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Begegnung: Der Tag der Deutschen Einheit ist auch der Tag der offenen Moschee

Ausgabe 268

Foto: Ömer Sefa Baysal

(iz). Nach dem 24. September geht es den meisten weltoffenen Bundesbürgern wohl ähnlich: Der Rechtsruck bei den Bundestagswahlen scheint viele schockiert zu haben. Das starke Abschneiden der AfD erinnert unweigerlich an ein dunkles Kapitel unserer Landesgeschichte. Die Wahl war schon im Vorfeld geprägt von der Sorge, die AfD könnte drittstärkste Kraft werden. Die Beschäftigung mit dem Phänomen des erstarkenden Rechtspopulismus ­gelangte vereinzelt an die Tagesordnung. Selbstkritisch müssten wir Deutschen uns vielleicht eingestehen, dass das ­Negativpotenzial unterschätzt wurde.
Woher kamen die 13 Prozent, ist eine der elementaren Fragen. Die 25 Prozent der Deutschen, die einen sogenannten „Migrationshintergrund“ haben, sowie jeder, der mit dem kleinbürgerlichen Stammtisch vertraut ist, wird wohl anmerken, dass es diese Energie schon immer gab. Man kennt die Menschen. Jene, von denen man immer den Eindruck hatte, sie seien unbelehrbar. Bereits 1981 stellte die Sinus-Studie fest, dass – unfreiwillig ironisch – 13 Prozent der BRD-Bürger ein geschlossenes rechtes Weltbild hätten. Schwer zu verdauen für die Sozio­logie war zu dem Zeitpunkt, dass die ideologische Verortung durchaus geschlossen scheint.
Der entscheidende Unterschied zwischen dem Bürger mit weltoffener Einstellung und dem Bürger mit geschlossenem Weltbild, ist, wie zu erahnen, die Offenheit für Meinungsunterschiede. Man kann keine Meinungsunterschiede feststellen, wenn man nicht mit anderen Meinungen in Kontakt kommt. Und man kann keine gleiche Meinung feststellen, wenn man nicht mit den Meinungsträgern in Kontakt kommt.
Die 87 Prozent, die zu dieser Bundestagswahl ihre Stimme einer der anderen Parteien gaben, ließen ihr Weltbild nicht schließen. Trotz der Tatsache, dass der Wahlkampf und die letzten Jahre allgemein dermaßen von antimuslimischen Ressentiments geprägt waren, setzte man sein Kreuz nicht bei der offensichtlich islamfeindlichen Partei. Keinesfalls sollte man die erschreckend große offene Zustimmung für den Rechtspopulismus kleinreden, nein. Aber großgeredet wurde die AfD bereits genug. Der harte Kern mit dem geschlossenen rechten Weltbild fühlte sich bereit. Er existierte schon lange. Andere rechte Parteien scheiterten daran, ihn zu mobilisieren. Die AfD schaffte es mit ihrem aufgesetzten bürger­lichen Bild. Flankiert von übertriebener Medienaufmerksamkeit.
Es ist Zeit, die Aufmerksamkeit zurückzuerlangen. Pünktlich zum Tag der Deutschen Einheit, es könnte nicht passender sein, veranstalten Moscheen in Deutschland den Tag der offenen Moschee. Ein Symbol der Einheit, die unser Land nun besonders braucht. Als die Mauer fiel, kam zusammen, was nie durch eine Mauer hätte getrennt sein sollen. Im Hier und Jetzt, wo es Ideologen gibt, die geistige Mauern errichten wollen und an Grenzen wieder von physischen Mauern träumen, müssen wir verhindern, dass eine Trennung vollzogen werden kann.
Der Tag der Deutschen Einheit bekommt heute eine neue, ergänzende Bedeutung. In den vergangenen Jahren zog der Tag der offenen Moschee Hunderttausende Besucher in die Gotteshäuser. Das Interesse steigt von Jahr zu Jahr. Wie auch die Industrie hinter der „Islamkritik“, die immer wieder neue Bücher, Talkshows, Artikel und Veranstaltungen hervorbringt, wo verschärfend darüber spekuliert wird, was in Moscheen eigentlich vor sich gehe.
Das Geschäft mit der Angst ist groß. Und es entmutigt, miteinander in Kontakt zu kommen. Es schafft Vorurteile, jene geistigen Mauern. Die Begegnung aber ist die Freiheit, grenzenlos zu denken, grenzenlos zu sein. Sie ist das, was Goethe als Weg zur völligen Beruhigung beschreibt. Ein Streben, welches im Zweifel nach Verständnis und einem Weg der Mitte sucht.
Begegnungen sind Reisen, die uns nicht gleich körperliche Anstrengung abverlangen. Sie beginnen in der unmittelbaren Umgebung. Längst ist es flächendeckend gesellschaftlicher Nomos geworden, seine Nachbarn nicht wirklich zu kennen. Studien zufolge ist die damit verbundene Einsamkeit einer der sozioökonomischen Gründe für die Unzufriedenheit vieler Menschen, die dazu neigen, rechtspopulistische Parteien zu wählen.
Das Motto des Tages der offenen Moschee trägt 2017 den Namen „Gute Nachbarschaft, bessere Gesellschaft“. Die Gleichung ist so simpel. Wo wir einander begegnen, kann uns niemand erzählen, wir müssten uns vor einander fürchten. Unsere gute Nachbarschaft wird, wenn wir sie nachhaltig und überall verfolgen, zu einer besseren Gesellschaft führen. Überall da, wo wir, diejenigen die einander begegnen, leben. Der Tag der offenen Moschee ist kein einmaliger Einblick. Er ist die Einladung in einen Ort, der 365 Tage im Jahr die Tür geöffnet hat für jeden, der hineintreten möchte. Gemeinden aus der eigenen Nachbarschaft heißen willkommen. Eine Möglichkeit für Begegnung, für Austausch und Meinungsunterschiede, aber auch für die Feststellung der Gemeinsamkeiten. So wird jeder Tag zu einem Tag der Deutschen Einheit.