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Böse Augen – Dresden 10 Jahre nach einem Mord aus Fremdenhass

Dresden (dpa). Morgens im Dresdner Landgericht. Anwälte, Richter und Besucher hetzen zu den Sälen, vorbei an einer Gedenktafel. Sie erinnert an ein Verbrechen aus Fremdenhass, das das ganze Land erschütterte: den Tod der Ägypterin Marwa El-Sherbini am 1. Juli 2009. „Die Ermordung einer starken und selbstbewussten Frau aufgrund ihrer Herkunft und ihres Glaubens mitten in einem Gerichtssaal hat damals nicht nur mich, sondern einen großen Teil der Bürgerschaft erschüttert“, sagt Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP). Großen Teilen der Gesellschaft sei erst da bewusst geworden, „dass Rassismus und Gewalt Probleme in unserer Stadt sind, die man aktiv angehen muss“.
Alljährlich legen Menschen am 1. Juli weiße Rosen nieder für das Opfer einer islam- und ausländerfeindlichen Straftat. Die 31-Jährige hatte einen Mann wegen rassistischer Beleidigungen angezeigt. In der Berufungsverhandlung stach der Angeklagte mit einem Messer immer wieder auf die schwangere Frau ein. Er verletzte auch ihren Ehemann schwer, der seine Frau schützen wollte. Ein in den Saal stürmender Bundespolizist schoß dem Ehemann, der mit dem Täter um das Messer rang, versehentlich in den Oberschenkel. Der damals drei Jahre alte Sohn des Paares musste das alles mitansehen.
Marwa El-Sherbini starb wenige Minuten später, ihr Mann konnte nur knapp gerettet werden. Die Bluttat löste Entsetzen in Deutschland und Proteste in der islamischen Welt aus. Der Täter, ein 28-jähriger Russlanddeutscher, wurde zu lebenslanger Haft wegen Mordes verurteilt.
Seit dem rassistisch motivierten Verbrechen stand Dresden immer wieder in den Schlagzeilen, auch weil das islam- und fremdenfeindliche Pegida-Bündnis den Hass auf die Straße bringt. Bei einem Anschlag auf eine Moschee mit Rohrbomben kamen der Imam und seine Familie nur durch einen Zufall mit dem Schrecken davon.
Die Stadt fördert gesellschaftliches Engagement für Vielfalt und Weltoffenheit, gegen Rassismus und Gewalt. Hilbert ist beeindruckt, wie viele Initiativen es gibt, die sich aktiv um die Integration bemühen. Auch Wirtschaftsunternehmen hätten sich für Flüchtlinge geöffnet und so Perspektiven geschaffen. Und das Neujahrsfest gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde und verschiedenen muslimischen Gemeinschaften im Rathaus, „diese Begegnung zwischen Muslimen, Juden und Dresdnern dürfte beispiellos in Deutschland sein“.
Zum Gedenken an El-Sherbini vergeben Stadt und Land seit 2011 ein nach ihr benanntes Stipendium für Weltoffenheit und Toleranz an künftige Führungs- und Fachkräfte, die sich für Freiheit, Demokratie, Grund- und Menschenrechte einsetzen. Die Stadt setze sich auch mit denen auseinander, die die Politik für Flüchtlinge ablehnen und große Ängste gegenüber diesen Menschen hegten, sagt Hilbert. „Einen solchen Prozess kann man auch nicht als abgeschlossen betrachten.“
Auch die Ausländerbeauftragte Kristina Winkler beschreibt eine größere Offenheit gegenüber Zuwanderern und Muslimen, zugleich aber ein sehr feindliches Klima. „Der Alltagsrassismus ist eher schlimmer geworden“, sagt sie. „Migranten berichten konstant von beleidigenden verächtlichen Blicken vor allem in der Straßenbahn, abfälligen Kommentaren, Beleidigungen und Anrempeln“. Aus Gesichtern schlage ihnen Feindseligkeit, Abwertung und Distanz entgegen. „Sie nennen es „böse Augen“.“
Nötig sind aus Sicht von Winkler mehr Begegnung, politische Bildung und Aufklärungsarbeit, um Vorurteile und Ängste abzubauen. „So lange sich Menschen fürchten müssen, angegriffen oder sogar getötet zu werden, nur weil sie anders aussehen, ist Dresden nicht am Ziel eines friedlichen Zusammenlebens.“ Sie wünscht sich, dass der Stadtrat deutlicher als Einheit gegen Fremdenfeindlichkeit auftritt und alle Behörden hochgebildete Menschen aus anderen Ländern in ihre Mitarbeiterschaft holen. „Wir müssen unsere Hausaufgaben machen.“
Im „Marwa El-Sherbiny Kultur- und Bildungszentrum“, einem Flachbau nahe der Innenstadt, wird Verständigung längst gelebt. „Unsere Vision ist, in ihrem Sinne eine Brücke zu bauen zwischen der Ausländer- und der deutschen Kultur“, sagt der Vorsitzende des arabisch-muslimischen Vereins, Saad Elgazar. „Das Interesse ist sehr groß.“ Oft reiche der Platz nicht aus. Auch die Namensgeberin hatte sich dort für ein friedliches Miteinander engagiert.
Für die Familie ist der Mord nach wie vor eine schwere Last, eine „immer noch offene Wunde“, wie der Berliner Anwalt der Familie, Eberhard Schultz, sagt. Sie sei enttäuscht, dass noch immer kein Platz am Landgericht nach Marwa El-Sherbini benannt ist, wie es Initiativen und Parteien seit langem fordern. Für den Witwer wiege das Trauma auch zehn Jahre danach noch so schwer, „dass er mit den Ereignissen und dem Gedenken nichts zu tun haben will“.