
(iz). Imam Ahmad Schekab kam 1990 im Münchner Passing als eines von fünf Kindern afghanischer Einwanderer zur Welt. Nach islamwissenschaftlichen Studien in Südafrika, Kairo und der Türkei absolvierte er ein BWL-Studium. Seit 2017 ist als Imam in München aktiv, wo er auch einen Dienst für islamische Bestattungen anbietet. Der Imam ist seit Jahren als streitbarer Charakter in diversen sozialen Kanälen in der muslimischen Community aktiv. Mit ihm sprachen wir über seine Tätigkeit, wie er zur Aktivität eines Imams gekommen ist und warum er sich für eine aktive Onlinepräsenz entschieden hat.
Islamische Zeitung: Lieber Imam Ahmad, Sie sind Imam aus München. Könnten Sie uns kurz was über Ihre Herkunft und Arbeit erzählen?
Ahmad Schekab : Ich bin 32 Jahre alt und ein „Münchner Kindl“, bin hier zur Welt gekommen und verliebt in meine bayrische Heimat. Ich bin im Rahmen des Islamstudiums auf verschiedenen Kontinenten gewesen, aber München ist für mich nach Mekka und Medina die schönste Stadt überhaupt. Meine Eltern kommen aus Afghanistan. Ich bin Imam der Münchner Unabhängigen Muslime.
Die Initiative dazu kam von Leuten aus meinem Umfeld. Wir zogen als „Gebetsbeduinen“ durch München. Die Idee dahinter war genau das, was wir taten: Jeden Freitag an einem anderen Ort der Innenstadt das Freitagsgebet abzuhalten. Unterstützt wurde sie von der muslimischen wie nichtmuslimischen Zivilgesellschaft – aber insbesondere von einem Freund, der jetzt im Migrationsbeirat der Regierung in München sitzt und Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde für München und Oberbayern war. Sie haben geholfen, dass wir jeden Freitag einen anderen Ort in der Innenstadt fanden, um dort zu beten.
Islamische Zeitung: Das heißt, sie arbeiten nicht im bekannten Modell eines festen Imams in einer Moschee?
Ahmad Schekab : Irgendwann fand sich die Möglichkeit einer festen Moschee. Die war dann zwei Jahre lang in der Münchner Implerstraße, bis Corona uns in eine große Not brachte. Unsere Konstellation war außergewöhnlich. Erstens war sie ausschließlich auf Deutsch. Zweitens war sie von einem sehr jungen, internationalen und akademischen Vorstand getragen. Wir hatten jede Woche eine bekannte und kontroverse Persönlichkeit in die Moschee aus einem sehr breiten Spektrum eingeladen. Das waren Leute, die man nicht unbedingt mit meiner Arbeit identifizieren würde. Die Gäste reichen von internationalen Gelehrten, über Sufis bis zu Salafis.
Die Moschee ist außergewöhnlich. Wir haben nicht, wie man es kennt, eine spezifische ethnische Community im Rücken, die finanzielle Probleme abfangen kann. Wir hatten durchschnittlich junge Menschen – mehrheitlich noch im Studium – und haben es trotzdem irgendwie geschafft, am Ende des Monats in der Münchner Innenstadt eine Miete von 5.000 € zusammenzubringen. Bis Corona uns dann den Rücken brach. Wir stehen bis heute vor Gericht, weil der Vermieter uns einen Strich durch die Rechnung machen wollte. Danach haben wir eine andere Möglichkeit gefunden, und machen in den Räumlichkeiten einer bestehenden Gemeinde nach ihr das Freitagsgebet. Wir sind gewissermaßen „Untermieter“ geworden.
Islamische Zeitung: Imam zu sein, kann man sich ja nicht einfach als Etikett anheften. Und dazu gehört nicht nur Bücherwissen, sondern auch Praxis, Taqwa und die Anbindung an eine Gemeinschaft. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ahmad Schekab : Mein Weg ist ein anderer. Für mich ist es nicht das Gleiche. Warum? Weil die Frage, wie man ein Imam wird, immer kontextabhängig und kulturabhängig ist. Wenn man mit fünf Leuten unterwegs ist und es kommt die Zeit des Gebetes, dann ist derjenige Imam, der richtig rezitieren kann. Die entsprechende Religiosität, die Spiritualität und das Wissen spielen natürlich eine große Rolle. Und diese Person leitet das Gebet, weil die jeweilige Person die Konsequenzen am besten kennt wie auch die Elemente.
Das ist eine Frage des Wissens und hängt mit dem kulturellen Kontext der jeweiligen Gemeinde zusammen. Manchmal erleben wir Gemeinden, die haben afghanischen Hintergrund, aber nehmen sich einen nichtafghanischen Imam. Warum? Weil sie sich dann auf das Wissen berufen. Und manchmal erleben wir genau das Gegenteil. Da gibt es eine Gemeinde, die ist afghanisch, aber da sind auch arabische, türkische, deutsche Muslime mit dabei. Obwohl ein anderer mehr Wissen hat, bleiben sie bei einem afghanischen Imam. Aber er ist der Älteste, hat die größte Lebenserfahrung und kennt sich gut aus. Deswegen ist die Frage eine komplexe. Es gibt immer auch Zeitumstände und einen kulturellen Kontext.
