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Debatte über Umgang mit Afghanistan geht weiter

Foto: Henning Schacht, Deutscher Bundestag

„Ich habe der Welt von Afghanistan erzählt – aber weil ich nicht verarbeiten kann, was in meinem Land passiert, bin ich wie betäubt.“ Bilal Sarwary, afghanischer Journalist via Übermedien

Berlin (KNA). Während die Bundeswehr die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Afghanistan vorbereitet, debattiert die Politik weiter über den Sinn des Afghanistaneinsatzes und die Aufnahme von Afghanen, die mit den Deutschen zusammengearbeitet haben und deshalb als gefährdet gelten. Zugleich wurde am Wochenende deutlich, dass eine neue Flüchtlingswelle aus Afghanistan erwartet wird. Die Bundesregierung kündigte unterdessen an, fast alle Botschaftsmitarbeiter sowie die afghanischen Ortskräfte möglichst schnell auszufliegen.

CDU-Chef Armin Laschet forderte, dass Deutschland die ehemaligen Ortskräfte der Bundeswehr rettet. „Diese Leute, die uns geholfen haben, Afghanen, die mutig waren, der Bundeswehr zu helfen, müssen jetzt rausgeholt werden“, sagte er auf einer Veranstaltung der Jungen Union im hessischen Gießen.

Die Verteidigungspolitikerinnen Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Agnieszka Brugger (Grüne) kritisierten gegenüber dem Nachrichtenportal Watson die Bundesregierung scharf für ihren Umgang mit afghanischen Ortskräften. Strack-Zimmermann forderte die Regierung auf, diese Menschen schnellstmöglich per Flugzeug aus dem Land zu schaffen. Brugger sagte, es sei „extrem beschämend, dass die Bundesregierung eine Reihe von Ortskräften nach wie vor im Stich lässt“.

FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff warf der Bundesregierung Planlosigkeit vor. Die Evakuierungen hätten längst geplant sein können, sagte er der „Rheinischen Post“. Es gebe Schuldzuweisungen zwischen den Ministerien. „Das ist eine unwürdige Diskussion.“ Auch Linken-Verteidigungspolitiker Alexander Neu verlangte eine Evakuierung der Ortskräfte.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) befürchtet, dass die Zahl der Geflüchteten deutlich ansteigen wird. „Man muss damit rechnen, dass sich Menschen in Bewegung setzen, auch in Richtung Europa“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“ (Montag). Dabei müsse man nicht nur den Krisenherd Afghanistan im Blick behalten, sondern genauso Belarus, Pakistan, den Iran, die Türkei, Tunesien, Marokko und Libyen.

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, warnte angesichts der massiv gestiegenen Zahl von Binnenflüchtlingen in Afghanistan, die Versäumnisse während des Syrien-Kriegs zu wiederholen. Fatalerweise seien die Europäer damals nicht auf die Geflüchteten vorbereitet gewesen, sagte sie im Deutschlandfunk. Man dürfe nicht warten, bis alle 27 EU-Länder bereit zur Aufnahme von Geflüchteten seien. Man müsse sich vielmehr mit jenen europäischen Ländern zusammenschließen, die das tun wollten.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), forderte ein Eingreifen des Westens gegen die Taliban – ausdrücklich unter Beteiligung der Bundeswehr. „Man darf nicht dabei zuschauen, wie Menschen, die uns lange verbunden waren, von den Taliban abgeschlachtet werden, wie Mädchen und Frauen alle hart erkämpften Rechte wieder verlieren“, sagte Röttgen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.

Der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), erteilte Forderungen nach einem erneuten Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr eine Absage. Er sagte der „Rheinischen Post“ (Samstag): „Wir haben gemeinsam mit unseren internationalen Partnern entschieden, den Einsatz zu beenden.“ Stattdessen müsse die internationale Gemeinschaft darauf drängen, „dass es zu einem politischen Dialog kommt“. Man werde nicht darauf verzichten können, die Taliban einzubinden.

Der Terrorismusexperte Peter Neumann vom Londoner King’s College glaubt, dass die afghanischen Taliban ihren Charakter geändert haben. „Die Taliban versuchen, aus den Fehlern der 1990er Jahre zu lernen. Damals wurden sie von Teilen der Bevölkerung sehr gehasst, weil sie zum Beispiel gegen religiöse Minderheiten vorgegangen sind.“ Sie gäben sich versöhnlicher und wollten auch Mädchen erlauben, zur Schule zu gehen, sagte Neumann dem RedaktionsNetzwerk. Große Hoffnungen auf einen Dialog mit den Taliban habe er dennoch nicht, betonte Neumann. Der Westen habe mit dem Rückzug seiner Truppen sein wichtigstes und einziges Druckmittel verloren.

Grünen-Außenexperte Omid Nouripour befürchtet, dass Afghanistan unter den Taliban wieder zu einem Rückzugsraum für Terroristen wird. Der „Passauer Neuen Presse“ sagte er, sollten die Taliban die Macht übernehmen, stehe ihnen erst einmal ein Krieg mit dem Islamischen Staat (IS) bevor. „Das Land wird jedenfalls nicht zur Ruhe kommen.“a