Bücher: Zu einem aufregenden Buch von Eren Güvercin. Von Rupert Neudeck

Ausgabe 207

(iz). Das Buch brauchen wir in unse­rer deutschen Debatte, damit sie aufregend und fruchtbar wird. Der Autor Eren Güvercin ist erst mal mein Nachbar, 1980 in Köln geboren. Allerdings lebt er auf der kulturell höherstehenden Seite des Rheins, ich selbst arbeite und lebe in Troisdorf, das gehört nach einem Witz aus der Zeit des OB Konrad Adenauer schon fast zu ­Sibirien.

Das Buch überrascht und erfreut den Leser, weil er einfach vieles von dem erfährt, was er durch das Talk-Show und Zeitungsgespräch nicht einfach so ­erfährt. Güvercin sagt es auch in seiner galanten Unbekümmertheit. Das Buch von ­Thilo Sarrazin hätte natürlich ganz spannend mit Muslimen diskutiert werden können, so zum Beispiel mit dem Rechtsanwalt und deutsch muslimischen Intel­lektuellen Andreas Abu Bakr Rieger aus Freiburg. Aber leider gehört der nicht zur Abonnementsliste der deutschen Talkshows.

Was einen RA Rieger auszeichnet? Ganz einfach: Vernunft und intellektuelle Brillanz. Rieger sagt zum Beispiel: „Es mag muslimische Bankräuber geben, aber keinen islamischen Bankraub.“ Das sei die Linie, um die es geht. In der Sarra­zin Debatte kommen diese Leute aber nicht vor. „Die Aussagen Sarrazins – so der Autor – würden durch ein Streitgespräch zwischen Rieger und Sarrazin bei Anne Will oder eine anderen Talkshow ad absurdum geführt.“ Ob es nur ­Zufall sei, dass die Medien daran kein Interesse haben? Ich würde den Verdacht ­tiefer hängen. Sie sind auch Quoten-faul, halten sich an die Abonnementsliste, in der Navid Kermani und Aiman Mazyek vorkommen. Sonst niemand.

Das Buch braucht sich nicht aufzumot­zen, es gibt viele spannenden Vertreter der Neo-Muslime, die der Autor hier hintereinander vorführt. So den Schriftsteller Feridun Zaimoglu, ein sehr ­origineller Denker und Phänomenologe unserer Gesellschaft, der sich nicht auf eine verpflichtende Semantik zwingen lässt. Multikulti ist für ihn die Koexistenz von Speisenkarten. Er ist gegen die Kopfgeburten wie den Euro-Islam, als ob es auch einen US-Islam geben müsste.

In solchen Schriftstellern drückt sich ein neues Selbstbewusstsein aus. Sein Buch „Kanak Sprak – 24 Misstöne vom Rande der Gesellschaft“ gehört zu den spannendsten Produktionen, die deutsche Schriftsteller zum Wandel der Gesellschaft geschrieben haben. Der Autor sorgt produktiv für Verwirrung. Die Lesungen von „Kanak Sprak“ finden nicht in Literaturhäusern, aber in Schulen, Unis, Jugendhäusern statt. Das führt dann schon mal zu herrlichen Underground Revolten.

Diese unsere politische korrekte Gesellschaft will keine Korrektive hören. Die Neo-Muslims sind keine politischen Eunuchen, sie gönnen sich den Luxus, die Welt aus ihrer Perspektive zu sehen. „Wenn man den Fernseher einschaltet und sich die amerikanischen Besatzungsdemokraten im Irak und die israelischen Besatzungsdemokraten in Palästina ansieht, dann wird man bestimmt nicht zum überzeugten Anhänger der Demokratie“.

Man darf eben unangenehme Wahrheiten nicht wegkuscheln, wie das die deutsche Politik immer noch tut. Zaimoglu muss uns sagen, dass es „bestimmt nicht Antisemitismus ist und auch keine Judenfeindschaft, wenn man auf die unhaltbaren Zustände in Palästina ­hinweist“.

Ich stelle mir einen Augenblick vor, auf dem Free-Gaza Schiff, auf dem auch die deutschen MdBs gewesen sind, wären nicht neun Türken sondern neun Deutsche erschossen worden von den Israelischen Soldaten, die das Schiff in internationalen Gewässern gekidnapt hätten. Was wäre dann in Deutschland losgewesen? Schon an den Rändern Europas fängt das ja an in der unterschiedlichen Bewertung des Wertes und der Würde eines Menschenlebens. Tote Türken sind nicht so wertvoll wie tote Deutsche.

