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Die Last des Verdachts

Ausgabe 307

Foto: Mevlana Camii Berlin, Facebook

Geraten muslimische Gemeinden einmal ins Visier negativer Berichterstattung, werden Verluste ihrer Reputation nur selten von den verantwortlichen Medien korrigiert. So setzen sich destruktive Diskurse fest.

(iz). Muslimische Einrichtungen und Organisationen haben seit geraumer Zeit nicht nur mit einer schlechten Presse und negativen Diskursen zu kämpfen. Erschwerend kommt für hinzu, dass negative Meldungen, selbst wenn sich diese als haltlos erweisen sollten, bleibende Wirkung haben. Nicht nur werden selten Korrekturen veröffentlicht. Kaum kommt es bezüglich der Betroffenen zur Differenzierung, die negative Aspekte mit positiven abwägt.

Ein signifikantes Beispiel dafür sind die jüngsten massiven Polizeirazzien gegen eine Handvoll Berliner Moscheen wegen eines mutmaßlichen Betrugsverdachts. Die Gemeinschaften sollen unberechtigt Coronahilfen beantragt und erhalten ­haben. Als letzte der fünf Gemeinden traf es die Neuköllner Begegnungsstätte e.V. (NBS), die in der Vergangenheit für ihre Dialog- und Begegnungsarbeit ausgezeichnet wurde.

Nach Angaben der Gemeinde wurden die Vereinsräume am 26. November von einem „unverhältnismäßigen Großaufgebot der Polizei“ durchsucht. Hier seien acht Einsatzwagen, Zivilfahrzeuge sowie „bewaffnete, maskierte und massiv einschüchternde Beamt*innen“ zum Einsatz gekommen.

Dabei sei im März 2020 seitens des Landes Berlin öffentlich kommuniziert worden, der Vereine habe eine Coronahilfe in Höhe von 14.000 Euro beantragen können. Diese seien bewilligt und alle nötigen Unterlagen beim Finanzamt eingereicht worden. „Ohne Prüfung aller von der IBB angeforderten Unterlagen und trotz expliziter schriftlicher Rückfrage des Vereinsvorstandes nach der Rechtmäßigkeit der Förderung sowie dessen Ankündigung im Falle eines Irrtums die sofortige Rückzahlung zu veranlassen“, sei es zu den Durchsuchungen gekommen. „Die gesamte Art und Weise der Durchsuchung, aber auch die Verdachtsschöpfung ist völlig unangemessen und unverhältnismäßig und trägt das Stigma einer islamophobischen Motivlage“, erklärte der Vereinsvorstand am 28. November in einer Pressemitteilung.

Am 2. Dezember schloss sich der scheidende Sprecher des Koordinationsrates der Muslime (KRM), Burhan Kesici, der Kritik am Vorgehen der Berliner Behörden an. „Die Kette von Razzien gegen Moscheen entbehrt jeder rechtsstaat­lichen Verhältnismäßigkeit“, erklärte ­Kesici in Köln. Es handele sich um ­ ­„ausschweifende staatliche Maßnahmen“ und „Vertrauensbruch“.

Der Mediendienst Integration hielt am gleichen Tag ein Pressegespräch über die Frage ab, wie Medienarbeiter objektiv herausfinden könnten, ob Gemeinden „wirklich radikal“ seien. „Muslimische Akteur*innen gelten oft allein deshalb als radikal, weil sie Kontakt zu radikalen Organisationen oder Personen hatten“, zitierte Mediendienst-Autorin Miriam Kruse den Ethnologen Werner Schiffauer. Er bezeichnete dies als „Kontaktschuld“.

Der Ethnologe verweist auf ein grundsätzliches Problem in der Berichterstattung: Journalisten berufen sich in ihrer Arbeit zur muslimischen Gesellschaft gewohnheitsmäßig auf Berichte der Verfassungsschutzämter. Anders als Medien oder Forschungsarbeiten legen die Dienste weder ihre Quellen offen, noch sind die Reports einer gesellschaftlichen Debatte unterzogen. Schiffauers Rat: Journalisten sollten die VS-Berichte „kritisch hinterfragen“.

Um Moscheegemeinden einzuschätzen, könnten Journalist*innen die Kooperationspartner der Gemeinde kontaktieren, so Schiffauer. Oft gebe es jahrelange Zusammenarbeit etwa zwischen Moscheegemeinden und Kirchen. „Man muss danach suchen, wer kompetent und verlässlich etwas über Moscheegemeinden aussagen kann, um aus dem Teufelskreis von Verdacht und Misstrauen rauszukommen.“

Ein Kommentar zu “Die Last des Verdachts

  1. Es ist gut darüber zu lesen. Vielen Dank für diesen Bericht!
    Tatsächlich kann ich auch noch anhand von einem ganz anderen mir bekannten Fall berichten, dass es Probleme mit einem unreflektierten journalistischen Zurückgreifen auf Verfassungsschutzbericht und “Kontaktschuld” wohl auch bei anderen Gruppen der Gesellschaft, in dem Fall AFD, gibt.
    Wenn sich eine Querfront bilden dagegen würde könnte man vielleicht die nötige Aufmerksamkeit bekommen. Oder? Ich weiß aber nicht ob ich so eine Querfront herbeiführen könnte.. Ich kann es ja aber immerhin hier vorschlagen. So Gott will, ist das überhaupt eine gute Idee…

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