Zur Frage, wie ich Imam wurde. Das geschah über die afghanische Gemeinde. Ich habe angefangen, dort die Gebete und den Unterricht zu leisten. Und wurde hinzugezogen, wenn es um Schulschwierigkeiten, Erziehung oder Konfliktbewältigung ging. Das hat sich erweitert. Andere Gemeinden sind auf meine Arbeit aufmerksam geworden, haben sie unterstützt und sich dafür stark gemacht. So fing das an und es wurde immer größer. Ich fing mit kleinen Gemeinden an und ging dann über zum Zentralrat der Muslime, wo meine Initiativen unterstützt wurden.
Islamische Zeitung: Sie haben sich zu einer breiten Sichtbarkeit auf sozialen Medien entschieden – eher ungewöhnlich für Deutschland. Auf Facebook oder Instagram findet man täglich oder wöchentlich neue Beiträge. War das beabsichtigt oder hat es sich eher so ergeben?
Ahmad Schekab : Das ist eine Frage der Haltung. Ich will bestimmte Entwicklungen und diese sind nur möglich durch die sozialen Netzwerke. Wichtig ist, dass der Islam ein buntes Mosaik aufweisen kann. Durch die Blasenbildung in Netzwerken können viele das Andere nicht mehr erkennen und machen sich und anderen das Leben schwer. Wenn wir als Muslime wahrgenommen werden, werden die Dinge, die wir tun, auch stellvertretend für alle anderen verstanden. Wenn man sich entscheidet mit islamischem Traditionsgewand oder einem Kopftuch in Gesellschaft zu gehen, dann ist man auch Identitätsträger. Ich möchte in sozialen Netzwerken der Einseitigkeit entgegenwirken.
Das ist das eine. Das andere ist, ansprechbar zu sein für die, die in vielen muslimischen Gemeinden leider – das ist meine Erfahrung – kein Gehör finden, wie Frauen, die die Scheidung wollen. Sie finden in den meisten Fällen kein Gehör und auch kein echtes Gespräch. Männer scheinen da immer die Oberhand zu haben. Als ich gerade aus Istanbul zurück am, bekam ich 20 Anrufe bezüglich Scheidung. Heute früh rief mich eine Schwester deswegen an. Danach ging es um die Beerdigung für ein verstorbenes Baby. Ich bekomme viele dieser Anfragen. Das geht vielen Imamen so, aber bei mir melden sich darüber hinaus sehr viele Frauen, die ihre Ehe beenden wollen.
Irgendwie betreffen solche Fragen uns alle. Unsere Gesellschaft lebt in einem Tempo, mit dem wir zurechtkommen müssen. Da kann man sich nicht einfach lossagen. Menschen mit einem islamischen Hintergrund benötigen die entsprechende Hilfe. Dafür mache ich diese Arbeit, weil wir, wenn wir auch nur einem Menschen helfen, der Menschheit Gutes getan haben.
Islamische Zeitung: Es gibt in der gesamtgesellschaftlichen Islamdebatte ungeheure Erwartungen an Imame. Sie sollen nicht nur ihre eigentliche Tätigkeit ausüben, sondern auch Sozialarbeiter, Integrationshelfer und insbesondere Präventionsfachleute sein…
Ahmad Schekab : Ich muss sagen, das ist problematisch und empfinde das auch so. Die Ursache für dieses Problem sehe ich in der Identitätslosigkeit. Sie sind traditions- und geschichtslos geworden. Die Tradition lehrt uns, dass jeder von uns ein Hirte ist, der Verantwortung trägt. Jeder muss solidarisch sein. Die Überlieferung zeigt uns den allumfassenden Charakter, den ein Muslim eigentlich in sich tragen muss. Gerade sie haben wir nicht. Wir übernehmen nicht die Verantwortung, die wir haben müssten. Wo sind wir denn im Gespräch mit den anderen Gemeinden? Wo sind wir im Gespräch, wenn Frauen in Not sind oder Kinder Unterstützung brauchen? In Gefängnissen, in Schulen?
Das fehlt in der Arbeit von vielen Moscheen. Ich gehe freitags manchmal traurig vom Freitagsgebet. Deshalb musste ich irgendwann Initiative ergreifen. Warum werden Themen nicht angesprochen, die wichtig sind? Inhalte, die hier in Predigten angesprochen werden, interessieren mich, der jeden Tag mit Islam beschäftigt ist, kaum. Was soll ich von einem Jugendlichen erwarten, der mit Islam kaum etwas zu tun hat? Wie sollen wir sie erreichen, wenn wir Dinge ansprechen, die sie nicht einmal begreifen?
Islamische Zeitung: Was machen eigentliche Imame in Deutschland, die sich fortbilden wollen, eine inhaltliche Frage haben oder sich einfach mal aussprechen wollen? Gibt es Netzwerke und Ressourcen für sie?
Ahmad Schekab : Zu Einzelnen unterhalte ich Kontakt. Sich zu organisieren, braucht Mut und auch ein Stück Unabhängigkeit. Deswegen gibt es das selten, dass es das unter Imamen gibt. Leider bestehen keine Gruppen, die vielfältig und notwendigerweise dynamisch sind. Leider gibt es diese Netzwerke in der nötigen Vielfalt und Dynamik nicht. Was besteht, sind viele persönlichen Einzelgespräche. Man ist mehrheitlich mit dem Einzelnen im Austausch. Man traut sich im Einzelnen, die Dinge beim Namen zu nennen. Aber sobald die Gruppe größer wird, kommen wieder Unterschiede und Gruppendynamiken zum Tragen.
Islamische Zeitung: Lieber Imam Ahmad, Danke schön für das Interview.