Der Aralsee: Region zwischen Hoffnung und Verschwinden

Ausgabe 312

Foto: muratart, Shutterstock

(ots). Bunte Stoffe leuchten von den Regalen, blau und pink, türkis, orange und grau, gepunktet, gemustert oder uni. Wohlgeordnet liegen sie in Stapeln auf den Regalen. Darüber reihen sich Muster von Hemden – dezent einfarbig, vornehm gestreift oder mit wilden Mustern. Schürzen, Kittel und Hosen liegen im nächsten Raum, fertig zum Transport.

Alles ist aus usbekischer Baumwolle hergestellt. Mit Baumwolle aus der Region wird zunächst Baumwollstoff und dann Kleidung hergestellt. In der neuen Fabrik in Muynak haben vor wenigen Monaten 700 Menschen eine neue Arbeit gefunden.

Früher verkaufte Usbekistan die Rohbaumwolle ins Ausland. Dort wurde sie verarbeitet und dann weiterverkauft. Heute bleibt die Wertschöpfungskette der Baumwolle im Land. Wie in dieser Fabrik am Aralsee, so soll es auch in anderen Regionen von Usbekistan gehen.

Fischer fangen keine Fische mehr und ihre Schiffe rosten in der Wüste. Der Aralsee ist fast völlig verschwunden. Eine Region so groß wie ganz Bayern ist ausgetrocknet und verwüstet. Gerade noch 10 Prozent der Wasserfläche sind geblieben. Die frühere Hafenstadt Muynak liegt heute 80 km vom Ufer des Aralsees entfernt. Sand, der einst am Boden des Sees lag, treibt heute hunderte Kilometer über die Wüste. Wo der Sandsturm weht, hüllt er die Umgebung in dichten, gelben Nebel. Wie es dazu kam? Intensiver Anbau von Baumwolle, sorgloser Umgang mit knappem Wasser und der Klimawandel scheinen die wichtigsten Gründe.

Weil Menschen eine neue Lebensgrundlage brauchen und das ganze Gebiet rund um den Aralsee vor großen Herausforderungen steht, hatte Präsident Mirziyoyev die internationale Gemeinschaft eingeladen, sich ein Bild zu machen. Der Aufruf ging zur UN, der UNDP und weiteren internationalen Organisationen. Unter Schirmherrschaft der UN und der UNDP kamen im Oktober 2019 rund 300 Experten aus aller Welt nach Nukus. Wissenschaftler und Experten, Minister und Abgeordnete hielten Vorträge und berieten sich. Seitdem sind viele neue Ideen entstanden.

Es ist eine gigantische Aufgabe: für Usbekistan, für Kasachstan, für die Region Zentralasien – und die Aufgabe hat sogar globale ­Aspekte. Denn der Klimawandel hat erheblich zu der heutigen Lage beigetragen. Auf der 72. und 75. Tagung der Generalversammlung der Vereinten Nationen bekräftigte Präsident ­Mirziyoyev, dass die Krise um den Aralsee ­gemeinsam gelöst werden muss.

Auch in Usbekistan hat sich im Zusammenhang mit den verschärften globalen Umweltproblemen schrittweise ein neues Bewusstsein für Natur, Umwelt und Klima entwickelt. Jetzt werden Maßnahmen getroffen. Themen wie Umweltschutz und rationelle Nutzung natürlicher Ressourcen haben Einzug in den Alltag gehalten. Die Luftverschmutzung wird mit langsam steigendem Wohlstand ein Thema, das Beachtung findet. Wasser ist schon seit Jahren ein knappes Gut, an dessen effizienter Nutzung in mehreren Bereichen gearbeitet wird. Doch nationale Maßnahmen allein reichen nicht.

Deutschland unterstützt die neuen Maßnahmen mit dem Programm „Green Central Asia“, das im Januar 2020 gemeinsam mit ­allen fünf Staaten in Zentralasien und ­Afghanistan verabschiedet wurde.

Ziel ist es, die Herausforderungen der neuen Lebensverhältnisse in der Region ohne den Aralsee zu meistern, das Wohl der Bevö­lkerung zu gewährleisten, ihr Einkommen zu erhöhen, Gesundheit und Bildung zu fördern und auf breiter Fläche die Attraktivität für Investitionen zu steigern.

In den letzten drei Jahren sind weltweit beispiellose Arbeiten zur Wiederaufforstung auf dem getrockneten Grund des Aralsees in vollem Gange. In der vergangenen Zeit wurde auf einer Fläche von etwa 1,7 Millionen Hektar eine Aufforstung durchgeführt und Samen von Saxaul und anderen wüstenresistenten Pflanzen ausgesät. Traktoren öffneten den Boden, auf denen in langen Furchen die jungen Pflanzen heranwachsen. Aus der Luft sind die unterschiedlichen Pflanzungen und Jahrgänge gut zu erkennen. Die örtliche Bevölkerung hat dabei kräftig mitgeholfen.

Der Aralsee und seine Anwohner erhalten ein neues Leben – ein Leben ohne See, aber mit neuen Konzepten und Ideen, neuen Erkenntnissen der Wissenschaft und neuen, grünen Technologien. „Lasst uns die Region umwandeln in eine Mischung aus Silicon Valley und Las Vegas zusammen“, verkündete UN Assis­tant Secretary-General und Sonderberater für die UNDP Verwaltung, Abdoulaye Mar Dieye. Einige Schritte sind bereits erfolgreich, weitere sollen folgen.

Die Region soll zum internationalen Technologie- und Innovations-Hub für Zentralasien werden.