Kritischer Blick auf die verheerende Lage in Zentralafrika und den Umgang mit ihr

(iz). Zentralfrika, seit dem Ende des Kolonialismus ein Krisenherd: Nirgendwo anders auf der Welt sind Minderheiten so groß und Konfessionen so verschieden. Dass seit 2012 in der Zentralafrikanischen Republik systematisch Jagd auf Muslime gemacht wird, sieht man in den Medien derzeit nur vereinzelt, eine Million Flüchtlinge waren scheinbar noch kein Grund für großes internationales Aufsehen.

Wenn es andersrum in Nigeria geschieht, hat jedes Medium schon eine eigene Rubrik für den Konflikt eingeführt. Nigeria ist ein wichtiger Erdöl-Exporteur für die Industrieländer, die Zentralafrikanische Republik ist – nun ja – den meisten bis jetzt unbekannt gewesen. Interessant ist auch, dass im Internet von extremistischen Muslimen die Meldung verbreitet wird, dass die Verfolgung und Tötung der Muslime in Nigeria stattfindet, so kann man es ja vielleicht ausgleichen.

„Boko Haram“, eine schwer zuzuordnende Sekte, und andere ähnliche Ableger, die Al-Qaida nahestehen sollen, seit einigen Jahren in Nigeria, Mali und deren Nachbarstaaten Christen und anders denkende Muslime tyrannisierend, scheinen ein ausschlaggebender Punkt für die erstarkenden Spannungen zu sein. Schnell lassen sich Beobachter zu einem Schwarz-Weiß-Denken verleiten und so fehlt der medialen Aufarbeitung klar eine Differenziertheit. In sozialen Netzwerken werden von selbst erklärten „Mudschahidin“ schockierende Bilder von gefolterten und getöteten Afrikanern gezeigt, deren Echtheit und Hintergrund man kaum überprüfen kann – und schon sind lauter gebrochene Herzen am Verbreiten von Hasstiraden beteiligt.

Eine Beobachtung, die man schon seit den gewalttätigen Übergriffen auf die muslimischen Rohingiya in Myanmar machen konnte, ist, dass plötzlich zuvor angeprangerte Schemata übernommen werden und man von mordenden Buddhisten sprach und Begriffe wie „radikalextremistische Buddhisten“ fielen.

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Rein menschlich ist es verständlich, dass Muslime nun gern den Spieß umdrehen möchten, aber – ohne jetzt von der korrekten Sunnah zu predigen – es gibt moralische Normen, die den Muslim eben hervorheben sollten. Es wird auf allen Seiten stets ein großes und geschickt durchdachtes, dennoch simples Spiel mit den Gefühlen der Menschen betrieben. Die wahrscheinlich größte Schwachstelle jedes um Gerechtigkeit bemühten Menschen, denn die christlichen Bewaffneten formierten sich ursprünglich, um Kirchen und Gemeinden vor den Übergriffen von Ablegern der Boko Haram zu schützen. Aber formierte sich dieser Widerstand genauso „frei“ wie der Widerstand gegen die Sowjets in Afghanistan? Letztlich fingen diese Kommandos an, wahllos zu morden, gemäß einem Kodex voller Irrationalitäten.

Es zählt nicht, wer angefangen hat und es zählt nicht, wer mehr tötet. Quantitäten zählen nicht. Ungerechtigkeit ist keine Maßeinheit. Der erste Schritt über die Grenze von erlaubt zu verboten ist anzuklagen, aber wir flüchten immer öfter lieber in Rechtfertigungen und so bleiben Lösungen aus. Am Ende des Spieles profitieren diejenigen, die Vorteile aus den Emotionen der Menschen schlagen. Gehören wir vielleicht selbst zu ihnen? Ist dem „Contenlieferanten“ von Beiträgen mit nervenaufreibenden Szenen nicht bewusst, was für eine übermäßig virale Diskussion das auslösen wird? Natürlich ist ihm das bewusst.

Wer formiert einen seriösen und produktiven Widerstand gegen diese Übergriffe auf Muslime, egal ob von „christlichen“ oder „muslimischen“ Extremisten? Beachtet werden sollte auch, dass durch Angriffe der Boko Haram bis jetzt mehr Muslime starben, als durch die Angriffe der selbst ernannten christlichen Bürgerwehren.

Bürgerkriege haben das charakteristische Merkmal, sehr unübersichtlich und undefinierbar zu sein und der Schauplatz Zentralafrika macht es nicht einfacher. Wo bleiben gezielte Protestaktionen gegen Auslandsvertretungen von Regierungen der betroffenen Staaten und wo bleiben Protestaktionen gegen die undifferenzierte und unausgeglichene Resonanz in den Medien?

Seit Jahren wird das klassisch-muslimische Erbe Afrikas Gewalt und Respektlosigkeit ausgesetzt, besonders Mali und Libyen traf es die letzten beiden Jahre schwer. Und weil die Täter vermeintlich muslimisch sind, fand sich nur wenig Aufarbeitung in den sozialen Medien, der Presse oder den Köpfen der Muslime. Jetzt aber hat man einen Feind: die Christen, die nämlich auch böse sein können. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Vielleicht ist die Frage eher zu analysieren, warum so etwas geschehen kann. Was hat die muslimische Gemeinschaft in der Vergangenheit falsch gemacht? Glauben die Muslime nicht mehr an die Unfehlbarkeit des Willen Gottes und die Akzeptanz des Schicksals? Ist die Opferrolle tatsächlich schon feste Identität von uns? Wir schaffen es immer wieder. Egal ob Schädigender oder Geschädigter, wir flüchten schnell in die Opferrolle, Opfer der Medien, Opfer der Großmächte – Opfer des Willen Allahs. Doch sind wir nur Opfer unserer Selbst.

Geht es uns jetzt plötzlich tatsächlich um göttliche Moral oder löst ein Konflikt den anderen ab, wie ein Hashtag den anderen? Wir könnten doch schlicht öfter täglich für die Muslime weltweit beten und jeder kann sich ehrlich hinterfragen, wie oft er das explizit tut. Wir lassen uns die Waffen der Moderne verkaufen, schießen mit Polemik und Populismus auf Facebook und Twitter wie ein 12-jähriger mit einem Gewehr – amateurhaft mit Gefahr auf Selbstverletzung.

Doch dürfen wir nicht vergessen, dass der Prophet, Allahs Frieden und Segen auf ihm, die mächtigste aller Waffen vorstellte, das Bittgebet zu dem Allmächtigen. Möge Allah die muslimische Gemeinschaft vor Gewalt und Dummheit bewahren. Möge Er gnädig mit uns sein und uns unsere Versäumnisse vergeben. Ran an die unbesiegbare Waffe.