Gaza (dpa/IZ) Israels Armee hat Augenzeugen zufolge trotz internationaler Warnungen Ziele in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens angegriffen. Bei Angriffen aus der Luft auf zwei Häuser sollen bereits am Samstag mehr als 20 Menschen getötet worden sein, hieß es aus medizinischen Kreisen. Auch der Bürgermeister der Stadt im Süden des Küstengebiets, Ahmed al-Sufi, bestätigte die Opferzahl.
Wie das Militär in der Nacht zum Montag bekannt gab, sei „eine Serie von Angriffen auf ‘Terrorziele’ in der Gegend von Schabura im südlichen Gazastreifen“ durchgeführt worden. Schabura liegt bei der Stadt Rafah, wo Hunderttausende palästinensische Binnenflüchtlinge Schutz gesucht haben. Wie die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa unter Berufung auf medizinisches Personal in Rafah berichtete, seien bei den schweren israelischen Luftangriffen mindestens 52 Zivilisten sowie weitere Menschen getötet worden. Dutzende weitere Menschen seien zudem verletzt worden, hieß es. Der arabische Fernsehsender Al-Dschasira sprach von mindestens 63 Toten. Bei der Angriffsserie sollen mehrere Häuser und Moscheen im Visier des israelischen Militärs gestanden haben. Al-Dschasira zitierte den Direktor des kuwaitischen Krankenhauses in Rafah, wonach mehr als 20 Menschen in die Klinik gebracht worden seien.
Israelische Soldaten bombardierten außerdem ein Fahrzeug der Hamas und töteten dabei drei Personen, darunter den Chef des Polizeigeheimdienstes der Hamas sowie dessen Stellvertreter, wie es am Samstag aus Polizeikreisen und von Augenzeugen hieß. Die Angaben ließen sich allesamt zunächst nicht unabhängig überprüfen. Israels Militär äußerte sich nicht konkret. Die Armee halte sich bei ihren Einsätzen an das Völkerrecht und treffe Vorkehrungen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung gering zu halten, teilte sie auf Anfrage lediglich mit.
Es waren nicht die ersten Berichte über Angriffe auf Ziele in der Stadt nahe der Grenze zu Ägypten. In der vergangenen Wochen hatte das israelische Militär dort Augenzeugen zufolge häufiger Stellungen von Hamas-Mitgliedern attackiert. Rafah ist der einzige Ort im gesamten Küstenstreifen, in dem die Hamas noch die Kontrolle ausübt.
Derzeit sind in der Stadt noch keine israelischen Bodentruppen im Einsatz. Rafahs Bürgermeister Al-Sufi warnte vor einem Vorstoß der Armee in den Ort. „Jeder Militäreinsatz in der Stadt, in der mehr als 1,4 Millionen Palästinenser leben, wird zu einem Massaker und einem Blutbad führen.“
Die USA und Deutschland sprechen sich vehement gegen ein militärisches Vorgehen Israels in Rafah aus. US-Präsident Joe Biden seinen Ton gegenüber der israelischen Regierung verschärft und das Vorgehen der Streitkräfte gegen die Hamas als unverhältnismäßig bezeichnet. „Ich bin der Ansicht, dass das Vorgehen bei der Reaktion im Gazastreifen überzogen ist“, sagte Biden bereits am 08. Februar im Weißen Haus. Es gebe viele unschuldige Menschen, die hungerten, in Not seien oder gar ums Leben kämen. „Das muss aufhören.“
Auch Großbritannien reiht sich in die Liste der Staaten ein, die vor einem militärischen Vorgehen Israels in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens warnen. Er sei „zutiefst besorgt über die Aussicht einer Militäroffensive in Rafah“, erklärte der britische Außenminister David Cameron am späten Samstagabend auf der Online-Plattform X. „Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Gazas sucht in der Gegend Zuflucht“, schrieb der frühere Premier. Die Priorität müsse auf einer sofortigen Feuerpause liegen, um Hilfslieferungen zu ermöglichen und Geiseln herauszubekommen. Danach müssten Fortschritte in Richtung einer dauerhaften Waffenruhe gemacht werden, forderte er.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte zuvor der Armee den Befehl erteilt, eine Offensive auf Rafah vorzubereiten. In der Stadt gebe es noch immer vier verbleibende Hamas-Bataillone. Demnach soll die Militärführung die Evakuierung der Zivilisten in dem Ort planen.
Die Hamas hat Israel für den Fall eines militärischen Vorgehens in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens mit einem Abbruch der Gespräche über ein Geisel-Abkommen gedroht. Jeder Angriff könne die Verhandlungen zunichtemachen, zitierte der palästinensische Fernsehsender Al-Aksa, der als Sprachrohr der Hamas gilt, am Sonntag ein nicht näher genanntes hochrangiges Hamas-Mitglied.
Weit mehr als 1.000.000 bereits geflüchtete Palästinenser in Rafah
Eine Militäroffensive in Rafah gilt als hochproblematisch. In dem Ort, der vor dem Krieg rund 300.000 Einwohner hatte, sollen sich inzwischen weit mehr als eine Million Palästinenser aufhalten. Die meisten von ihnen flohen vor dem Krieg aus anderen Teilen des Gazastreifens dorthin, zum Teil auf Anordnung des israelischen Militärs.
Wegen heftiger Kämpfe in der letzten Woche im Bereich der Stadt Chan Junis im südlichen Gazastreifen sind nach Augenzeugenberichten tausende Palästinenser in Autos oder zu Fuß Richtung Rafah an der Grenze zu Ägypten geflohen. Da auch hier die Grenzen geschlossen sind, ist fraglich, wohin die Zivilisten noch fliehen können.
UN-Generalsekretär António Guterres hatte bereits zuvor vor einer humanitären Katastrophe und Folgen für die gesamte Region gewarnt. Die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens sei in Rafah zusammengepfercht und könne nirgendwo anders hin. Auch die US-Regierung und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hatten sich in den vergangenen Tagen deutlich gegen ein militärisches Vorgehen in Rafah ausgesprochen.
In Israel haben am Samstagabend mehrere Tausend Menschen für die Freilassung der von der Hamas verschleppten israelischen Geiseln demonstriert. Angehörige der Geiseln warfen dem Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu vor, die über internationale Vermittler laufenden Verhandlungen mit der Hamas zu torpedieren.
Netanjahu geht einem israelischen Medienbericht zufolge davon aus, dass Israel aufgrund des internationalen Drucks nur rund einen Monat Zeit für eine Offensive in Rafah hätte. Der Einsatz muss demnach bis zum 10. März abgeschlossen sein. An dem Tag beginnt für Muslime weltweit der Fastenmonat Ramadan.