Der Autor ist überzeugt, dass es eine kleine Kulturrevolution mit und unter den jungen Muslimen geben muss. Die fühlen sich Deutschland mehr als der Türkei zugehörig. Wie sollen sie sich dann von der DITIB vertreten fühlen? Die ­DITIB, so erfahren wir in einem sehr aufschlussreichen Kapitel – ist als staatli­che Religionsbehörde der türkischen Regierung unterstellt. Und damit ­abhängig von der politischen Großwetterlage wie Erdogan sie sieht. „Und wenn die Stimmung dort konservativer wird, schlägt das bis zu uns nach Köln durch“.

So sagt es in diesem Buch die SPD MdB Lale Akgün. Um noch mehr ­Leser für dieses Buch zu gewinnen, zitiere ich noch aus dem Ditib-Kapitel die Eingangssätze: „Wenn man in Köln Ehrenfeld an der Venloer Strasse Ecke Innere Kanalstrasse steht, kann man sich vor dem Rohbau der neuen Moschee erschre­cken. Sie ähnelt in ihrem Zustand eher einem Atommeiler als einer Moschee. Der Atomausstieg wird nichts daran ändern, dass die Kölner noch eine gewisse Zeit mit diesem Anblick leben müssen.“

Der Autor besteht darauf: Christen und Muslime, zumal die deutschen jungen Muslime könnten sehr gewinnbringend für beide Seiten zusammenleben und arbeiten. Sie müssen das nur tun. Die Moscheegemeinden und Verbände sind noch lange nicht das, als was sie sich anpreisen: Dialogzentren. Der Autor beweist einen wunderbar gläubigen Nonkonformismus. Die Klage deutscher Politiker, der Dialog mit den Muslimen falle so schwer, weil sie keine Bischöfe und keine deutsche Ayatollah-Konferenz haben, will der Autor nicht gern akzeptieren. Güvercin: Der Staat verlange aus Angst vor der Freiheit, „die seine Verfassung verspricht, nach Funktionären, die mit Ihresgleichen, eben mit Funktio­nären, verhandeln und Verträge schließen“. Die Mehrheit der Muslime, so ist Güvercin überzeugt, will ganz einfach ihre Religion leben, die kein politisches oder kulturelles Bekenntnis verlange. „Auch Christ zu sein, bedeutet keineswegs, sich zu einer Leitkultur zu bekennen oder zur NATO“.

Im Grunde, meint der Autor und man nimmt es ihm ab, „könnte das Christen­tum im Bündnis mit dem Islam zu neuem Selbstbewusstsein finden“.

So versucht Güvercin mit anderen mündigen Muslimen eine Staats- unabhängige Alternative Islamkonferenz aufzubauen. Mich hat das auch irritiert, dass die besten der Muslime, die wir aus dem alltäglichen und kommunalen Leben kennen, in der Berliner Staats-Islamkonferenz nicht vorkommen. Dabei sollen die Vertreter der großen Verbände, auch Einzelpersonen und neuere Organi­sationen wie der Liberal-Islamische Bund offen darüber debattieren, „wie eine muslimische Zivilgesellschaft in Deutschlandaussehen kann, die nicht nur den Muslimen, sondernd er gesamten Gesell­schaft Dienstleistungen anbietet“.

Es ist sicher kein systematisches Buch, es fügt vieles nebeneinander, was nicht immer verbunden ist. Aber die Schlussfolgerung ist für uns Neo-Deutsche, die nicht nur mit Muslimen leben und dem Islam bei uns kein Heimatrecht gewähren wollen, ziemlich klarsichtig, für manche erschreckend. Vor der Tugend ­haben – sagt der Autor – „die ratlosen ­Europäer eine gewisse Angst, deswegen ihre Flucht in die Werte und Wut auf die ­Muslime, die an ihrer Religion festhalten wollten. Die westliche Polemik gegen den Islam ist eine Polemik gegen Religion überhaupt.“

Ich halte dieses Buch und auch diese Schlussfolgerung für eine Tür, durch die wir auf die je anderen zugehen können. Sie ist entlarvend, für die Muslime wie für uns – „ratlose Europäer“.

Eren Güvercin: Neo Moslems. Porträt einer deutschen Generation. Herder Verlag Freiburg 2012 200 Seiten.