Aus der Reihe: Islamische Lebenspraxis

Ausgabe 213

(iz). Seit geraumer Zeit wird immer häufiger versucht, die gemeinschaftliche, islamische Lebenspraxis in eine individuelle, stromlinienförmige „Religiosität“ zu verwandeln. Oft geschieht das im Namen einer vermeintlichen Moderne oder im Rahmen neuer „theologischer“ Kons­trukte, die den Islam in selbige überführen sollen. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass es bis in den Kern unserer religiösen Lebenspraxis hinein ein austariertes Gleichgewicht von persönlichen und sozialen Aspekten in unserem rituellen Leben gibt.

Allah sagt in Seinem Mächtigen Buch: „Richtet [arab. Aqimu] das Gebet ein und zahlt die Zakat und verbeugt euch mit den sich Verbeugenden.“ (Al-Baqara, 43) Ein Muslim kann alleine beten, aber mit diesem Vers ist gemeint, dass es eingerichtet werden muss. Dies lässt sich an Allahs Gebrauch des Wortes „Aqimu“ in diesem – und vielen anderen – Vers den gesamten Qur’an hindurch ablesen. Die Einrichtung des Gebets heißt, es öffentlich, während der vorgeschriebenen Zeit und in Gemeinschaft zu tun; in anderen Worten, in der Moschee. Wird es derart verrichtet, dann ist es viele Male für den Einzelnen und ebenso für die Gemeinschaft als Ganzer besser.

Der Prophet, möge Allah ihn segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Das Gebet in Gemeinschaft ist 27 Mal besser als das Gebet alleine.“ Die Mehrheit der Gelehrten ist der Ansicht, dass damit das Gebet in der Mosche gemeint ist. In anderen Worten, ein Gebet in Gemeinschaft ist [im Sinne der spirituellen Bedeutung] äqui­valent zu mehr als fünf Tagen, in denen alleine gebetet wird.

Die frühen Generationen der Muslime – die Salaf – waren sich dessen äußerst bewusst und machten es sich zur Gewohnheit, niemals ein Gemeinschaftsgebet in der Moschee zu verpassen. Egal, wo sie sich befanden oder was sie taten: Sie ließen alles stehen und liegen und eilten zur Moschee, wenn sie den Ruf zum Gebet hörten. Es wurde überliefert, dass die Salaf drei Tage lang traurig waren, wenn sie den Beginn (das Takbiratu’l-Ihram) in der Moschee verpassten und für sieben Tage, wenn sie das Gebet insgesamt verpassten. Sie wussten, dass sie in solch einem Fall etwas riesiges und unersetzliches verloren hatten.

Der Gesandte Allahs sagte hierzu: „Betet jemand 40 Tage in Gemeinschaft, ohne dass er ein einziges Takbiratu’l-Ihram verpasst, dann wird Allah zwei Freistellungen für niederschreiben: eine Freistellung von der Heuchelei und eine vom Feuer.“ Aber selbst das war nicht genug für diese großen Leute. Sie stellten sicher, dass sie in der Moschee saßen, bevor der Mu’adh­dhin zum Gebet rief. Sa’id ibn Al-Musajjib, einer der großen Männer der Nachfolgergeneration und einer der „sieben Rechtsgelehrten von Medina“ berichtete über sich selbst: „In den letzten 20 ­Jahren rief der Mu’adhdhin niemals zum Gebet, ohne dass ich nicht bereits in der Moschee gewesen wäre.“

Er wusste, dass das Geheimnis der Intimität mit Allah darin liegt, sich mit ­Seinen Häusern vertraut zu machen, wie dies durch eine prophetische Aussage belegt wird: „Wenn jemand ein intimes Verhält­nis mit der Moschee eingeht, dann wird Allah sich ihm annähern.“ So werden die Moscheen Allahs zum Leben erweckt, denn ohne Menschen werden sie zu Ruinen und leeren Hülsen. Allah sagt im Qur’an: „Und wer ist ungerechter, als wer verhindert, dass an Allahs Gebetsstätten Sein Name genannt wird, und sich bemüht, sie zu zerstören? Jene sollen sie nur in Furcht betreten. Für sie gibt es im Diesseits Schande und im Jenseits gewaltige Strafe.“ (Al-Baqara, 113) Sie werden zerstört, wenn es in ihnen niemand mehr gibt, der Seiner gedenkt oder Ihn anbetet. Aber mit Leuten werden sie zu Lichtmarken, welche die Gesellschaft erleuchten. Sie sind soziale Herzen, die Blut in alle Teile der Gesellschaft pumpen und es ermöglichen, dass auf eine Weise funktionieren, die Allah zufriedenstellt. (SHB/sw)