellt hat.
Ich spüre, wie Brother Th. jedes einzelne Wort von mir aufsaugt und verarbeitet. Mit den Worten: „Es ist sehr traurig und beschämend, dass viele Muslime von ihren eigenen Glaubensgenossen verhöhnt werden”, beende ich meinen Monolog.
„Gott schaut in unsere Herzen. Es gibt Menschen, die sagen sie glauben, obwohl sie nicht glauben, nur um ihr Gesicht zu wahren. Dann gibt es Menschen, die glauben, aber den Glauben nur für sich beanspruchen und der Meinung sind, dass sie alles richtig machen und kritische Fragen ablehnen. Aber vergiss nicht, dass es Menschen sind, die so handeln, nicht Gott. Gott hat uns seine Nachricht verkündet und wir sollten versuchen danach zu leben. Es sind nur Menschen, Gottes Geschöpfe. Der Einzige, der alles weiß und unsere Seelen kennt, ist Gott. Du kennst seine Worte, also halte dich daran fest und nicht an Beleidigungen und Verurteilungen eines Menschen.“
Erstaunt schaue ich ihn an. „Das war sehr hilfreich.“
Er versteht, was ich damit gemeint habe. „Wir glauben beide an den barmherzigen Gott“, sagt er lächelnd.
Und streitet nicht mit den Leuten der Schrift, außer mittels dem, was besser ist, außer mit denjenigen, die von ihnen unrecht handeln, und sagt: „Wir glauben an das, was zu uns herabgesandt wurde und zu euch herabgesandt wurde, und unser Gott und euer Gott ist einer, und wir sind Ihm friedenmachend Ergebene.“ (‘Ankabut, Sure 29, 46)
Im zweiten Vatikanischen Konzil heißt es: „Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die … mit uns den einen Gott anbeten.“ Zufrieden und als Dank schneide ich ihm noch ein Stück Zitronenkuchen ab und lege es auf seinen Teller.
Tatsächlich sind auch junge Männer in den Zwanzigern unter den Mönchen. Mit schwarzen Kutten, das bedeutet sie sind noch Novizen. Ich finde es erstaunlich, dass es so junge Menschen gibt, die sich dem Kloster verschreiben wollen. Ich frage mich, was sie dazu bewegt.
Die meisten Farben zeigt die Natur im Herbst. Ich spaziere auf dem Klostergelände, beobachte ein paar Mönche bei ihrer Arbeit: Äpfel pflücken, Rasen mähen, Friedhof pflegen, Saft herstellen, Suppe kochen u.v.m. Es hat etwas Friedliches und Glückliches an sich. Ich kann mein Gefühl nicht mit Worten beschreiben, aber es ist schön und ich fühle tiefe Zufriedenheit in mir, während ich ihnen dabei zusehe, wie sie ihrer Arbeit nachgehen. „Arbeit ist eine Form des Gebets“, hatte Brother Th. in unserem Gespräch vorhin gesagt. „Stimmt. Im Islam ist die Arbeit der eigentliche und natürliche Weg des Verdienstes. Der Prophet Mohammed (a.s.s.) sagte, dass Niemand etwas Besseres hat als aus der eigenen Handarbeit zu essen. Er (a.s.s.) traf auch einmal auf einen seiner Gefährten und als sie sich die Hände drückten, bemerkte der Prophet, dass seine Hände schwielig waren. Mohammed (a.s.s.) fragte ihn nach dessen Grund. Der Gefährte antwortete ihm, dass er auf seiner Dattelplantage arbeitete um seine Kinder und seine Familie zu ernähren. Weißt du Brother Th., was er darauf hin gemacht hat?“ Ich starre immer noch auf die Mönche, die Äpfel von den Bäumen ernten.
„Nein, erzähl es mir, bitte.“
„Daraufhin küsste der Prophet die Hände dieses Mannes und sagte: Diese Hände sind Hände, die Gott liebt.“
Die Glocken läuten zum Gottesdienst. Die Mönche lassen ihre Arbeiten liegen und machen sich schweigend auf dem Weg ins Kloster.